Lemberg 20/10 81.
Ulica Kotlarska

Lieber Herr College,

Noch nie ist es mir so schwer geworden, ein Man. abzuschicken, als diesmal. Heute muß es aber geschehen, sonst halten Sie mich für einen Zauderer und Trödler, der ich nicht bin.
Wir müßen die Lessing’sche Ausgabe abdrucken laßen; wenigstens wage ich es nicht die Einzeldrucke wiederzugeben. 1. habe ich nicht alle und vielleicht auch nicht immer die echten Drucke; 2) wüßte ich nicht, nach welchem Druck die anderen, nicht einzeln er[s]chienenen Lieder wiederzugeben wären; Der Schlachtgesang bei Eröffnung des Feldzuges 1757 scheint in der Bibl. der Wiss. zuerst gedruckt zu sein; eine Einheit ließe sich kaum herstellen; damit nun die wenigen abweichenden Lesarten der Flugblätter nicht verloren gehen, so habe ich sie zusammengestellt u[n]d reihe sie der Vorrede ein, ebenso die handschriftl. Lesarten, die mir zu Gebote stehen, so daß wir eine kritische Ausgabe in nuce und doch den intacten Neudruck beisammen haben. Wenn Sie einen Blick auf meine (nur für mich gemachten Notizen) unter dem Striche werfen wollen, so können Sie sich über mein critisches Material selbst eine Meinung bilden. Interpunction und Orthogr. berücksichtige ich aber bei meiner Zusammenstellung in der Vorrede nicht. Diese wird also 1.) eine allgemeine Würdigung der KL. 2) die bibliogr. Beschreib. der zu Grunde gelegten [A]usgaben 3) die Varianten der Einzeldrucke & Man. und 4) einige Beiträge zur Erklärung im Einzelnen an der Hand mehrerer ungedruckter Briefstellen bringen; ich vermeide die Form des Kommentars, ohne die Sache selbst aufzugeben. Ein wenig Zeit müßen Sie mir aber zu dieser Einleitung noch geben; ich denke, daß der Druck des Textes, wenn er gleich in Angriff gewonnen wird, doch mindestens 14 [Ta]ge dauert; bis dahin soll das Man. bereits von Ihnen durchgearbeitet sein. Denn es ist selbstverständlich, daß Sie mir ganz unbe- schränkt Ihre Bemerkungen, Änderungsvorschläge etc. mitteilen. Ich glaube mit 1 ½ Bogen auszukommen.
Lachen Sie nicht über die komische Art, mit der ich den Titel der KL wiederzugeben suchte; ich bin aber in allen ‚zeichnenden Künsten‘ schlecht bewandert. Im Orig. hat jedes Lied ein Schmutzblatt mit dem Titel vor sich, wie Sie aus der Zählung sehen werden. Ich glaube, daß es genügt, wenn wir nur bei jedem Liede eine neue Seite beginnen.
Und nun besten Dank für Brief, Karte, Buch und Re[cen]s. Die letztere hat mich sehr gefreut. Sie ist der schönste Lohn für meine Mühe, den ich mir vorstellen kann. Ich danke Ihnen herzlichst dafür. Sie hat mir aber auch viele Anregung gegeben. Bes. ist die Bemerkung [da]ß Ramler & Körte doch Kleistsche Lesarten in den gemeinsamen Versen benutzt hätten, nicht abzuweisen. Ohne neue gründl. Prüfung könnte ich freilich ein Urtheil nicht fällen. Daß ich Kleist zu günstig beurteilt habe, glaube ich auch heute noch nicht. Als Dichter gewiß nicht. Als Mensch vielleicht.
Ihre Einleitung zu Müllers Faust ist sehr schön, greift aber nach meiner Meinung zu weit aus. Wenn solche Vorreden das Publicum an die Sammlung heranziehen, dann freilich muß dieses Opfer gebracht werden; wie wärs, wenn Sie einmal ein [lu]stiges Heftchen aus den Romantikern brächten, Brentano, Tieck oder Arnim. Auf die Frankfurter Gelehrten Anzeigen freue ich mich sehr. Da hat die Masse der Philologen was zu kauen und ich sehe schon im Geiste wie jeder Recensent des Heftchens neue Entdeckungen über die Scheidung der Autoren macht.
Ich war mit Übersiedlung, Bücherordnen, Collegienbeginn etc. so beschäftigt, daß ich seit den zehn Tagen meines Lemberger-Aufenthaltes noch nicht zu Athem gekommen bin. Daher auch die Verzögerung, die Sie gütigst entschuldigen wollen ebenso wie die Flüchtigkeit dieses Briefes.
Und nun seien Sie bestens gegrüßt von
Ihrem
Ergebenen
DrSauer.

Das Heft ‚an die Kriegsmuse‘ [fo]lgt zurück; es ist der Orig. Druck, den ich in 2 Exemplaren zur Verfügung habe. hätte ich ihn früher gehabt, so wäre vielleicht das Abschreiben zu ersparen gewesen.

Lemberg 20/10 81.
Ulica Kotlarska

Lieber Herr College,

Noch nie ist es mir so schwer geworden, ein Man. abzuschicken, als diesmal. Heute muß es aber geschehen, sonst halten Sie mich für einen Zauderer und Trödler, der ich nicht bin.
Wir müßen die Lessing’sche Ausgabe abdrucken laßen; wenigstens wage ich es nicht die Einzeldrucke wiederzugeben. 1. habe ich nicht alle und vielleicht auch nicht immer die echten Drucke; 2) wüßte ich nicht, nach welchem Druck die anderen, nicht einzeln er[s]chienenen Lieder wiederzugeben wären; Der Schlachtgesang bei Eröffnung des Feldzuges 1757 scheint in der Bibl. der Wiss. zuerst gedruckt zu sein; eine Einheit ließe sich kaum herstellen; damit nun die wenigen abweichenden Lesarten der Flugblätter nicht verloren gehen, so habe ich sie zusammengestellt u[n]d reihe sie der Vorrede ein, ebenso die handschriftl. Lesarten, die mir zu Gebote stehen, so daß wir eine kritische Ausgabe in nuce und doch den intacten Neudruck beisammen haben. Wenn Sie einen Blick auf meine (nur für mich gemachten Notizen) unter dem Striche werfen wollen, so können Sie sich über mein critisches Material selbst eine Meinung bilden. Interpunction und Orthogr. berücksichtige ich aber bei meiner Zusammenstellung in der Vorrede nicht. Diese wird also 1.) eine allgemeine Würdigung der KL. 2) die bibliogr. Beschreib. der zu Grunde gelegten [A]usgaben 3) die Varianten der Einzeldrucke & Man. und 4) einige Beiträge zur Erklärung im Einzelnen an der Hand mehrerer ungedruckter Briefstellen bringen; ich vermeide die Form des Kommentars, ohne die Sache selbst aufzugeben. Ein wenig Zeit müßen Sie mir aber zu dieser Einleitung noch geben; ich denke, daß der Druck des Textes, wenn er gleich in Angriff gewonnen wird, doch mindestens 14 [Ta]ge dauert; bis dahin soll das Man. bereits von Ihnen durchgearbeitet sein. Denn es ist selbstverständlich, daß Sie mir ganz unbe- schränkt Ihre Bemerkungen, Änderungsvorschläge etc. mitteilen. Ich glaube mit 1 ½ Bogen auszukommen.
Lachen Sie nicht über die komische Art, mit der ich den Titel der KL wiederzugeben suchte; ich bin aber in allen ‚zeichnenden Künsten‘ schlecht bewandert. Im Orig. hat jedes Lied ein Schmutzblatt mit dem Titel vor sich, wie Sie aus der Zählung sehen werden. Ich glaube, daß es genügt, wenn wir nur bei jedem Liede eine neue Seite beginnen.
Und nun besten Dank für Brief, Karte, Buch und Re[cen]s. Die letztere hat mich sehr gefreut. Sie ist der schönste Lohn für meine Mühe, den ich mir vorstellen kann. Ich danke Ihnen herzlichst dafür. Sie hat mir aber auch viele Anregung gegeben. Bes. ist die Bemerkung [da]ß Ramler & Körte doch Kleistsche Lesarten in den gemeinsamen Versen benutzt hätten, nicht abzuweisen. Ohne neue gründl. Prüfung könnte ich freilich ein Urtheil nicht fällen. Daß ich Kleist zu günstig beurteilt habe, glaube ich auch heute noch nicht. Als Dichter gewiß nicht. Als Mensch vielleicht.
Ihre Einleitung zu Müllers Faust ist sehr schön, greift aber nach meiner Meinung zu weit aus. Wenn solche Vorreden das Publicum an die Sammlung heranziehen, dann freilich muß dieses Opfer gebracht werden; wie wärs, wenn Sie einmal ein [lu]stiges Heftchen aus den Romantikern brächten, Brentano, Tieck oder Arnim. Auf die Frankfurter Gelehrten Anzeigen freue ich mich sehr. Da hat die Masse der Philologen was zu kauen und ich sehe schon im Geiste wie jeder Recensent des Heftchens neue Entdeckungen über die Scheidung der Autoren macht.
Ich war mit Übersiedlung, Bücherordnen, Collegienbeginn etc. so beschäftigt, daß ich seit den zehn Tagen meines Lemberger-Aufenthaltes noch nicht zu Athem gekommen bin. Daher auch die Verzögerung, die Sie gütigst entschuldigen wollen ebenso wie die Flüchtigkeit dieses Briefes.
Und nun seien Sie bestens gegrüßt von
Ihrem
Ergebenen
DrSauer.

Das Heft ‚an die Kriegsmuse‘ [fo]lgt zurück; es ist der Orig. Druck, den ich in 2 Exemplaren zur Verfügung habe. hätte ich ihn früher gehabt, so wäre vielleicht das Abschreiben zu ersparen gewesen.

Briefdaten

Schreibort: Lemberg
Empfangsort: Würzburg
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-9
Umfang: 7 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8209 [Druckausgabe Nr. 10]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8209/methods/sdef:TEI/get

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