Graz 25 XI 88. nachts.
Lieber freund
Für Ihre aufmerksame korrektur meines Wieland sage ich Ihnen herzlichen dank und ebenso für Ihre nachsichtige beurteilung. Möchten auch andere gutes daran finden. Mich dünkt er, auch im druck, zu breit, aber die neuen quellen waren mein ausgangspunkt und wenn durch ihre mitteilung die sache auch schrittchenweise nur und langsam vorrückt, so waren sie mir doch zu wichtig, um sie nur zu excerpieren*. Ich meine, man druckt manche briefe, die unwichtiger sind. Gerade die Weimarer zeit vor Goethe liegt ganz im dunkel, ich habe selbst in Weimar über manche namen und sachen (theater z. b.) keinerlei auskünfte erhalten u. finden können. Dass nicht auch die briefe Wielands an die herzogin ganz und in borgissatz erscheinen hat einen höfischen grund: mir ist nicht gestattet die briefe zu publicieren, nur das biographische material derselben. Darum erscheinen sie äusserlich nicht als briefe, damit Burkhardt keine unannehmlichkeiten bekommt, u. darum sind sie nicht vollständig. Albern, aber allerhöchster befehl, den ich eben dehnte so gut ich konnte. Das urteil über Constantin ist geradezu phänomenal, noch besser als die über Carl August. Ich habe zu Böhlaus verdruss in die korrektur wenigstens noch accente aufs französische gesetzt: es sah zu scheusslich aus, sprachfehler aber als charakteristisch nicht verbessert, wo sie keine schreibfehler sind. Man sieht so was im druck ganz anders als in der hs. u. abschrift, wo die flüchtigkeiten viel erträglicher sind. Und es ist wahr, wir treiben mit der diplomatischen treue etwas misbrauch. Ich war sehr froh, dass Ihre bemerkung hinterdrein mein verfahren erlaubte. Recht misslich ist die französisch-deutsche mischung, aber sie hängt mit dem bemerkten grhgl. ukas zusammen; u. so viel als möglich wollte ich doch den – manchmal schwer übersetzbaren – urtext geben.
Diese briefe suchte ich nun auch psychologisch, nicht blos inhaltlich zu erklären; ich weiss nicht, ob ich daran recht tat; andere pflegen ja diese analyse als selbstverständlich klar zu verschweigen. Ich meinte einiges für Wielands charakter dabei zu gewinnen. Ich hab ihn hoffentlich nicht zu sehr geschont, obwol ich auch in seine schwächen verliebt bin.
Dieser biographische teil sollte durch eine untersuchung gehoben werden. Durch welche, war sicher. Das wie machte mir sorge. Wenn die teilung so gut gelang wie Sie sagen bin ich sehr glücklich. Reiflich überlegt ist die anordnung wie vielleicht bei keiner andern meiner arbeitchen. Der erste anfang wurde ein paar mal gemacht, nachdem der mittelteil, die briefinterpretation fertig war. Dann schrieb ich den eingang nach ziemlich brauchbaren entwürfen die teile ordnend, dann den schluss nach excerpten ohne entwurf. Für mich eine ungewohnte kühnheit. Politische litteratur hab ich reichlich gelesen, wenig festes gefunden. So schmiss ich fast alles bei seite. Übrigens ist in diesem punkte meine sicherheit nur schein. Ich hab mich zwar in meiner universitätszeit mehr als gut war mit socialpolitischen schriften des vorigen jahrhunderts befasst, veranlasst durch einen befreundeten Rousseauschwärmenden juristen, aber zu sicherheit bracht ichs nie. Hätt ich diesen freund zur seite gehabt, so wäre gewiss mehr zu machen gewesen.
Der äusserste schluss hat Sie hoffentlich so überrascht wie mich. Ich habe diese stärke des einflusses auf Carl A. noch nicht geahnt gehabt. U. man merkt ihm, glaub ich, die freudige überraschung an. Er ist mir wie ein quod erat demonstrandum gekommen, obwol ich diese aufgabe meiner beweisführung gar nicht gestellt hatte. Und er versöhnt hoffentlich einige leser mit den öden strecken der mitte. – –
Ihr woltätiges urteil hat mich verlockt die entstehungsgeschichte dieses opusculums zu traktieren. Nehmen Sies nicht als zu langweilig. –
Ihren Raimund hab ich längst gelesen und mit lust. Nur, ehrlich, ist mirs zu viel – für die ADB – und zu wenig – für Ihr buch über ihn. Mich dünkt er besser verfasst als Ihre Grillparzereinleitung zur ausgabe, die mir zu schwer ist. Es steht aber immer im wege, dass ich Grillparzertaub bin und Raimund besser begreife. Das einleitungsgedicht Grillparzers, das Sie der VJS jetzt spendeten, hat mich mehr gepackt als alles andere, was ich von Gr. kenne. Ich will doch sehen, ob ich dieser ! partiellen fühllosigkeit noch lo[s] werde.
Zwischen Sie u. mich tritt in der VJS ein elender Herder-Goethe-schmarren von Burkhardt, den ich trotz dem feindlichen archivarkollegen in Weimar mit glacéehandschuhen anfasse.
Ich schrieb Ihnen doch, dass vd Hellen Goethearchivarius wurde?
Mit Schönbach bin ich gar nicht zufrieden. Er fühlt sich nicht recht wol, ist aber nach meiner meinung übertrieben ängstlich, wartet auf einen herzschlag, ist moros, leutscheu, und ich bin nicht lustig genug ihn herauszureissen. Sie verdienen sich gottes lohn, wenn Sie ihn aufheitern. Aber verraten Sie mich nicht, sonst meint er, ich nehme sein leiden ernst. Bin ich frisch, so sagt er: du mein gott, du bist halt viel strammer als ich, ich werd mich ganz zurückziehen. Er dauert mich, tut sich und – mir weh. Mir ists leid u. fatal, dass er auch den studenten gegenüber mich vorschiebt u. mich zwingt statt seiner protektor des akadem. philol. vereins – der nun auch die germanisten umfasst – zu werden. Ich taug nicht dazu. Er geht nicht zum professorenessen, nicht in fakultätssitzungen, nicht zum doctorschmaus, nicht auf germanistenkneipe. Letzteres hoff ich aber noch durchzusetzen. U. wenn einer, so braucht er geselligkeit. Sehr stolz bin ich, dass er jeden sonntag kommt, mein madel anzugucken, obwol es doch noch recht dumm ist. Auch lässt er sich bewegen, alle 4 wochen das abendbrot mit uns zu teilen und wird da nach der 1. verstimmten stunde zumeist recht gemütlich.
Leben Sie wol. Ich bin jetzt so gehetzt, dass ich sogar redaktionsgeschäfte verschleppen muss.
Treu
Ihr dankbarer
BSeuffert.
Gelegentlich: kann man in dem gasthof, wo Sie zuletzt in Wien waren, einmal mit frau absteigen? Der Matschakerhof, wo wir immer waren, ist bequem gelegen, aber teuer.
Anfang u. schluss Ihrer Grillparzerkorr. hab ich erhalten. Haben Sie wünsche für die registereinrichtung der VJSchrift, so schreiben Sie mir bitte gleich.
* Auch wollt ich, um mich nicht schön zu machen seis gestanden, einen teil des für die Görtzbriefe gezahlten geldes heraus kriegen. Der artikel kostet mich mehr baar, als ich honorar erhalte.
Graz 25 XI 88. nachts.
Lieber freund
Für Ihre aufmerksame korrektur meines Wieland sage ich Ihnen herzlichen dank und ebenso für Ihre nachsichtige beurteilung. Möchten auch andere gutes daran finden. Mich dünkt er, auch im druck, zu breit, aber die neuen quellen waren mein ausgangspunkt und wenn durch ihre mitteilung die sache auch schrittchenweise nur und langsam vorrückt, so waren sie mir doch zu wichtig, um sie nur zu excerpieren*. Ich meine, man druckt manche briefe, die unwichtiger sind. Gerade die Weimarer zeit vor Goethe liegt ganz im dunkel, ich habe selbst in Weimar über manche namen und sachen (theater z. b.) keinerlei auskünfte erhalten u. finden können. Dass nicht auch die briefe Wielands an die herzogin ganz und in borgissatz erscheinen hat einen höfischen grund: mir ist nicht gestattet die briefe zu publicieren, nur das biographische material derselben. Darum erscheinen sie äusserlich nicht als briefe, damit Burkhardt keine unannehmlichkeiten bekommt, u. darum sind sie nicht vollständig. Albern, aber allerhöchster befehl, den ich eben dehnte so gut ich konnte. Das urteil über Constantin ist geradezu phänomenal, noch besser als die über Carl August. Ich habe zu Böhlaus verdruss in die korrektur wenigstens noch accente aufs französische gesetzt: es sah zu scheusslich aus, sprachfehler aber als charakteristisch nicht verbessert, wo sie keine schreibfehler sind. Man sieht so was im druck ganz anders als in der hs. u. abschrift, wo die flüchtigkeiten viel erträglicher sind. Und es ist wahr, wir treiben mit der diplomatischen treue etwas misbrauch. Ich war sehr froh, dass Ihre bemerkung hinterdrein mein verfahren erlaubte. Recht misslich ist die französisch-deutsche mischung, aber sie hängt mit dem bemerkten grhgl. ukas zusammen; u. so viel als möglich wollte ich doch den – manchmal schwer übersetzbaren – urtext geben.
Diese briefe suchte ich nun auch psychologisch, nicht blos inhaltlich zu erklären; ich weiss nicht, ob ich daran recht tat; andere pflegen ja diese analyse als selbstverständlich klar zu verschweigen. Ich meinte einiges für Wielands charakter dabei zu gewinnen. Ich hab ihn hoffentlich nicht zu sehr geschont, obwol ich auch in seine schwächen verliebt bin.
Dieser biographische teil sollte durch eine untersuchung gehoben werden. Durch welche, war sicher. Das wie machte mir sorge. Wenn die teilung so gut gelang wie Sie sagen bin ich sehr glücklich. Reiflich überlegt ist die anordnung wie vielleicht bei keiner andern meiner arbeitchen. Der erste anfang wurde ein paar mal gemacht, nachdem der mittelteil, die briefinterpretation fertig war. Dann schrieb ich den eingang nach ziemlich brauchbaren entwürfen die teile ordnend, dann den schluss nach excerpten ohne entwurf. Für mich eine ungewohnte kühnheit. Politische litteratur hab ich reichlich gelesen, wenig festes gefunden. So schmiss ich fast alles bei seite. Übrigens ist in diesem punkte meine sicherheit nur schein. Ich hab mich zwar in meiner universitätszeit mehr als gut war mit socialpolitischen schriften des vorigen jahrhunderts befasst, veranlasst durch einen befreundeten Rousseauschwärmenden juristen, aber zu sicherheit bracht ichs nie. Hätt ich diesen freund zur seite gehabt, so wäre gewiss mehr zu machen gewesen.
Der äusserste schluss hat Sie hoffentlich so überrascht wie mich. Ich habe diese stärke des einflusses auf Carl A. noch nicht geahnt gehabt. U. man merkt ihm, glaub ich, die freudige überraschung an. Er ist mir wie ein quod erat demonstrandum gekommen, obwol ich diese aufgabe meiner beweisführung gar nicht gestellt hatte. Und er versöhnt hoffentlich einige leser mit den öden strecken der mitte. – –
Ihr woltätiges urteil hat mich verlockt die entstehungsgeschichte dieses opusculums zu traktieren. Nehmen Sies nicht als zu langweilig. –
Ihren Raimund hab ich längst gelesen und mit lust. Nur, ehrlich, ist mirs zu viel – für die ADB – und zu wenig – für Ihr buch über ihn. Mich dünkt er besser verfasst als Ihre Grillparzereinleitung zur ausgabe, die mir zu schwer ist. Es steht aber immer im wege, dass ich Grillparzertaub bin und Raimund besser begreife. Das einleitungsgedicht Grillparzers, das Sie der VJS jetzt spendeten, hat mich mehr gepackt als alles andere, was ich von Gr. kenne. Ich will doch sehen, ob ich dieser ! partiellen fühllosigkeit noch lo[s] werde.
Zwischen Sie u. mich tritt in der VJS ein elender Herder-Goethe-schmarren von Burkhardt, den ich trotz dem feindlichen archivarkollegen in Weimar mit glacéehandschuhen anfasse.
Ich schrieb Ihnen doch, dass vd Hellen Goethearchivarius wurde?
Mit Schönbach bin ich gar nicht zufrieden. Er fühlt sich nicht recht wol, ist aber nach meiner meinung übertrieben ängstlich, wartet auf einen herzschlag, ist moros, leutscheu, und ich bin nicht lustig genug ihn herauszureissen. Sie verdienen sich gottes lohn, wenn Sie ihn aufheitern. Aber verraten Sie mich nicht, sonst meint er, ich nehme sein leiden ernst. Bin ich frisch, so sagt er: du mein gott, du bist halt viel strammer als ich, ich werd mich ganz zurückziehen. Er dauert mich, tut sich und – mir weh. Mir ists leid u. fatal, dass er auch den studenten gegenüber mich vorschiebt u. mich zwingt statt seiner protektor des akadem. philol. vereins – der nun auch die germanisten umfasst – zu werden. Ich taug nicht dazu. Er geht nicht zum professorenessen, nicht in fakultätssitzungen, nicht zum doctorschmaus, nicht auf germanistenkneipe. Letzteres hoff ich aber noch durchzusetzen. U. wenn einer, so braucht er geselligkeit. Sehr stolz bin ich, dass er jeden sonntag kommt, mein madel anzugucken, obwol es doch noch recht dumm ist. Auch lässt er sich bewegen, alle 4 wochen das abendbrot mit uns zu teilen und wird da nach der 1. verstimmten stunde zumeist recht gemütlich.
Leben Sie wol. Ich bin jetzt so gehetzt, dass ich sogar redaktionsgeschäfte verschleppen muss.
Treu
Ihr dankbarer
BSeuffert.
Gelegentlich: kann man in dem gasthof, wo Sie zuletzt in Wien waren, einmal mit frau absteigen? Der Matschakerhof, wo wir immer waren, ist bequem gelegen, aber teuer.
Anfang u. schluss Ihrer Grillparzerkorr. hab ich erhalten. Haben Sie wünsche für die registereinrichtung der VJSchrift, so schreiben Sie mir bitte gleich.
* Auch wollt ich, um mich nicht schön zu machen seis gestanden, einen teil des für die Görtzbriefe gezahlten geldes heraus kriegen. Der artikel kostet mich mehr baar, als ich honorar erhalte.
Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8452 [Druckausgabe Nr. 88]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8452/methods/sdef:TEI/get
LizenzhinweisDie Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
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