Graz 25/12 84.
Lieber Freund!
Sie werden eine umgehende Antwort nicht erwartet haben, am wenigs[ten] mit Manuscript. Erschrecken Sie nicht; es gehört blos zum Anschauen. Indem ich nemlich Ihren Brief lese u. die betreffenden Papiere durchsehe, bemerke ich, daß ich eine Abschrift der 2. Ausgabe mit den Varianten der ersten Drucke (wahrscheinlich noch in Lemberg in denkfauler Zeit) angefertigt habe. Sie werden daraus [er]sehen, daß die Vergleichung nicht viel ergiebt. Wollen Sie, daß auch die orthographischen Varianten angemerkt werden, so können sie unterm Text stehen bleiben oder als Anmerkungen am Schluße auftreten. (Beim ‚Tempel‘ ist die Vergleichung nicht vollstä[n]dig durchgeführt; es war mir offenbar zu langweilig; aber der Text ist an der hiesigen Bibliothek.)
Die Beschäftigungen auf dem Lande habe ich vor Jahren für Kleist gesucht u. nicht gefunden. Waniek scheint sie auch nicht zu kennen. Pyras Halberstädter Hdschft habe ich zwar durchgearbeitet, aber nicht abge[sch]rieben. Ich glaube, die Tragödien lohnen die Mühe des Druckes nicht. Ziehen Sie aber ein Heft Pyra (mit d. Handschriften) dem Neudruck der freundschaftlichen Lieder vor, so [m]üßte das, falls ich es machen sollte, noch 1 Jahr warten. Besser wäre es überhaupt Waniek dazu aufzufordern, der vielleicht die Sachen abgeschrieben liegen hat. Ich glaube aber, solche Specialarbeiten werden Sie mit der Zeit aus den DLD verbannen müßen. Die ‚Lieder‘ aber repräsentiren eine Richtung, waren ein viel gelesenes Buch und wenn Sie dieses reproduciren, sind Sie Ihre Verpflichtung gegen Lange u. Consorten für ewige Zeiten los. Auch das scheint mir zu Gunsten der ‚Lieder‘ zu sprechen, daß Bodmer sie herausgegeben u. m[it] Übersetzungen geschmückt hat. Wir bringen gewissermassen wieder eine Collectivarbeit wie bei den Grenadiersliedern. Erwarten Sie aber von meiner Einleitung nichts neues; nur die Nothwendigkeit des Neudruckes will ich gründlich rechtfertigen. Wenn Sie mir das Ms. umgehend wieder schicken, will ich bis Mitte Febru[ar] die Einleitung versprechen. Der Uz kann doch erst zu Ostern fertig werden; da müßten Sie ein Heft einschieben. Über die Einleitung zu den guten Frauen nächstens.
Leuthold ist ein lieber alter Freund von mir seit der ersten Auflage; auch die dritte habe ich gesehen, weil ich sie als Geschenk verwendete. Bächtolds schöne Einleitung stand zuerst vor ein paar Jahren in Nord und Süd. So schlecht ich die modernen Dramatiker kenne, so gut kenne ich die modernen Lyriker. Eine Entwickelungsgeschichte deutscher Lyrik [i]m 18. & 19. Jh. schwebt mir seit langem als ein Lieblingsplan vor der Seele! Hinab mit ihm in das Chaos, in dem die andern Pläne ruhen. Ich bin mit Recensionen arg im Rückstande; hoffe aber nächstens den ganzen Wust aufzuarb[ei]ten. Nehmen Sie Keilnicht zu hart mit, weil Sie dadurch dem ganzen Unternehmen schaden. Als das Heft in Druck war, giengen uns freilich die Augen auf. Warum waren wir aber auch so stockblind! Meine Ahnfrau erscheint spätestens zu Ostern; sie ist soeben beim letzten Putze u. fast gefällt sie mir!
Ich stecke gerade in der zweiten [A]uflage des Grimm; ein herrliches, herrliches Buch! Ich will zum 4. ein paar Zeilen in unsere Tagespost schreiben, nur damit nicht etwas noch schlechteres dort den Raum füllt.
Vielen dank für Ihre Mitteilungen; theilen Sie mir Ihren [E]ntschluß bald mit.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Ergebener
August Sauer.
Graz 25/12 84.
Lieber Freund!
Sie werden eine umgehende Antwort nicht erwartet haben, am wenigs[ten] mit Manuscript. Erschrecken Sie nicht; es gehört blos zum Anschauen. Indem ich nemlich Ihren Brief lese u. die betreffenden Papiere durchsehe, bemerke ich, daß ich eine Abschrift der 2. Ausgabe mit den Varianten der ersten Drucke (wahrscheinlich noch in Lemberg in denkfauler Zeit) angefertigt habe. Sie werden daraus [er]sehen, daß die Vergleichung nicht viel ergiebt. Wollen Sie, daß auch die orthographischen Varianten angemerkt werden, so können sie unterm Text stehen bleiben oder als Anmerkungen am Schluße auftreten. (Beim ‚Tempel‘ ist die Vergleichung nicht vollstä[n]dig durchgeführt; es war mir offenbar zu langweilig; aber der Text ist an der hiesigen Bibliothek.)
Die Beschäftigungen auf dem Lande habe ich vor Jahren für Kleist gesucht u. nicht gefunden. Waniek scheint sie auch nicht zu kennen. Pyras Halberstädter Hdschft habe ich zwar durchgearbeitet, aber nicht abge[sch]rieben. Ich glaube, die Tragödien lohnen die Mühe des Druckes nicht. Ziehen Sie aber ein Heft Pyra (mit d. Handschriften) dem Neudruck der freundschaftlichen Lieder vor, so [m]üßte das, falls ich es machen sollte, noch 1 Jahr warten. Besser wäre es überhaupt Waniek dazu aufzufordern, der vielleicht die Sachen abgeschrieben liegen hat. Ich glaube aber, solche Specialarbeiten werden Sie mit der Zeit aus den DLD verbannen müßen. Die ‚Lieder‘ aber repräsentiren eine Richtung, waren ein viel gelesenes Buch und wenn Sie dieses reproduciren, sind Sie Ihre Verpflichtung gegen Lange u. Consorten für ewige Zeiten los. Auch das scheint mir zu Gunsten der ‚Lieder‘ zu sprechen, daß Bodmer sie herausgegeben u. m[it] Übersetzungen geschmückt hat. Wir bringen gewissermassen wieder eine Collectivarbeit wie bei den Grenadiersliedern. Erwarten Sie aber von meiner Einleitung nichts neues; nur die Nothwendigkeit des Neudruckes will ich gründlich rechtfertigen. Wenn Sie mir das Ms. umgehend wieder schicken, will ich bis Mitte Febru[ar] die Einleitung versprechen. Der Uz kann doch erst zu Ostern fertig werden; da müßten Sie ein Heft einschieben. Über die Einleitung zu den guten Frauen nächstens.
Leuthold ist ein lieber alter Freund von mir seit der ersten Auflage; auch die dritte habe ich gesehen, weil ich sie als Geschenk verwendete. Bächtolds schöne Einleitung stand zuerst vor ein paar Jahren in Nord und Süd. So schlecht ich die modernen Dramatiker kenne, so gut kenne ich die modernen Lyriker. Eine Entwickelungsgeschichte deutscher Lyrik [i]m 18. & 19. Jh. schwebt mir seit langem als ein Lieblingsplan vor der Seele! Hinab mit ihm in das Chaos, in dem die andern Pläne ruhen. Ich bin mit Recensionen arg im Rückstande; hoffe aber nächstens den ganzen Wust aufzuarb[ei]ten. Nehmen Sie Keilnicht zu hart mit, weil Sie dadurch dem ganzen Unternehmen schaden. Als das Heft in Druck war, giengen uns freilich die Augen auf. Warum waren wir aber auch so stockblind! Meine Ahnfrau erscheint spätestens zu Ostern; sie ist soeben beim letzten Putze u. fast gefällt sie mir!
Ich stecke gerade in der zweiten [A]uflage des Grimm; ein herrliches, herrliches Buch! Ich will zum 4. ein paar Zeilen in unsere Tagespost schreiben, nur damit nicht etwas noch schlechteres dort den Raum füllt.
Vielen dank für Ihre Mitteilungen; theilen Sie mir Ihren [E]ntschluß bald mit.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Ergebener
August Sauer.
Schreibort: Graz
Empfangsort: Würzburg
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 422/1-49
Umfang: 7 Seite(n)
Rohtranskription, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8291. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8291/methods/sdef:TEI/get
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