Wiesbaden, Hotel Block. 3/10 87.

Lieber Freund! Gerne hätte ich Ihnen [n]och von Weimar aus geschrieben; es war aber im Drang zwischen Arbeit, idealem Genuß und freundschaftlichen Zusammenkünften unmöglich. Hier ist mir ein ruhiger Tag gegönnt und ich beginne mich wieder auf mich selbst zu besinnen und vollziehe nun in der prachtvollen Kurstadt, was ich im lieblichen Weimar versäumt.
Eigentlich in Jena, von Schmidt und Prof. Rosenthal, bei einem anregenden Abendessen, erfuhr ich Ihre Gehaltserhöhung, die uns alle sehr sehr erfreute. Ich wünsche Ihnen aus voller Seele Glück dazu und freue mich, daß dieser Gewinn nun auch für die Zukunft Ihren eventuellen Nachfolgern verbleiben werde, wenn Sie [u]ns längst entführt sein werden an eine der blühendsten Universitäten des Reichs. Aber auch zu dem Zeitschrift-Unternehmen, über das mir Schmidt zuerst leise Andeutungen, später reichere Mittheilungen zukommen ließ, muß ich Sie beglückwünschen. Ich habe die Überzeugung, daß Sie diesem neuen Schiffe ein vorzüglicher Steuermann sein werden und es soll mich freu[en] auf Ihr Commando als leichter Matrose auf die Raaen klettern zu können oder als Heizer bei dem Keßel der Dampfmaschine Verwendung zu finden. Diese Gründung wird unserer stark geschädigten Schule, die durch H Reimers Tod wie ich glaube den größten Verlust erlitt, der ihr [i]m gegenwärtigen Augenblicke widerfahrn [k]onnte, wieder auf die Beine helfen. Also: Schwimme, glücklicher Schwimmer!
In Weimar wars herrlich. Schmidt war freundlich; mit Minor kam ich nach ernster Auseinandersetzung endlich wieder ins Gleichgewicht. Rödiger wiederzusehen freute mich sehr. Boxberger, Strehlke, der sehr nette Elster waren angenehme Bekanntschaft. Der prächtige Geologe Walther ein guter Kneip-Kumpan. Von den ein[hei]mischen ist Köhler ein Juwel, das geradezu unschätzbar ist. Ein goldtreuer Mensch, dem man für immer angeeignet ist, wenn man ihn etwas näher kennen gelernt hat. Die Spaziergänge mit ihm gehören zu den schönsten Stunden meines Lebens. Suphan fehlt in dieser Liste. Er ist mir nicht sympathisch, wie jeder Mensch, dem ich nicht ins Aug blicken kann. Er ist mir ein widerliches Gemisch von Hochmuth u. Demuth. Außerdem trägt er eine unverkennbare Abneigung u. Geringschätzung alles dessen zur Schau, was mit der Universität zusammen hängt. Minors Ausfall birgt endlich & schließlich als ‚Charakter[i]stik‘ das Wahrste in sich. Er war überdies sehr liebenswürdig gegen mich u. ich habe keinen Grund mich mit ihm schlecht zu stellen. Nur fließt ein breiter Strom zwischen uns.
Der Text des Götz ist sehr einfach; die Lesarten werden sehr complicirt; bes. dadurch, daß die eine Theaterhandschrift, die vorhanden ist, drei verschiedene Stadien der Umarbeitung vertritt. Feststeht mir bis jetzt nur folgendes. Die älteste Handschrift muß ganz für sich stehen: ohne Lesarten einer späteren Fassung. Zum [Tex]t von C müßen alle Lesarten bis E, (aber nicht bis zu H) gegeben werden. – Wie die Theaterbearbeitungen zu behandeln sind, ist mir noch zweifelhaft. Aber ich glaube, daß Sie recht haben, wenn Sie meinen so, wie Schmidt U im Faust. Nur wird der Apparat weit unübersichtlicher als der zum Faust ist. – So viel für heute. Grüßen Sie die Freunde: Meister, Gurlitts (denen Frau Schmidt Grüße schickt) Bauers, Zwiedinecks und empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau. Herzlichst und
treulichst der Ihrige.
AS

Sonntag komme ich nach Hause.

Wiesbaden, Hotel Block. 3/10 87.

Lieber Freund! Gerne hätte ich Ihnen [n]och von Weimar aus geschrieben; es war aber im Drang zwischen Arbeit, idealem Genuß und freundschaftlichen Zusammenkünften unmöglich. Hier ist mir ein ruhiger Tag gegönnt und ich beginne mich wieder auf mich selbst zu besinnen und vollziehe nun in der prachtvollen Kurstadt, was ich im lieblichen Weimar versäumt.
Eigentlich in Jena, von Schmidt und Prof. Rosenthal, bei einem anregenden Abendessen, erfuhr ich Ihre Gehaltserhöhung, die uns alle sehr sehr erfreute. Ich wünsche Ihnen aus voller Seele Glück dazu und freue mich, daß dieser Gewinn nun auch für die Zukunft Ihren eventuellen Nachfolgern verbleiben werde, wenn Sie [u]ns längst entführt sein werden an eine der blühendsten Universitäten des Reichs. Aber auch zu dem Zeitschrift-Unternehmen, über das mir Schmidt zuerst leise Andeutungen, später reichere Mittheilungen zukommen ließ, muß ich Sie beglückwünschen. Ich habe die Überzeugung, daß Sie diesem neuen Schiffe ein vorzüglicher Steuermann sein werden und es soll mich freu[en] auf Ihr Commando als leichter Matrose auf die Raaen klettern zu können oder als Heizer bei dem Keßel der Dampfmaschine Verwendung zu finden. Diese Gründung wird unserer stark geschädigten Schule, die durch H Reimers Tod wie ich glaube den größten Verlust erlitt, der ihr [i]m gegenwärtigen Augenblicke widerfahrn [k]onnte, wieder auf die Beine helfen. Also: Schwimme, glücklicher Schwimmer!
In Weimar wars herrlich. Schmidt war freundlich; mit Minor kam ich nach ernster Auseinandersetzung endlich wieder ins Gleichgewicht. Rödiger wiederzusehen freute mich sehr. Boxberger, Strehlke, der sehr nette Elster waren angenehme Bekanntschaft. Der prächtige Geologe Walther ein guter Kneip-Kumpan. Von den ein[hei]mischen ist Köhler ein Juwel, das geradezu unschätzbar ist. Ein goldtreuer Mensch, dem man für immer angeeignet ist, wenn man ihn etwas näher kennen gelernt hat. Die Spaziergänge mit ihm gehören zu den schönsten Stunden meines Lebens. Suphan fehlt in dieser Liste. Er ist mir nicht sympathisch, wie jeder Mensch, dem ich nicht ins Aug blicken kann. Er ist mir ein widerliches Gemisch von Hochmuth u. Demuth. Außerdem trägt er eine unverkennbare Abneigung u. Geringschätzung alles dessen zur Schau, was mit der Universität zusammen hängt. Minors Ausfall birgt endlich & schließlich als ‚Charakter[i]stik‘ das Wahrste in sich. Er war überdies sehr liebenswürdig gegen mich u. ich habe keinen Grund mich mit ihm schlecht zu stellen. Nur fließt ein breiter Strom zwischen uns.
Der Text des Götz ist sehr einfach; die Lesarten werden sehr complicirt; bes. dadurch, daß die eine Theaterhandschrift, die vorhanden ist, drei verschiedene Stadien der Umarbeitung vertritt. Feststeht mir bis jetzt nur folgendes. Die älteste Handschrift muß ganz für sich stehen: ohne Lesarten einer späteren Fassung. Zum [Tex]t von C müßen alle Lesarten bis E, (aber nicht bis zu H) gegeben werden. – Wie die Theaterbearbeitungen zu behandeln sind, ist mir noch zweifelhaft. Aber ich glaube, daß Sie recht haben, wenn Sie meinen so, wie Schmidt U im Faust. Nur wird der Apparat weit unübersichtlicher als der zum Faust ist. – So viel für heute. Grüßen Sie die Freunde: Meister, Gurlitts (denen Frau Schmidt Grüße schickt) Bauers, Zwiedinecks und empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau. Herzlichst und
treulichst der Ihrige.
AS

Sonntag komme ich nach Hause.

Briefdaten

Schreibort: Wiesbaden
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-103
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8391 [Druckausgabe Nr. 77]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8391/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

LinksInformation

Das Bildmaterial dieser Webseite sind Reproduktionen aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek und des Staatsarchivs Würzburg. Für jede weitere Verwendung wenden Sie sich bitte an die jeweilige Institution.