Graz 25 II 95

Lieber freund Ich danke Ihnen sehr für Ihre karte und Ihre briefe, besonders auch für die annahme des Kleistartikels und für die übertragung des Brandl an Wukadinovic, die ihn unbändig freute. Ob er für das buch genug weiss, kann ich nicht versprechen; nur das eine, dass er sich mühe geben und zur besprechung eigens lernen wird. Er ist besonnen u. bescheiden und so war es mir eigentlich sehr unangenehm, dass Schönbach, dem er in reiner herzensfreude Ihren auftrag erzählte, ihn warnte: er dürfe nichts tadeln, Sie dächten sehr gut über Brandl und mit Br. sei schlecht kirschen essen. Bei Wukadinović art nimmt ihm das völlig die freiheit der meinung, gar bei der 1. recension. U. ich fürchte, Sie werden das an ihr s. z. merken, so bestimmt ich ihm das versprechen abnahm, er solle alles ganz grob niederschreiben, wenn es ihn dränge, ich würde dann das selbst ausgleichen. Übrigens hat er keinerlei vorurteil als das berechtigte, dass die engl. litt. gesch. im ganzen noch nicht so fein betrieben wird, wie die deutsche. Er hat zu Br.s person u. schriftstellerei keinerlei stellung.
Ihr Anastasius-brief ist ganz in dem sinne, wie ich ihn nach Ihren früheren äusserungen erwarten musste; ich danke Ihnen recht herzlich dafür und hoffe, dass er bei dem schwerfälligen Rollett seine wirkung tat.
Ihre zs.-erfahrung deckt sich mit der meinen: abfall im beginn des 2. jahrganges. Ich habe von meinem verleger vergebens zu erkunden gesucht, wer abfiel; er müsste das doch durch die sortimenter erfahren können. Freilich lag mir auch nicht sehr viel dran: denn ich hatte mir mein spiel vorgesteckt u. sagte eigensinnig – dahin oder überhaupt nicht. Die VJS. war eben einseitig. Der Euphorion aber ist vielseitig. Und Sie wären in der lage und wol auch geneigt, die wieder zu gewinnen, denen etwas nicht passte, wenn Sie nur von Koch erfahren könnten: ob gymn. oder universitäten oder privatgesellschaften (lesezirkel) abfielen. Zur versendung von prospekten habe ich seit den Henningerschen erfahrungen kein zutrauen.* Das geld was da aufgeht, würde Koch besser den sortimentern schenken: sie vertreiben ganz anders bei 33 % als bei 25 % und gar wenn sie auf ½ dutzend ein freiexemplar bekommen. Ich würde als verleger das publikum nie direkt angehen, aber es durch die sortimenter aufs blut peinigen lassen durch stets neue ansichtsendungen. Jedenfalls soll aber Ihr verleger ausharren u. nicht so dumm sein wie Böhlau, gleich den preis des 1. jahrgges zurückzusetzen: wer wird da abonnieren u. nicht lieber warten, ob er den band nicht 1 monat nach dem letzten hefte billiger kriegt? dann aber doch auf den kauf vergessen oder verzichten. In 3. jahr ging die VJS. aufwärts. U. wenn wie die Berliner gesellschaft doch auch noch das Wiener minister. etwas tut, so können Sie ja aufs trockne kommen. Übrigens verlangt Koch mit 330 abonnenten viel.
Übers beiheft hab ich kein urteil. Es kann die aktive leistungsfähigkeit Ihres organes zeigen. Aber ob es passiv nützlich ist? ob es gekauft wird? Stecken Sie mindergutes hinein, so geht es nicht ab. Füllen Sie es mit dem besten Ihres lagers, so brummt der abonnent, dass er das nicht in der zs. bekam. Lieber wäre mir ein doppelheft (gegen die Böhlau war, ich weiss nicht warum). Fragen Sie aber doch Koch! eine frage schadet nicht. Die bibliographie darf beschnitten werden, dünkt mich, ich höre nicht viel darüber, aber ich hörte wiederholt, es stecke vieles drin, was man da nicht suche.
Für litterarhistorische bücher ist Spitzer ganz unbrauchbar. Er hat ein verblüffend unsicheres urteil über neuere autoren, nicht blos über naturalisten, deren heftiger gegner er ist. Er steckt ganz in der 48er lyrik, was neues anlangt. Nur über alte leute des 18. jhs hat er gutes urteil, besonders weil sie auch philos. waren. Denn eigentlich geht seine ästhetik von theorie zu theorie, nicht von product zu theorie. Da ist eine schwäche, die seine stärke ist, aber ihn für Ihren jetzigen zweck unbrauchbar macht. Eigentlich wäre Schönbach Ihr mann für diese aufgabe. Er ist allem neuen zugänglich und doch nicht einseitig einer richtung angehörig. Jetzt hat er zwar wider aufgegeben, über litteratur seit 1850 zu lesen, wozu ich ihm sehr zuredete; ich denke aber, er tut es doch einmal u. schreibt auch einmal ein buch darüber.
Auf Drescher gegen Hermann bin ich begierig, denn so weit ich sehe, ist Herrm. schärfer, nicht nur in worten, als der etwas blasse Drescher. Geiger zu vermöbeln ist leicht, das kann auch ein quatschkopf wie Steig. Oder denken Sie gut von diesem Hermann Grimmcopisten? er ist doch nur ein affe seiner manier, ohne seinen geist. (Ich bin böse auf s. Grimm-Goethebuch) Schreiben Sie doch Rubensohns 2. teil selber um! Derlei tat ich auch, manche können eben nicht disponieren, selbst wenn man ihnen seitenlange winke (hübsche kathederblüte!) gab.
Von Leipzig weiss auch ich nichts. An Elster glaub ich nicht; Burdach hat sich m. w. mit Sievers in Halle nicht vertragen. Freilich sollten Sie dem Schererfresser auch zuwider sein, und da hat er doch die sache walten lassen. Jedenfalls scheint es erst im sommer ausgetragen zu werden. Ich wünsche, dass es nach Ihren wünschen sei. Wie können Sie an die technik denken!? Sie lehren doch gerne. Ich würde Werner die stelle zur erholung und zur rückkehr ex ponto sehr wünschen.
Bettelheim zahlt nicht gut, ich habe aber vergessen wie viel und hat ein engeres thema, allerdings das, was sich bei bier u. kafe liest. Was weiss denn Schlösser über den Elpenor? Auf die Merope hab ich schon hingewiesen; gibts noch was Gotterisches? Treulich grüsst
Ihr
Seuffert* Aber da alle verleger es gerne tun, hatten Sie sehr recht es auch zu tun.

Graz 25 II 95

Lieber freund Ich danke Ihnen sehr für Ihre karte und Ihre briefe, besonders auch für die annahme des Kleistartikels und für die übertragung des Brandl an Wukadinovic, die ihn unbändig freute. Ob er für das buch genug weiss, kann ich nicht versprechen; nur das eine, dass er sich mühe geben und zur besprechung eigens lernen wird. Er ist besonnen u. bescheiden und so war es mir eigentlich sehr unangenehm, dass Schönbach, dem er in reiner herzensfreude Ihren auftrag erzählte, ihn warnte: er dürfe nichts tadeln, Sie dächten sehr gut über Brandl und mit Br. sei schlecht kirschen essen. Bei Wukadinović art nimmt ihm das völlig die freiheit der meinung, gar bei der 1. recension. U. ich fürchte, Sie werden das an ihr s. z. merken, so bestimmt ich ihm das versprechen abnahm, er solle alles ganz grob niederschreiben, wenn es ihn dränge, ich würde dann das selbst ausgleichen. Übrigens hat er keinerlei vorurteil als das berechtigte, dass die engl. litt. gesch. im ganzen noch nicht so fein betrieben wird, wie die deutsche. Er hat zu Br.s person u. schriftstellerei keinerlei stellung.
Ihr Anastasius-brief ist ganz in dem sinne, wie ich ihn nach Ihren früheren äusserungen erwarten musste; ich danke Ihnen recht herzlich dafür und hoffe, dass er bei dem schwerfälligen Rollett seine wirkung tat.
Ihre zs.-erfahrung deckt sich mit der meinen: abfall im beginn des 2. jahrganges. Ich habe von meinem verleger vergebens zu erkunden gesucht, wer abfiel; er müsste das doch durch die sortimenter erfahren können. Freilich lag mir auch nicht sehr viel dran: denn ich hatte mir mein spiel vorgesteckt u. sagte eigensinnig – dahin oder überhaupt nicht. Die VJS. war eben einseitig. Der Euphorion aber ist vielseitig. Und Sie wären in der lage und wol auch geneigt, die wieder zu gewinnen, denen etwas nicht passte, wenn Sie nur von Koch erfahren könnten: ob gymn. oder universitäten oder privatgesellschaften (lesezirkel) abfielen. Zur versendung von prospekten habe ich seit den Henningerschen erfahrungen kein zutrauen.* Das geld was da aufgeht, würde Koch besser den sortimentern schenken: sie vertreiben ganz anders bei 33 % als bei 25 % und gar wenn sie auf ½ dutzend ein freiexemplar bekommen. Ich würde als verleger das publikum nie direkt angehen, aber es durch die sortimenter aufs blut peinigen lassen durch stets neue ansichtsendungen. Jedenfalls soll aber Ihr verleger ausharren u. nicht so dumm sein wie Böhlau, gleich den preis des 1. jahrgges zurückzusetzen: wer wird da abonnieren u. nicht lieber warten, ob er den band nicht 1 monat nach dem letzten hefte billiger kriegt? dann aber doch auf den kauf vergessen oder verzichten. In 3. jahr ging die VJS. aufwärts. U. wenn wie die Berliner gesellschaft doch auch noch das Wiener minister. etwas tut, so können Sie ja aufs trockne kommen. Übrigens verlangt Koch mit 330 abonnenten viel.
Übers beiheft hab ich kein urteil. Es kann die aktive leistungsfähigkeit Ihres organes zeigen. Aber ob es passiv nützlich ist? ob es gekauft wird? Stecken Sie mindergutes hinein, so geht es nicht ab. Füllen Sie es mit dem besten Ihres lagers, so brummt der abonnent, dass er das nicht in der zs. bekam. Lieber wäre mir ein doppelheft (gegen die Böhlau war, ich weiss nicht warum). Fragen Sie aber doch Koch! eine frage schadet nicht. Die bibliographie darf beschnitten werden, dünkt mich, ich höre nicht viel darüber, aber ich hörte wiederholt, es stecke vieles drin, was man da nicht suche.
Für litterarhistorische bücher ist Spitzer ganz unbrauchbar. Er hat ein verblüffend unsicheres urteil über neuere autoren, nicht blos über naturalisten, deren heftiger gegner er ist. Er steckt ganz in der 48er lyrik, was neues anlangt. Nur über alte leute des 18. jhs hat er gutes urteil, besonders weil sie auch philos. waren. Denn eigentlich geht seine ästhetik von theorie zu theorie, nicht von product zu theorie. Da ist eine schwäche, die seine stärke ist, aber ihn für Ihren jetzigen zweck unbrauchbar macht. Eigentlich wäre Schönbach Ihr mann für diese aufgabe. Er ist allem neuen zugänglich und doch nicht einseitig einer richtung angehörig. Jetzt hat er zwar wider aufgegeben, über litteratur seit 1850 zu lesen, wozu ich ihm sehr zuredete; ich denke aber, er tut es doch einmal u. schreibt auch einmal ein buch darüber.
Auf Drescher gegen Hermann bin ich begierig, denn so weit ich sehe, ist Herrm. schärfer, nicht nur in worten, als der etwas blasse Drescher. Geiger zu vermöbeln ist leicht, das kann auch ein quatschkopf wie Steig. Oder denken Sie gut von diesem Hermann Grimmcopisten? er ist doch nur ein affe seiner manier, ohne seinen geist. (Ich bin böse auf s. Grimm-Goethebuch) Schreiben Sie doch Rubensohns 2. teil selber um! Derlei tat ich auch, manche können eben nicht disponieren, selbst wenn man ihnen seitenlange winke (hübsche kathederblüte!) gab.
Von Leipzig weiss auch ich nichts. An Elster glaub ich nicht; Burdach hat sich m. w. mit Sievers in Halle nicht vertragen. Freilich sollten Sie dem Schererfresser auch zuwider sein, und da hat er doch die sache walten lassen. Jedenfalls scheint es erst im sommer ausgetragen zu werden. Ich wünsche, dass es nach Ihren wünschen sei. Wie können Sie an die technik denken!? Sie lehren doch gerne. Ich würde Werner die stelle zur erholung und zur rückkehr ex ponto sehr wünschen.
Bettelheim zahlt nicht gut, ich habe aber vergessen wie viel und hat ein engeres thema, allerdings das, was sich bei bier u. kafe liest. Was weiss denn Schlösser über den Elpenor? Auf die Merope hab ich schon hingewiesen; gibts noch was Gotterisches? Treulich grüsst
Ihr
Seuffert* Aber da alle verleger es gerne tun, hatten Sie sehr recht es auch zu tun.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Rohtranskription, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8741. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8741/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

LinksInformation

Das Bildmaterial dieser Webseite sind Reproduktionen aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek und des Staatsarchivs Würzburg. Für jede weitere Verwendung wenden Sie sich bitte an die jeweilige Institution.