Prag II Stefansgasse 3.
14. Juni 1886.

Lieber Freund! Ich hätte die Pfingstfeiertage nach Wien fahren sollen; auch zu einem andern Ausfluge wollte man mich bereden; ich aber bin froh die Ruhe und Ordnung die ich mir endlich geschafft habe auch genießen zu können und eine der ersten Früchte, die sie mir getragen hat zu pflücken indem ich die halb abgerissenen Fäden meiner Correspondenz wieder anknüpfe. Ihnen wollte ich gleich nachdem mir das erfreuliche Resultat von Schönbach mitgetheilt worden war zu dem Vorschlage gratulieren. Aber wieder eine so trockene Karte wie meine erste von hier aus war – ich brachte es nicht über mich. Ich kann es Ihnen nicht sagen, was für eine Freude und Befriedigung es mir gewähren würde, wenn Sie nach Österreich, wenn Sie nach Graz kämen, und da Sie nicht allein, sondern gleich mit Ihrer Frau die Verpflanzung in die neuen Verhältnisse vornehmen werden, so wird sie Ihnen leichter fallen, als mir, der ich in kurzer Zeit zweimal allein unter fremde Menschen geworfen wurde. Wir würden uns dann im Laufe des Herbsts in Wien (oder Graz) treffen und ich könnte Ihnen mündlich meine Ansichten über die dortigen Verhältnisse besser mittheilen als auf dem Papier, auf dem alles so schwer und klebrig sich ausnimmt.
Nachdem der Kaiser zu Justis Berufung (die sich wie ich höre inzwischen wieder zerschlagen haben soll) seine Zustimmung gegeben hatte, so ist nicht zu früchten, daß politische Gründe Ihre Ernennung verderben könnten. Zu fürchten ist einzig u[n]d allein der Finanzminister; aber Gautsch soll viel mehr bei ihm durchsetzen als Conrad, der immer auf Kriegsfuß mit ihm lebte.
Ich habe während der letzten zwei Monate in großer Unruhe und Aufregung gelebt, die sich erst jetzt allmälig legt. In Graz zwang man mich zum Abschiede eine Scheffelrede zu halten, die ich etwas widerwillig und unter dem Getriebe des Abreisens ausarbeitete, dann aber mit Glück bei einem Commers in den allerersten Tagen hier wiederholte. Sie ist im Maiheft der Cott[asc]hen Zeitschrift gedruckt und die Grazer Collegen haben sie gelobt. Ich fühle nur zu gut, daß ich ganz von außen an die Sache herangegangen bin. Dann habe ich meine jetzige Kenntnis über die öst. Litteratur des 19. Jh. in meiner Antrittsvorlesung knapp zusammengefasst, die drucken zu lassen ich mich aber trotz mehrseitigen Zureden nicht entschlie- ßen konnte, weil das wichtigste daraus in meinem Buch über die ‚Ahnfrau‘ und in meiner Einleitung zur neuen Grillparzer Ausgabe seinerzeit zu lesen sein wird. In Wien habe ich peinliche Tage verlebt, indem ich die schwerkranke Mutter und den trostlosen Vater um mich hatte; ich konnte mich auch zu den notwendigsten Besuchen nicht zwingen; war nur [i]m Ministerium; 2 mal höchst einsilbig bei Minor, der übrigens mit seinen Hofrats-Allüren unausstehlich war; sonst saß ich immer im Stadtarchiv u. habe mit großem Genuß den ganzen Nachlaß rasch durchgenommen, so daß ich wenn ich Ende Juli nach Wien komme, gleich intensiv zu arbeiten anfangen kann. Ich glaube mich zu erinnern, daß Sie Grillparzer wenig Interesse entgegenbringen; aber einiges will ich Ihnen doch vorplaudern. Die neue Ausgabe soll 14 Bände umfassen, von welchen die zehn den alten entsprechenden un[ve]rändert bleiben müßen weil sie stereotypirt sind. Der zweite wird eine Nachlese zu den Gedichten und 4 fertige Jugenddramen enthalten, darunter die Blanka von Castilien. Der neunte wird den gesammten dramatischen Nachlaß, der aus wenigstens 30 Fragmenten, Skizzen, Plänen besteht zusammenfassen; darunter ein reizendes Fragment Psyche, wahrscheinlich eine Vorstudie zur Hero; scharfe litterarische u. politische Satiren in dramat. Form, so eine Fortsetzung der Zauberflöte gegen Kaiser Franz & Metternich. Das wichtigste ist ein Stück Fortsetzung der Esther, Schluß des 2. Aktes mit einer ganz prachtvollen Scene zwischen Haman und Mordochai und Beginn des 3. Aktes. Der 11 Band wird die Studien zu den griechischen und spanischen Dramatikern, der 13. alles übrige Ungedruckte aus den Pros[a]schriften enthalten, soweit es wertvoll und verständlich ist. Da Dr. Glossy gleichzeitig eine Sammlung von Briefen Grillparzers bei Cotta heraus gibt, so wird das Bild des Dichters in nächster Zeit ein volleres und reicheres werden. Mir aber geht ein Herzenswunsch in Erfüllung, den ich seit Grillparzers Tod und noch länger in mir trage und mit Hopfen kann ich sagen:

Als Jüngling hat man von so manchen Sachen
Gedanken, die nicht Stich zu halten pflegen[.]
Eins müßte mich vor Allem glücklich mache[n],
Meint’ ich, und Deutschland und die Welt bewegen
Womöglich unter Cottas altem Drachen
Solch einen Band Gedichte zu verlegen.

Ich habe mich nach der Obhut des alten Drachen immer gesehnt und ich glaube, daß diese neu eingegangene Verbindung für mich von Segen sein wird.
Doch, lieber Freund, wenn Sie diesen Brief lesen, werden Sie ein falsches Bild bekommen von dem was ich arbeite. Zwar lerne ich für Grillparzer fleißig spanisch und denke oft an diese Arbeit; aber diese selbst wird ja doch erst in den Ferien beginnen und den Winter ausfüllen; jetzt soll der ältere Ansbacher Freund ans Tageslicht, [a]uf das er so lange harrt. Zwar der Abstecher an die Dresdner Bibliothek war mir noch nicht möglich; denn ich blute noch aus alten Wunden von der Übersiedlung her und das Ministerium hat mir bis jetzt keinen Kreutzer ersetzt; auch ist mein Manuscript voll klaffender Lücken; aber ich hoffe doch diese auszufüllen und wenn Sie mir während des halben Jahres, den ja der Druck des Textes in Anspruch nehmen wird, die Einleitung wieder auf eine Zeit zur Nachbesserung zurückstellen wollen, werde [ic]h mich leichter dazu entschließen, sie Ihnen zu schicken. An einen bestimmten Tag kann ich mich vorerst noch nicht binden; es hängt so vieles von Frau Sonne ab; ob sie sich entschließt, länger hinter dem Wolkenschleier auszuharren oder ihre versengenden Blicke in den glühenden Thalkessel sendet, in den Prag gebannt ist.
Über Ihre Arbeit an der Goethe-Ausgabe habe ich Ihnen meine Meinung schon geschrieben. Sie opfern so viele Zeit der Sammlung Ihrer Neudrucke, Zeit, die Ihnen (wie mir bei der meinigen) doch eigentlich für die eigene Arbeit entgeht, wenn Sie diese auch noch so energisch fördern. Wollen Sie beides bewältigen? Wenigstens sollen Sie sich für die DLD inzwischen eine Hilfskraft nehmen[;] ich komme immer mehr zur Einsicht, daß man mechanische Arbeiten wie Abschriften etc. ganz von sich abwälzen soll und auch bei dem Correcturlesen sich so viel als möglich helfen lassen soll. Freilich übe ich praktisch diese Einsicht noch nicht aus; wenn sich meine Verhältnisse aber stabilisiren werden, dann soll es geschehen. Erich Schmidt scheint dies jetzt in großem Style zu thun; denn eigentlich käme ihm diese Arbeit der Revision selber zu. Wie die g[an]ze Ausgabe organisirt sein wird, das interessirt mich lebhaft. Daß Herr von Loeper die Biographie schreibt, halte ich nicht eigentlich für glücklich. Aber Scherer hat Recht: wenn ich einen Goethe schreibe – sagte er – so will ich ihn allein schreiben und meine Art der Betrachtung nimmt mir Herr von L. doch nicht weg. (Denken Sie sich: Max Koch hat Cotta eine dreibändige Goethe Biographie angeboten, die diese ablehnten! Im jetzigen Augenblicke!! Aber machen Sie keinen Gebrauch davon.)
Was sagen Sie dazu, daß Brahm auch einen Schiller schreibt. Hepp, Weltrich, Minor, Brahm. Wenn einer von den vieren die Briefe gesammelt hätte, das wäre doch vernünftiger. Minor will im nächsten Jahre mit dem 1. Bde heraus!
Ich weiß nicht, ob wir über Kochs neue Zeitschrift unsere Meinung schon ausgetauscht haben. Ich weiß nicht, ob er der rechte Mann dazu ist. Er will durchaus etwas ins erste Heft von mir haben; ich kann aber mit dem besten Willen wahrscheinlich nichts geben. Schönbach hält die ganze Idee für verfrüht, was ich nicht glaube.
Erwarten Sie heute keine Details über hiesige Verhältnisse; der Sommer ist eine schlechte Zeit zum Anfang in einer großen Stadt; ich trauere um das schöne, grüne, gesunde Graz in diesem Steinhaufen und vermisse wol auch gute Bekannte. Die Hörer (15 an der Zahl) sind reine Brotstudenten; sehr arm, ganz unwissend. Neue Litt. hat hier gar keine Tradition. Kelle ist sehr liebenswürdig; im Umgang witzig, unterhaltend; auch recht fleißig; aber einseitig und verschlagen. Sonst sind die Ordinarien hier sehr hochmüthig, ganz anders als in Graz.
Ihr armer König! Hier spricht man von nichts anderm. Unsere Zeitungen aber wühlen im Dreck. Pfui und nochmals Pfui!
Lassen Sie bald was von sich hören u. seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem aufrichtig ergebenen AS.

Prag II Stefansgasse 3.
14. Juni 1886.

Lieber Freund! Ich hätte die Pfingstfeiertage nach Wien fahren sollen; auch zu einem andern Ausfluge wollte man mich bereden; ich aber bin froh die Ruhe und Ordnung die ich mir endlich geschafft habe auch genießen zu können und eine der ersten Früchte, die sie mir getragen hat zu pflücken indem ich die halb abgerissenen Fäden meiner Correspondenz wieder anknüpfe. Ihnen wollte ich gleich nachdem mir das erfreuliche Resultat von Schönbach mitgetheilt worden war zu dem Vorschlage gratulieren. Aber wieder eine so trockene Karte wie meine erste von hier aus war – ich brachte es nicht über mich. Ich kann es Ihnen nicht sagen, was für eine Freude und Befriedigung es mir gewähren würde, wenn Sie nach Österreich, wenn Sie nach Graz kämen, und da Sie nicht allein, sondern gleich mit Ihrer Frau die Verpflanzung in die neuen Verhältnisse vornehmen werden, so wird sie Ihnen leichter fallen, als mir, der ich in kurzer Zeit zweimal allein unter fremde Menschen geworfen wurde. Wir würden uns dann im Laufe des Herbsts in Wien (oder Graz) treffen und ich könnte Ihnen mündlich meine Ansichten über die dortigen Verhältnisse besser mittheilen als auf dem Papier, auf dem alles so schwer und klebrig sich ausnimmt.
Nachdem der Kaiser zu Justis Berufung (die sich wie ich höre inzwischen wieder zerschlagen haben soll) seine Zustimmung gegeben hatte, so ist nicht zu früchten, daß politische Gründe Ihre Ernennung verderben könnten. Zu fürchten ist einzig u[n]d allein der Finanzminister; aber Gautsch soll viel mehr bei ihm durchsetzen als Conrad, der immer auf Kriegsfuß mit ihm lebte.
Ich habe während der letzten zwei Monate in großer Unruhe und Aufregung gelebt, die sich erst jetzt allmälig legt. In Graz zwang man mich zum Abschiede eine Scheffelrede zu halten, die ich etwas widerwillig und unter dem Getriebe des Abreisens ausarbeitete, dann aber mit Glück bei einem Commers in den allerersten Tagen hier wiederholte. Sie ist im Maiheft der Cott[asc]hen Zeitschrift gedruckt und die Grazer Collegen haben sie gelobt. Ich fühle nur zu gut, daß ich ganz von außen an die Sache herangegangen bin. Dann habe ich meine jetzige Kenntnis über die öst. Litteratur des 19. Jh. in meiner Antrittsvorlesung knapp zusammengefasst, die drucken zu lassen ich mich aber trotz mehrseitigen Zureden nicht entschlie- ßen konnte, weil das wichtigste daraus in meinem Buch über die ‚Ahnfrau‘ und in meiner Einleitung zur neuen Grillparzer Ausgabe seinerzeit zu lesen sein wird. In Wien habe ich peinliche Tage verlebt, indem ich die schwerkranke Mutter und den trostlosen Vater um mich hatte; ich konnte mich auch zu den notwendigsten Besuchen nicht zwingen; war nur [i]m Ministerium; 2 mal höchst einsilbig bei Minor, der übrigens mit seinen Hofrats-Allüren unausstehlich war; sonst saß ich immer im Stadtarchiv u. habe mit großem Genuß den ganzen Nachlaß rasch durchgenommen, so daß ich wenn ich Ende Juli nach Wien komme, gleich intensiv zu arbeiten anfangen kann. Ich glaube mich zu erinnern, daß Sie Grillparzer wenig Interesse entgegenbringen; aber einiges will ich Ihnen doch vorplaudern. Die neue Ausgabe soll 14 Bände umfassen, von welchen die zehn den alten entsprechenden un[ve]rändert bleiben müßen weil sie stereotypirt sind. Der zweite wird eine Nachlese zu den Gedichten und 4 fertige Jugenddramen enthalten, darunter die Blanka von Castilien. Der neunte wird den gesammten dramatischen Nachlaß, der aus wenigstens 30 Fragmenten, Skizzen, Plänen besteht zusammenfassen; darunter ein reizendes Fragment Psyche, wahrscheinlich eine Vorstudie zur Hero; scharfe litterarische u. politische Satiren in dramat. Form, so eine Fortsetzung der Zauberflöte gegen Kaiser Franz & Metternich. Das wichtigste ist ein Stück Fortsetzung der Esther, Schluß des 2. Aktes mit einer ganz prachtvollen Scene zwischen Haman und Mordochai und Beginn des 3. Aktes. Der 11 Band wird die Studien zu den griechischen und spanischen Dramatikern, der 13. alles übrige Ungedruckte aus den Pros[a]schriften enthalten, soweit es wertvoll und verständlich ist. Da Dr. Glossy gleichzeitig eine Sammlung von Briefen Grillparzers bei Cotta heraus gibt, so wird das Bild des Dichters in nächster Zeit ein volleres und reicheres werden. Mir aber geht ein Herzenswunsch in Erfüllung, den ich seit Grillparzers Tod und noch länger in mir trage und mit Hopfen kann ich sagen:

Als Jüngling hat man von so manchen Sachen
Gedanken, die nicht Stich zu halten pflegen[.]
Eins müßte mich vor Allem glücklich mache[n],
Meint’ ich, und Deutschland und die Welt bewegen
Womöglich unter Cottas altem Drachen
Solch einen Band Gedichte zu verlegen.

Ich habe mich nach der Obhut des alten Drachen immer gesehnt und ich glaube, daß diese neu eingegangene Verbindung für mich von Segen sein wird.
Doch, lieber Freund, wenn Sie diesen Brief lesen, werden Sie ein falsches Bild bekommen von dem was ich arbeite. Zwar lerne ich für Grillparzer fleißig spanisch und denke oft an diese Arbeit; aber diese selbst wird ja doch erst in den Ferien beginnen und den Winter ausfüllen; jetzt soll der ältere Ansbacher Freund ans Tageslicht, [a]uf das er so lange harrt. Zwar der Abstecher an die Dresdner Bibliothek war mir noch nicht möglich; denn ich blute noch aus alten Wunden von der Übersiedlung her und das Ministerium hat mir bis jetzt keinen Kreutzer ersetzt; auch ist mein Manuscript voll klaffender Lücken; aber ich hoffe doch diese auszufüllen und wenn Sie mir während des halben Jahres, den ja der Druck des Textes in Anspruch nehmen wird, die Einleitung wieder auf eine Zeit zur Nachbesserung zurückstellen wollen, werde [ic]h mich leichter dazu entschließen, sie Ihnen zu schicken. An einen bestimmten Tag kann ich mich vorerst noch nicht binden; es hängt so vieles von Frau Sonne ab; ob sie sich entschließt, länger hinter dem Wolkenschleier auszuharren oder ihre versengenden Blicke in den glühenden Thalkessel sendet, in den Prag gebannt ist.
Über Ihre Arbeit an der Goethe-Ausgabe habe ich Ihnen meine Meinung schon geschrieben. Sie opfern so viele Zeit der Sammlung Ihrer Neudrucke, Zeit, die Ihnen (wie mir bei der meinigen) doch eigentlich für die eigene Arbeit entgeht, wenn Sie diese auch noch so energisch fördern. Wollen Sie beides bewältigen? Wenigstens sollen Sie sich für die DLD inzwischen eine Hilfskraft nehmen[;] ich komme immer mehr zur Einsicht, daß man mechanische Arbeiten wie Abschriften etc. ganz von sich abwälzen soll und auch bei dem Correcturlesen sich so viel als möglich helfen lassen soll. Freilich übe ich praktisch diese Einsicht noch nicht aus; wenn sich meine Verhältnisse aber stabilisiren werden, dann soll es geschehen. Erich Schmidt scheint dies jetzt in großem Style zu thun; denn eigentlich käme ihm diese Arbeit der Revision selber zu. Wie die g[an]ze Ausgabe organisirt sein wird, das interessirt mich lebhaft. Daß Herr von Loeper die Biographie schreibt, halte ich nicht eigentlich für glücklich. Aber Scherer hat Recht: wenn ich einen Goethe schreibe – sagte er – so will ich ihn allein schreiben und meine Art der Betrachtung nimmt mir Herr von L. doch nicht weg. (Denken Sie sich: Max Koch hat Cotta eine dreibändige Goethe Biographie angeboten, die diese ablehnten! Im jetzigen Augenblicke!! Aber machen Sie keinen Gebrauch davon.)
Was sagen Sie dazu, daß Brahm auch einen Schiller schreibt. Hepp, Weltrich, Minor, Brahm. Wenn einer von den vieren die Briefe gesammelt hätte, das wäre doch vernünftiger. Minor will im nächsten Jahre mit dem 1. Bde heraus!
Ich weiß nicht, ob wir über Kochs neue Zeitschrift unsere Meinung schon ausgetauscht haben. Ich weiß nicht, ob er der rechte Mann dazu ist. Er will durchaus etwas ins erste Heft von mir haben; ich kann aber mit dem besten Willen wahrscheinlich nichts geben. Schönbach hält die ganze Idee für verfrüht, was ich nicht glaube.
Erwarten Sie heute keine Details über hiesige Verhältnisse; der Sommer ist eine schlechte Zeit zum Anfang in einer großen Stadt; ich trauere um das schöne, grüne, gesunde Graz in diesem Steinhaufen und vermisse wol auch gute Bekannte. Die Hörer (15 an der Zahl) sind reine Brotstudenten; sehr arm, ganz unwissend. Neue Litt. hat hier gar keine Tradition. Kelle ist sehr liebenswürdig; im Umgang witzig, unterhaltend; auch recht fleißig; aber einseitig und verschlagen. Sonst sind die Ordinarien hier sehr hochmüthig, ganz anders als in Graz.
Ihr armer König! Hier spricht man von nichts anderm. Unsere Zeitungen aber wühlen im Dreck. Pfui und nochmals Pfui!
Lassen Sie bald was von sich hören u. seien Sie herzlich gegrüßt von Ihrem aufrichtig ergebenen AS.

Da Dr. Glossy gleichzeitig eine Sammlung von Briefen Grillparzers bei Cotta heraus gibt, so wird das Bild des Dichters in nächster Zeit ein volleres und reicheres werden. Mir aber geht ein Herzenswunsch in Erfüllung, den ich seit Grillparzers Tod und noch länger in mir trage [...].

Karl Glossy beschäftigte sich auch mit Grillparzer. Er arbeitete an einer Ausgabe von Grillparzer-Briefen, die er jedoch erst 1903 in zwei Bänden gemeinsam mit Sauer bei Cotta publizierte.

Sie opfern so viele Zeit der Sammlung Ihrer Neudrucke, Zeit, die Ihnen (wie mir bei der meinigen) doch eigentlich für die eigene Arbeit entgeht, wenn Sie diese auch noch so energisch fördern. Wollen Sie beides bewältigen? Wenigstens sollen Sie sich für die DLD inzwischen eine Hilfskraft nehmen[;] ich komme immer mehr zur Einsicht, daß man mechanische Arbeiten wie Abschriften etc. ganz von sich abwälzen soll und auch bei dem Correcturlesen sich so viel als möglich helfen lassen soll.

Sauer versuchte Seuffert zu motivieren, sich für die Arbeit an den DLD eine Hilfskraft zu nehmen.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Würzburg
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-85
Umfang: 7 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8355 [Druckausgabe Nr. 63]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8355/methods/sdef:TEI/get

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