Biografie und Auswahlbibliografie

Biografie Andreas Okopenko

Andreas Okopenko wird am 15. März 1930 als Sohn eines ukrainischen Arztes, Andrij Fedorowitsch Okopenko (1874–1965), und einer österreichischen Mutter, Vilma Okopenko (Lebensdaten unbekannt), in Košice geboren. Der Vater muss wegen seines Einsatzes für eine unabhängige Ukraine im selben Jahr seine Anstellung als Forstarzt in Užhorod, der damaligen Hauptstadt der tschechoslowakischen Karpathoukraine, aufgeben und findet einen ähnlichen Posten im slowakischen Erzgebirge in Čierny Balog. Der Versuch, 1938 nach Užhorod zurückzukehren, misslingt und nach einer kurzen Anstellung als Dorfarzt in Teresva sieht sich die Familie angesichts des Scheiterns einer unabhängigen Karpathoukraine genötigt, 1939 nach Wien zu emigrieren, das der Vater bereits aus früheren Jahren kannte. Seine damaligen Kontakte zu den Psychiatern Julius Wagner-Jauregg und Otto Pötzl verschaffen ihm einen Posten als nachgeordneter Arzt an der Psychiatrischen Klinik Am Steinhof. (vgl. Okopenko, Erinnerung, 2008)

Wie auch Fotos

belegen, wird Okopenko mit 10 Jahren – wie die meisten seiner Altersgenossen – in das Deutsche Jungvolk, eine Suborganisation der Hitlerjugend für 10-14-jährige Knaben, eingegliedert. Zweimal nimmt Okopenko an sogenannten Kinderlandverschickungslagern teil, die einerseits zum Zwecke der Erholung und des Schutzes der Jugend vor Luftangriffen dienen. Andererseits haben diese Ferienaufenthalte auch das Ziel, die Jugend mit der Ideologie der Hitlerjugend zu indoktrinieren und durch sportliche Übungen für den militärischen Einsatz vorzubereiten.

In der Zeit der Kinderlandverschickung beginnt Okopenko auch, intensiv Tagebuch zu führen. Die Zeit der NS-Diktatur wird er etwa 40 Jahre später – u.a. auf der Grundlage seines Tagebuchs – im "Kindernazi" literarisch auf eindrückliche Art und Weise verarbeiten.

Während des Krieges besucht Okopenko zunächst das Ottakringer Gymnasium. In den letzten Kriegsmonaten ist allerdings an einen regulären Schulbesuch nicht mehr zu denken. Immer wieder werden die Schüler von HJ-Führern zu Einsätzen abkommandiert oder der Unterricht fällt wegen Luftangriffen aus. Etwa einen Monat nach Ende des Krieges erfolgt die Anmeldung im Staatsgymnasium Wien XIII, Fichtnergasse, wo dem 15-Jährigen in Aussicht gestellt wird, die 6., 7. und 8. Klasse in einem Jahr zu absolvieren. Zur Überbrückung besucht Okopenko in den Sommermonaten das Gymnasium in der Wenzgasse. Schließlich wird Okopenko im Herbst 1945 in der 7. Klasse in der Fichtnergasse aufgenommen, wie eine Ausspeisungskarte der Schule vom September 1945 anschaulich belegt. 1947 legt Okopenko schließlich erfolgreich die Matura ab und gibt zudem mit Kollegen eine Maturazeitung heraus. Das Interesse für Literatur, aber auch für chemische Versuche ist bereits in der Schulzeit stark ausgeprägt.

Im Wintersemester 1947 nimmt Okopenko ein Chemiestudium an der Universität Wien auf.

Die Inskription scheint anfangs aufgrund einer fehlenden Aufenthaltsbewilligung nicht möglich zu sein. Okopenko ist zu diesem Zeitpunkt noch staatenlos und sucht erst im Februar 1951 um die österreichische Staatsbürgerschaft an, die ihm schließlich am 21. September 1951 verliehen wird.

1950 bricht Okopenko sein Chemiestudium zugunsten einer immer intensiver werdenden literarischen Tätigkeit und der Aufnahme seiner Berufstätigkeit in der Papierhandelsgesellschaft Lindner & Co. K.G. (PHG) ab. Erste literarische Versuche erfolgten allerdings bereits in den letzten Kriegsjahren. Auch auf das Schreiben von Gedichten und Kurzprosa erhalten wir durch die in den Tagebüchern der 1940er-Jahre enthaltenen Erwähnungen von literarischen Entwürfen Hinweise.

Während seiner Studienzeit gibt Okopenko eine Zeitung unter dem bezeichnenden Titel "N2O" – der chemischen Formel für Lachgas – heraus. 1950 tritt er in die Redaktion der "Neuen Wege" ein, vernetzt sich immer mehr in literarischen Zirkeln und gründet 1951 seine eigene Literaturzeitung, die "publikationen einer wiener gruppe junger autoren", die er selbst bis 1953 herausgibt. Ab Anfang 1950 spitzt sich die Diskrepanz zwischen Chemieleidenschaft und Literaturbegeisterung immer mehr zu. Letztendlich obsiegt in diesem Zwiespalt die Literatur.

Der Brotberuf eines Betriebsabrechners bleibt für Okopenko jedoch zunächst existentiell notwendig, da er ab 1952 eine Schreibkrise durchmacht, die erst Anfang der 1960er-Jahre überwunden wird. Bezeichnenderweise veröffentlicht Okopenko in dieser Zeit fast ausschließlich in Zeitungen und Zeitschriften. Allein der Lyrikband "Grüner November" kommt im deutschen Piperverlag 1957 auf den Markt. Zahlreiche Gedichte, die bereits Anfang der 1950er-Jahre entstanden und teilweise in Periodika publiziert wurden, sind dort versammelt.

Erst 1968 gibt Okopenko seine Tätigkeit als Betriebsabrechner auf und widmet sich fortan ausschließlich dem Schreiben. 1967 hat er bereits mit dem Erzählband "Die Belege des Michael Cetus" auf sich aufmerksam gemacht. Die Beschäftigung und Auswertung alter Tagebucheinträge ist dabei schon ein konstitutives Moment seines literarischen Schaffens gewesen, allerdings wird das dazu herangezogene Material sehr stark verfremdet.

Mit dem „Lexikon-Roman“ legt Okopenko 1970 eine experimentellere Prosa vor, in der jeglicher Erzählzusammenhang durchkreuzt wird und in der die alphabetische Struktur des Lexikons mit Verweisen zwischen den Lexikoneinträgen die Struktur vorgibt. Dieser Form des Schreibens bleibt Okopenko auch mit den 1976 erstmals erschienenen "Meteoriten" treu, etabliert dort jedoch zum ersten Mal explizit auch biographische Bezüge, indem er mit diesem zweiten umfangreicheren Roman den Zeitgeist der 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre miszellenartig einfangen wollte. Dem lyrischen Schaffen bleibt Okopenko jedoch über die Jahre treu und prägt mit 1983 erstmals publizierten „Lockergedichten“ eine spezielle Art der Spontanpoesie.

Eine Ehrung von offizieller Seite wird Okopenko erst relativ spät zuteil. Den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur erhält er 1998. Die Aufnahme in den Österreichischen Kunstsenat erfolgt ein Jahr später. Für sein lyrisches Schaffen erhält Okopenko schließlich 2002 den renommierten Georg-Trakl-Preis der Stadt Salzburg.

Am 27. Juni 2010 stirbt Andreas Okopenko in Wien. Er ist auf dem Grinzinger Friedhof in einem ehrenhalber gewidmeten Grab bestattet.

Ausgewählte Sekundärliteratur

"Gespräch mit Andreas Okopenko und Konstanze Fliedl". 2007.
"Witzlicht statt Blitzlicht oder: Plädoyer für die Liebe jenseits von Gans und Gockel". 2004.
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Strigl, Daniela: "Die „füllige Wirklichkeit“". In Der Standard. Wien 2005.
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Zitiervorschlag
Okopenko, Andreas: Tagebücher 1949–1954. Digitale Edition, hrsg. von Roland Innerhofer, Bernhard Fetz, Christian Zolles, Laura Tezarek, Arno Herberth, Desiree Hebenstreit, Holger Englerth, Österreichische Nationalbibliothek und Universität Wien. Wien: Version 2.0, 21.11.2019. URL: https://edition.onb.ac.at/okopenko

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