Für junge Autorinnen und Autoren in Österreich war es nicht leicht, im Literaturbetrieb der 1950er Jahre Fuß zu fassen. Nicht nur bei der Suche nach Veröffentlichungsmöglichkeiten und Verlagen bestanden Schwierigkeiten (Okopenko 2000, 14), sondern die junge Generation war auch mit dem Vorwurf konfrontiert, in ihren literarischen Werken keine aktuellen politischen und gesellschaftlichen Probleme aufzunehmen und darzustellen. Auch wenn es einerseits Versuche im österreichischen Literaturbetrieb gab, junge AutorInnen zu entdecken und zu fördern, führten gleichzeitig deren Experimente mit neuen literarischen Ausdrucksformen, die durch eine steigende Rezeption moderner Literatur angeregt wurden, zu Widerstand und Protesten von Teilen der Öffentlichkeit. (Siehe auch Themenkommentar Literarische Netzwerke)
In mehreren österreichischen Zeitschriften wurde Anfang der 1950er Jahre über die „Jugend“ und mit der Jugend diskutiert. Dabei ging es um verschiedene Themen, die die junge Generation betrafen – neben den spezifisch literaturbezogenen Auseinandersetzungen spielten auch Liebe, Freundschaft oder Moral eine Rolle. Der „Jugend“ waren eigene Rubriken oder Artikelserien gewidmet – dazu zählten u.a. mehrere Rubriken in der Zeitschrift „Neue Wege“ („Der Jugend das Wort“, „Junge Autoren“ oder „Die Jugendseite“), die Rubrik „Tribüne der Jugend“ in der „Welt am Montag“, die dortigen „Glossen“ von Hans Weigel oder die von Reinhard Federmann betreute Artikelserie „Junge Menschen – heute“, die ab 11.4.1950 in der „Welt am Montag“ erschien. Auch die im Herbst 1950 in der „Arbeiterzeitung“ geführte „Diskussion um die Dichterjugend Österreichs“ ist ein Beispiel dafür. Beiträge dazu kamen z.B. von Felix Hubalek oder Hans Weigel. (Siehe auch Themenkommentar Medien)
Die Tagebücher Andreas Okopenkos dokumentieren, wie er selbst an solchen öffentlichen Auseinandersetzungen teilnahm. Mehrere frühe Leserbriefe, die Okopenko verfasste, sind durch die Tagebücher eruierbar. Manche dieser Leserbriefe – von ihm selbstbewusst „Artikel“ benannt – wurden sogar zitiert, z.B. Okopenkos Ausführungen zu Ehe und Moral (Welt am Montag, 19.12.1949), sein Beitrag zur Diskussion über Rücksicht und Höflichkeit (Welt am Montag, 24.4.1950) oder seine Meinung zur Verlobung (Welt am Montag, 3.7.1950).
Auch die Entstehung erster essayistischer und literarischer Texte Okopenkos, die die
Debatte um die „Jugend“ aufnahmen, ist in den Tagebüchern dokumentiert. Dazu zählt das
Gedicht „Die blaue Dissertation“,
das im März 1950 in der Zeitschrift „Neue Wege“ erschien. Okopenko reagierte damit auf
einen im Februarheft 1950 publizierten Kommentar von Hubert
Braunsperger, der das Schweigen der Jugend als Folge des Zweiten Weltkrieg erklärt
hatte, der zu einer Betonung des Intellektuellen und einem starken Gefühl der
Verantwortung geführt hatte, aber auch zu Nihilismus und fehlenden Idealismus der jungen
AutorInnen. Diesem Standpunkt setzte ich ein Gedicht entgegen, das mir
nur so aus der Feder floss
, schrieb Okopenko am 4. März 1950. Sein Tagebuch
enthält auch mehrere Entwürfe
der „Blauen Dissertation“.
Im Gegensatz zur Anschuldigung, junge AutorInnen würden keine wichtigen Fragen der
Gegenwart aufgreifen, enthalten Okopenkos frühe Texte sehr wohl eine Beschäftigung mit
aktuellen Themen. Deutlich wird dies u.a. an seiner Auseinandersetzung mit Krieg und
Atomgefahr, die den Gedichten „Korea“ oder „Prolog zum Weihnachtsfest“
inherent ist. Das letztere Gedicht, für das Okopenko im Dezember 1949 ein Honorar von 10
Schilling bekam (siehe Tagebucheintrag vom 28.12.1949), fand großen Anklang auf der ersten Tagung
junger AutorInnen, die von dem „Neue Wege“-Redakteur Franz Häußler am 16.1.1950 in Wien
organisiert wurde. Es wurde auch bei einer Veranstaltung der „Neuen Wege“ am 25.2.1950
gelesen, über die sich Okopenko in seinem Tagebuch entsetzt zeigte: Eine gesellschaftliche Veranstaltung, aber keine 'Neuen Wege'.
(Tagebucheintrag 25.2.1950).
Meinungsverschiedenheiten über literarische Stile gab es jedoch nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch innerhalb der Generation junger AutorInnen selbst. Deutlich wird das an der Forderung des 1925 geborenen Herbert Eisenreich nach „Mehr Zucht“, der in seinem gleichlautenden Artikel (Neue Wege, 1951/03, Bd. 63, 238–239) Kritik an einer „Verluderung der Begriffe“, „Unklarheit des Denkens“ und „Unzucht der Gefühle“ übte. Zur literarischen Auseinandersetzung Okopenkos mit Herbert Eisenreich, der nicht nur in der zeitgenössischen Diskussion des Surrealismus eine ablehnende Haltung vertrat, sondern Okopenko in einem dem Tagebuch beiliegenden Brief auch mehr Nähe zum Realismus empfahl, geben die Tagebücher wichtige Anhaltspunkte.
Die Diskussion des Schweigens der Jugend ergänzte Eisenreich mit dem Hinweis darauf, dass sich junge AutorInnen auch um ihr Mittagessen kümmern müssten (Neue Wege, 1950/03, Bd. 53, 476). Diese Diagnose spielte auch für die schriftstellerische Laufbahn Okopenkos eine Rolle. Seine frühe Entwicklung als Autor ist in den Tagebüchern der 1950er Jahre dokumentiert. Nach den ersten literarischen Anfängen war Okopenko aber immer mehr mit seiner beruflichen Tätigkeit ausgelastet und fand zunehmend weniger Zeit zum Schreiben. (Siehe auch Biografie)
Ein zentraler Bestandteil der Diskussion um die „Jugend“ war die Befürchtung, bestimmte Literatur und Filme könnten einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung von jungen Menschen in Österreich ausüben. Bedenken gab es hinsichtlich des Konsums von Liebesromanen, Comics sowie Filmen, die in Zusammenhang mit Erotik und sexueller Aufklärung standen. Nicht nur katholische Initiativen und pädagogische Institutionen, sondern auch politische Organisationen und Lehrkräfte forderten, den Konsum und die Verbreitung solcher Werke einzuschränken und zu kontrollieren. Von der damaligen Regierung wurde daher das „Gesetz zum Schutz der Jugend“, das sogenannte „Schmutz- und Schundgesetz“ erlassen, das am 14. Mai 1950 in Österreich in Kraft trat.
Okopenko registrierte diese Debatte nicht nur in seinem Tagebuch, sondern reagierte bereits ab 1948 mit eigenen Kommentaren, die in den Tagebüchern genannt werden: darunter die „Stellungnahme zum Schund/Schmutz“ oder „Aktuelles zum Schmutz- und Schundgesetz“, wo er den Profit der ProduzentInnen sowie die fehlende Auseinandersetzung in der Erziehung kritisierte.
Die Schmutz- und Schund-Diskussion verdeutlicht aber auch, wie in der österreichischen Nachkriegszeit moralische Befürchtungen mit inhaltlich-stilistischen Aspekten verknüpft wurden. Anhand der Tagebücher Okopenkos wird sichtbar, welche Auswirkungen die „Schmutz und Schund“-Diskussion auf Texte junger AutorInnen in Österreich hatte (siehe auch Themenkommentar Literarische Netzwerke). Ein Beispiel dafür ist die Beschwerde der ehemaligen ÖVP-Nationalratsabgeordneten Nadine Paunovic, die im Hinblick auf Okopenkos „Gedicht in Prosa“ moralische Bedenken ausgesprochen und sich bei der Redaktion der „Neuen Wege“ beschwert hatte.
Okopenko, der selbst Teil des dortigen „Arbeitskreises junger Autoren“ war, besprach die dadurch entstandene Situation mit seinem Kollegen Friedrich Polakovics und bereitete einen Brief an Franz Häußler und die Redaktion der „Neuen Wege“ vor. Der Brief vom 21.6.1950, der am Literaturarchiv erhalten ist (Teilvorlass Andreas Okopenko, Sign. 269a/05), vermittelt die moralisch geprägte Diskussion, die Anfang der 1950er Jahre im österreichischen Literaturbetrieb geführt wurde. Okopenko wehrte sich in seinem Schreiben eindringlich gegen den Vorwurf, in seinem Gedicht eine „leichtfertige Lebensauffassung“ und eine „Herabsetzung der Frauenpersönlichkeit“ propagiert zu haben. Gegen diese Anschuldigungen führte er verschiedene, von ihm selbst verfasste Texte sowie seine Leserbriefe aus der „Welt am Montag“ an, in denen er sich für eine bessere Verständigung der Geschlechter ausgesprochen hatte.
Auch wenn sich Häußler Anfang der 1950er Jahre als Redakteur der Zeitschrift „Neuen Wege“ für junge AutorInnen eingesetzt hatte, beschwerte sich Okopenko in seinem Tagebuch schon im November 1950 über die „Hofräte“, die sich Urteile über die Literatur der jungen Generation erlaubten. Ende 1953 kritisierte er mit seinem Beitrag „Die verdächtige Ordnung“ öffentlich die Art von Literatur, die in den „Neuen Wegen“ veröffentlicht wurde (siehe Tagebuch Januar 1954).
In seinen Tagebüchern sind auch Filme als Teil der „Schmutz und Schund“-Debatte dokumentiert, etwa wenn er mit Ernst Kein und H.C. Artmann über amerikanische Schundfilme sprach (siehe Eintrag vom 23.5.1950) oder wenn er nach einem Kinobesuch am 6.7.1953 „Gefahren der Liebe“ kommentierte.