Graz 4.8.92

Lieber freund Vor allem nehmen Sie meinen und meiner frau herzlichen glückwunsch zur bevorstehenden vermählung an: möge Ihre ehe so glücklich sein wie unsere! ich kenne keine ! höheren wunsch. Möge ihr all das bittere leid verspart bleiben, das uns ward, obwol auch im leid das glück der zusammengehörigkeit sich bewährt. – –
Hauffen ist Ihnen zuvorgekommen, das ist eine missliche empfindung, wie ich aus eigner erfahrung weiss, da ein naher freund sich später verlobte und früher verehelichte als ich. Aber das muss ertragen sein.
Schönbach stärkt sich in Schruns; er hatte es noch recht nötig als er abfuhr von hier, die reise hat ihn ausserordentlich angestrengt. Glücklicher weise ahnt er nicht, wie viel sorge er uns diesen sommer bereitete. Ich setze alle hoffnung auf seinen jetzigen aufenthalt.
Gurlitt residiert mit seiner familie im Kroisbachschlössel, dessen Sie sich wol noch erinnern. Bauer sitzt bei seiner frau und hält sie in ruhe, damit das christkindlein dieses hauses ordentlich gedeihe. Willy freut sich aufs schwesterchen.
Ich wollte jetzt auf dem lande sein mit frau und kind. Aber ich fand nicht rasch einen passenden ort, da ich unkundig bin und zu lange säumte; jetzt ward ich unwol und muss noch etwas ruhe halten. Ob dann das wetter und die jahreszeit gut genug sind mit dem einjährigen knaben den ort zu wechseln, warte ich ein paar tage notgedrungen ab. Der zahnarzt hält mich fest.
Zugleich schicke ich Ihnen etwas Grillparzerisches. Mir ist der gesuchte stil so zuwider, dass ich den inhalt kaum verstehe. Vielleicht und hoffentlich behagt das kunststück Ihnen besser. Auch ein Gleim-Kleistbrief liegt bei.
Und nun, wenn Sie in den hochzeitsvorbereitungen noch eine halbe stunde zeit für schulsachen haben, eine bitte: ich möchte im nächsten winter im seminar einmal Grillparzer treiben, am liebsten die dramatischen fragmente. Oder raten Sie etwas anderes? Die voraussetzung ist, dass ich allen zuhörern billige ausgaben in die hand gebenkann; da ich sie nicht veranlassenkann, den ganzen Grillparzer zu kaufen; dazu fehlt ihnen das geld. Können Sie Ihren verleger veranlassen, für solchen zweck einzelne bände der supplemente abzugeben? Die werden ja jetzt doch, wenn sie nicht ganz vergriffen sind, makulatur, da die neue ausgabe in fluss kam: Ist denn Ihre neue ausgabe dieselbe, die auch in der Cottaschen Weltlitteratursammlung erscheint? Auch da soll man sich auf abnahme des ganzen verpflichten, was studenten nicht können. Ich frage so zeitig, da ich mich sonst nach einem andern thema umsehen muss, ich habe vorsichtig nur angekündigt: seminar, 19. jh. Jedenfalls möchte ich etwas aus der österreichischen litteratur des 19. jh. nehmen, die jetzt am gymnasium vorgeschrieben ist, muss mich aber erst orientieren.
Ich habe vergangenes semester zum 1. mal ein interpretationskolleg gehalten, 1 stunde über ein paar gedichte des sog. kanons des österr. gymn. lehrplanes. Das war teilweise öde, grösseren teiles für mich sehr lehrreich und hoffentlich den studenten nützlich. Auch die dialoge über poetik in Goethe-Schillers-brfw., im seminar gehalten, waren teilweise recht gelungen. Ich probiere immer neues.
Haben Sie gesehen, wie sich Braitmaier für meine anzeige seines buches am schlusse seiner streitschrift bei mir bedankte? Ich beneide die Schwaben um ihre urwüchsige grobheit.
Leben Sie wol, kommen Sie hieher mit Ihrer lieben frau, aber wenn wir hier sind: anfang oktober muss ich vielleicht in Weimar goldne hochzeit feiern helfen, schraube mich aber davon wenns irgend geht.

Abermals: glück! tu dich auf!

Ihr
getreuer
BSeuffert.

Graz 4.8.92

Lieber freund Vor allem nehmen Sie meinen und meiner frau herzlichen glückwunsch zur bevorstehenden vermählung an: möge Ihre ehe so glücklich sein wie unsere! ich kenne keine ! höheren wunsch. Möge ihr all das bittere leid verspart bleiben, das uns ward, obwol auch im leid das glück der zusammengehörigkeit sich bewährt. – –
Hauffen ist Ihnen zuvorgekommen, das ist eine missliche empfindung, wie ich aus eigner erfahrung weiss, da ein naher freund sich später verlobte und früher verehelichte als ich. Aber das muss ertragen sein.
Schönbach stärkt sich in Schruns; er hatte es noch recht nötig als er abfuhr von hier, die reise hat ihn ausserordentlich angestrengt. Glücklicher weise ahnt er nicht, wie viel sorge er uns diesen sommer bereitete. Ich setze alle hoffnung auf seinen jetzigen aufenthalt.
Gurlitt residiert mit seiner familie im Kroisbachschlössel, dessen Sie sich wol noch erinnern. Bauer sitzt bei seiner frau und hält sie in ruhe, damit das christkindlein dieses hauses ordentlich gedeihe. Willy freut sich aufs schwesterchen.
Ich wollte jetzt auf dem lande sein mit frau und kind. Aber ich fand nicht rasch einen passenden ort, da ich unkundig bin und zu lange säumte; jetzt ward ich unwol und muss noch etwas ruhe halten. Ob dann das wetter und die jahreszeit gut genug sind mit dem einjährigen knaben den ort zu wechseln, warte ich ein paar tage notgedrungen ab. Der zahnarzt hält mich fest.
Zugleich schicke ich Ihnen etwas Grillparzerisches. Mir ist der gesuchte stil so zuwider, dass ich den inhalt kaum verstehe. Vielleicht und hoffentlich behagt das kunststück Ihnen besser. Auch ein Gleim-Kleistbrief liegt bei.
Und nun, wenn Sie in den hochzeitsvorbereitungen noch eine halbe stunde zeit für schulsachen haben, eine bitte: ich möchte im nächsten winter im seminar einmal Grillparzer treiben, am liebsten die dramatischen fragmente. Oder raten Sie etwas anderes? Die voraussetzung ist, dass ich allen zuhörern billige ausgaben in die hand gebenkann; da ich sie nicht veranlassenkann, den ganzen Grillparzer zu kaufen; dazu fehlt ihnen das geld. Können Sie Ihren verleger veranlassen, für solchen zweck einzelne bände der supplemente abzugeben? Die werden ja jetzt doch, wenn sie nicht ganz vergriffen sind, makulatur, da die neue ausgabe in fluss kam: Ist denn Ihre neue ausgabe dieselbe, die auch in der Cottaschen Weltlitteratursammlung erscheint? Auch da soll man sich auf abnahme des ganzen verpflichten, was studenten nicht können. Ich frage so zeitig, da ich mich sonst nach einem andern thema umsehen muss, ich habe vorsichtig nur angekündigt: seminar, 19. jh. Jedenfalls möchte ich etwas aus der österreichischen litteratur des 19. jh. nehmen, die jetzt am gymnasium vorgeschrieben ist, muss mich aber erst orientieren.
Ich habe vergangenes semester zum 1. mal ein interpretationskolleg gehalten, 1 stunde über ein paar gedichte des sog. kanons des österr. gymn. lehrplanes. Das war teilweise öde, grösseren teiles für mich sehr lehrreich und hoffentlich den studenten nützlich. Auch die dialoge über poetik in Goethe-Schillers-brfw., im seminar gehalten, waren teilweise recht gelungen. Ich probiere immer neues.
Haben Sie gesehen, wie sich Braitmaier für meine anzeige seines buches am schlusse seiner streitschrift bei mir bedankte? Ich beneide die Schwaben um ihre urwüchsige grobheit.
Leben Sie wol, kommen Sie hieher mit Ihrer lieben frau, aber wenn wir hier sind: anfang oktober muss ich vielleicht in Weimar goldne hochzeit feiern helfen, schraube mich aber davon wenns irgend geht.

Abermals: glück! tu dich auf!

Ihr
getreuer
BSeuffert.

[...] ich möchte im nächsten winter im seminar einmal Grillparzer treiben, am liebsten die dramatischen fragmente. Oder raten Sie etwas anderes? Die voraussetzung ist, dass ich allen zuhörern billige ausgaben in die hand gebenkann; da ich sie nicht veranlassenkann, den ganzen Grillparzer zu kaufen; dazu fehlt ihnen das geld. Können Sie Ihren verleger veranlassen, für solchen zweck einzelne bände der supplemente abzugeben? Die werden ja jetzt doch, wenn sie nicht ganz vergriffen sind, makulatur, da die neue ausgabe in fluss kam: Ist denn Ihre neue ausgabe dieselbe, die auch in der Cottaschen Weltlitteratursammlung erscheint?

Auch Seuffert beschäftigte sich im Rahmen einer Lehrveranstaltung mit Grillparzer und bat Sauer um Unterstützung, Quellen für die Studierenden zugänglich zu machen. Er nahm Bezug auf die Grillparzerausgabe, an der Sauer arbeitete.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8596 [Druckausgabe Nr. 115]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8596/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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