Faksimile fehlt.

Graz 12.3.91

Lieber freund

Ich danke Ihnen herzlich für die rede. Wie schöpfen Sie aus dem vollen! Spürte man oder vielmehr glaubte ich in der einleitung zu den werken noch die arbeit zu spüren, so ist hier nun freie aneignung und herrschaft. Wider freilich drängt sich vielleicht zu viel zu, manche partien sind schwer vor fülle wie es bei einer akademischen rede sein darf. Ganz besonders gelabt hab ich mich an den biographischen teilen, da ist auch mein herz ganz dabei und Ihr urteil stösst auf meine volle überzeugung. Geben Sie uns recht viel vom menschen Grillparzer in Ihrer biographie, Sie können’s erzählen und dieser vergrämte patriot und sauertöpfische nergler dünkt mich immer wider tiefer als der poet. Verzeihung, die Grillparzerfeier hat mein kühles verhältnis nicht sehr erwärmt. Auch nicht die von Walzel ausposaunte grosstat Minors, die ich bei Schönbach sah. Das starke herauskehren des Östreichertums macht mich gereizt; dem dichter haftet das doch gar nicht so ausschliesslich an. Hat man in Schweinfurt Rückert nur als Baiern gefeiert? Auch Ihnen bin ich darüber etwas böse. Die Reichsdeutschen haben die feier doch sehr erhebend mitgemacht. Warum sollen wir nicht stolzer sagen: er war ein deutscher dichter? Ich sehe geradezu einen kleinen zwiespalt zwischen den höchsten seiner dichterischen absichten und seinem menschlichen wesen: dort ist nichts österr. hier ist vielleicht alles österr. Ich stemme mich überhaupt gegen stammescharakteristik. Was wächst denn bei Weltrich aus der Schwäbelei für Schiller heraus? Karls regiment brauchen wir für Sch., wie Franzens für Gr. zum verständnis. Aber auf das stämme zeichnen hab ich wenig, nein! kein wissenschaftliches vertrauen. Unser freund Bauer hat sich ohnlängst auch dagegen ausgespielt und Sie können aus den worten merken, dass sie in gesprächen zwischen ihm und mir ausgetragen wurden.
Doch das führt mich ab. Ich bleib dabei, dass mir Ihre rede sehr inhaltreich erschien, gründlicher und tiefer als irgend etwas was ich über Grillparzer las. – –
Göschen stellte mir frei, auf dem circular über Ihre leitung der DLD meine abschiedsverbeugung zu machen. Das war sehr aufmerksam von ihm, ich antwortete aber: mir scheine das bei diesem nachfolger ganz unnötig. Hätte ein homo novus die leitung übernommen, so hätte ich ihm ja wol meine visitenkarte zur einführung mitgegeben.
Sind Sie jetzt ganz im reinen mit Nast? Schüddekopf habe ich nun an Sie gewiesen. Bis wann darf ich Ihnen Sittenberger auf den hals schicken? Er wird noch aufsicht brauchen. Antworten Sie mir darauf hier. Wann kommen Sie? Sie wissen ja dass Schönbach am 18. in Wien spricht und werden also wol diese tage nicht für Graz bestimmen.
Treu und herzlich
BSeuffert

Gehen Sie pfingsten nach München u. Weimar um auf den versammlungen sich Ihre künftigen mitarbeiter an den DLD anzusehen?

Faksimile fehlt.

Graz 12.3.91

Lieber freund

Ich danke Ihnen herzlich für die rede. Wie schöpfen Sie aus dem vollen! Spürte man oder vielmehr glaubte ich in der einleitung zu den werken noch die arbeit zu spüren, so ist hier nun freie aneignung und herrschaft. Wider freilich drängt sich vielleicht zu viel zu, manche partien sind schwer vor fülle wie es bei einer akademischen rede sein darf. Ganz besonders gelabt hab ich mich an den biographischen teilen, da ist auch mein herz ganz dabei und Ihr urteil stösst auf meine volle überzeugung. Geben Sie uns recht viel vom menschen Grillparzer in Ihrer biographie, Sie können’s erzählen und dieser vergrämte patriot und sauertöpfische nergler dünkt mich immer wider tiefer als der poet. Verzeihung, die Grillparzerfeier hat mein kühles verhältnis nicht sehr erwärmt. Auch nicht die von Walzel ausposaunte grosstat Minors, die ich bei Schönbach sah. Das starke herauskehren des Östreichertums macht mich gereizt; dem dichter haftet das doch gar nicht so ausschliesslich an. Hat man in Schweinfurt Rückert nur als Baiern gefeiert? Auch Ihnen bin ich darüber etwas böse. Die Reichsdeutschen haben die feier doch sehr erhebend mitgemacht. Warum sollen wir nicht stolzer sagen: er war ein deutscher dichter? Ich sehe geradezu einen kleinen zwiespalt zwischen den höchsten seiner dichterischen absichten und seinem menschlichen wesen: dort ist nichts österr. hier ist vielleicht alles österr. Ich stemme mich überhaupt gegen stammescharakteristik. Was wächst denn bei Weltrich aus der Schwäbelei für Schiller heraus? Karls regiment brauchen wir für Sch., wie Franzens für Gr. zum verständnis. Aber auf das stämme zeichnen hab ich wenig, nein! kein wissenschaftliches vertrauen. Unser freund Bauer hat sich ohnlängst auch dagegen ausgespielt und Sie können aus den worten merken, dass sie in gesprächen zwischen ihm und mir ausgetragen wurden.
Doch das führt mich ab. Ich bleib dabei, dass mir Ihre rede sehr inhaltreich erschien, gründlicher und tiefer als irgend etwas was ich über Grillparzer las. – –
Göschen stellte mir frei, auf dem circular über Ihre leitung der DLD meine abschiedsverbeugung zu machen. Das war sehr aufmerksam von ihm, ich antwortete aber: mir scheine das bei diesem nachfolger ganz unnötig. Hätte ein homo novus die leitung übernommen, so hätte ich ihm ja wol meine visitenkarte zur einführung mitgegeben.
Sind Sie jetzt ganz im reinen mit Nast? Schüddekopf habe ich nun an Sie gewiesen. Bis wann darf ich Ihnen Sittenberger auf den hals schicken? Er wird noch aufsicht brauchen. Antworten Sie mir darauf hier. Wann kommen Sie? Sie wissen ja dass Schönbach am 18. in Wien spricht und werden also wol diese tage nicht für Graz bestimmen.
Treu und herzlich
BSeuffert

Gehen Sie pfingsten nach München u. Weimar um auf den versammlungen sich Ihre künftigen mitarbeiter an den DLD anzusehen?

Geben Sie uns recht viel vom menschen Grillparzer in Ihrer biographie, Sie können’s erzählen und dieser vergrämte patriot und sauertöpfische nergler dünkt mich immer wider tiefer als der poet. [...] Das starke herauskehren des Östreichertums macht mich gereizt; dem dichter haftet das doch gar nicht so ausschliesslich an. [...] Auch Ihnen bin ich darüber etwas böse. Die Reichsdeutschen haben die feier doch sehr erhebend mitgemacht. Warum sollen wir nicht stolzer sagen: er war ein deutscher dichter? Ich sehe geradezu einen kleinen zwiespalt zwischen den höchsten seiner dichterischen absichten und seinem menschlichen wesen: dort ist nichts österr. hier ist vielleicht alles österr. Ich stemme mich überhaupt gegen stammescharakteristik.

Seuffert bestärkte Sauer in seinen Plänen, eine Grillparzerbiographie zu schreiben. Eine Auswahl der zahlreichen, in Vorbereitung der Biographie oder im Zusammenhang mit den verschiedenen von ihm besorgten oder geleiteten Grillparzerausgaben entstandenen Aufsätze erschien jedoch erst nach Sauers Tod. Die Biographie selbst wurde nie abgeschlossen. Seuffert verwehrte sich aber dagegen, Grillparzer für eine österreichische Identität zu vereinnahmen.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 3 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8567 [Druckausgabe Nr. 110]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8567/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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