Prag 9/2 97.
Smichow 586
Lieber Freund! Ich sende Ihnen heute [di]e Correcturbogen meines nächsten Heftes und erzähle Ihnen zugleich zum besseren Verständnisse dessen Biographie. Das Manuscript mit den 3 kleinen Minorschen Beiträgen war schon in der Druckerei und theilweise gesetzt, als er mir die Fortsetzung des Stichreimartikels schickte, mich bat, die 3 andern Sachen zurückzulassen & den Artikel gegen Herrmann voranzustellen. Später kamen dann die einzelnen Gutachten bruchstückweise nach, wobei sich M. alle möglichen Eigenmächtigkeiten der Druckerei gegenüber herausnahm. Endlich Mitte Dec. schrieb er mir von Sievers’ Antikritik und veranlaßte mich, mich bei Sievers um sie zu bewerben. Sievers schickte mir auch am 26. Dec. das druckfertig gemachte Manuscript, das ich sogleich setzen ließ; durch die Ferientage verzögerte sich aber die Correctur bis zum 4. oder 5. Januar. Inzwischen hatte Minor seine Erklärung gegen Herrmann, von der die DLZ keine Separatabdrücke angefertigt hatte, noch einmal in den Druck gegeben u. den Schlußsatz geändert: Sievers’ Artikel werde im nächsten Heft des Euphorion erscheinen. Dies nahm Sievers zum Vorwand, um s. Artikel zurückzuziehen. Die Erklärung sei vom 11. Dez. datiert. Jedermann i[n] Lpzg. wisse, daß er damals jene Absicht noch nicht gehabt hätte etc. Aber auch andre Gründe schütze er vor in einem kläglichen, seinen Charakter zur höchsten Unehre gereichenden Briefe vor. Gewiß waren es Einflüsse von Berlin her, die sich geltend machten. Pogatscher sagte ganz richtig, als ich ihm die Sache erzählte: Weinhold ist ein alter Mann! – Nun warf Minor nicht nur Sievers’ Gutachten, das als das beste und ausführlichste das eigentliche Rückgrat der Enquête bildete, hinau[s], sondern fügte auch jenen lächerlichen Schluß hinzu; mit dem Abschied vom Leser und dem Fußtritt für den Euphorion u. bat mich auch, s. 3 andern zurückgestellten Aufsätze in das Heft aufzunehmen (was ich noch lieber that, als daß ich im nächsten Heft in einer Redactionsnote auf die Sache zurückgekommen wäre). Und das Alles, nachdem er dem Euphorion zum Dank für treue Waffenbruderschaft goldene Berge versprochen, alle möglichen Artikel angekündigt u. eine ganze Reihe von Recensionen übernommen hatte. Als er gleichz[eiti]g Schmidt s. Briefe zurücksandte, ließ dieser s. Wut an mir aus. Kündigte mir – wenigstens halb u. halb – die Mitarbeiterschaft u. gab mir auf einen längeren Brief keine Antwort. – Alles das gleichzeitig. Ich war wirklich sehr deprimiert. Ja seit dem Scheitern meiner Grillparzerbiographie (was mir allerdings mehr ans Leben gieng als irgend Jemand weiß) hat mich nichts Litterarisches so aufgeregt. Das Erscheinen des nächsten Heftes erschien mir als eine Blamage, die ich als Redacteur nicht überwinden könnte. Auch heute noch ist mir das – zuerst durch die Affaire Sievers und dann durch [m]eine Unlust arg verschleppte – Heft ein Greuel. Aber im Übrigen bin ich mutiger geworden und beginne die Sache von der besten Seite zu nehmen. Ich bin Minor, der mir nur Verdrießlichkeiten bereitete, nun für alle Mal los, ohne mit ihm verfeindet zu sein; ich bin mit den Berlinern zwar verfeindet, aber wie neue Einsendungen, auch von Meyer etc. beweisen, von den besseren Elementen nicht verlassen und so werde ich wahrscheinlich mein Kreuz weitertragen, bis die Berliner eine neue Zs. gründen oder irgend eine andre Krisis eintritt. Auch schweigen habe ich [???]????im Jahre 91 gelernt. Nur Ihnen erzähle ich die Sache als dem treusten Freund der Zs. und damit Sie an mir nicht irre werden. Aber einen wahren Ekel habe ich vor unserem Gelehrtenwesen und darin stimme ich mit Minor überein, daß unsere Luft verpestet ist. Nur hat er selbst zu dieser Stinkatmosphäre das Meiste beigetragen. Ich werde also zwischen Wien & Berlin hindurchzulavieren suchen. An Manuscript fehlt es mir auf ein Jahr hinaus nicht. – Im Übrigen möchte ich m[ich] nur noch wegen des mislungenen Experimentes mit Wyplel bei Ihnen entschuldigen. Die Rec. war als ich sie erhielt, nicht übel, nur sehr breit. Ich veranlasste ihn sie zu kürzen & nun strich er wieder viel zu viel weg, so daß sich das ganze jetzt wie eine Sammlung von Aphorismen ausnimmt. Wukadinović muß das entschuldigen. Ich hatte es recht gut gemeint. Alles Gute & Schöne. Ihr aufrichtig erg. AS.
Prag 9/2 97.
Smichow 586
Lieber Freund! Ich sende Ihnen heute [di]e Correcturbogen meines nächsten Heftes und erzähle Ihnen zugleich zum besseren Verständnisse dessen Biographie. Das Manuscript mit den 3 kleinen Minorschen Beiträgen war schon in der Druckerei und theilweise gesetzt, als er mir die Fortsetzung des Stichreimartikels schickte, mich bat, die 3 andern Sachen zurückzulassen & den Artikel gegen Herrmann voranzustellen. Später kamen dann die einzelnen Gutachten bruchstückweise nach, wobei sich M. alle möglichen Eigenmächtigkeiten der Druckerei gegenüber herausnahm. Endlich Mitte Dec. schrieb er mir von Sievers’ Antikritik und veranlaßte mich, mich bei Sievers um sie zu bewerben. Sievers schickte mir auch am 26. Dec. das druckfertig gemachte Manuscript, das ich sogleich setzen ließ; durch die Ferientage verzögerte sich aber die Correctur bis zum 4. oder 5. Januar. Inzwischen hatte Minor seine Erklärung gegen Herrmann, von der die DLZ keine Separatabdrücke angefertigt hatte, noch einmal in den Druck gegeben u. den Schlußsatz geändert: Sievers’ Artikel werde im nächsten Heft des Euphorion erscheinen. Dies nahm Sievers zum Vorwand, um s. Artikel zurückzuziehen. Die Erklärung sei vom 11. Dez. datiert. Jedermann i[n] Lpzg. wisse, daß er damals jene Absicht noch nicht gehabt hätte etc. Aber auch andre Gründe schütze er vor in einem kläglichen, seinen Charakter zur höchsten Unehre gereichenden Briefe vor. Gewiß waren es Einflüsse von Berlin her, die sich geltend machten. Pogatscher sagte ganz richtig, als ich ihm die Sache erzählte: Weinhold ist ein alter Mann! – Nun warf Minor nicht nur Sievers’ Gutachten, das als das beste und ausführlichste das eigentliche Rückgrat der Enquête bildete, hinau[s], sondern fügte auch jenen lächerlichen Schluß hinzu; mit dem Abschied vom Leser und dem Fußtritt für den Euphorion u. bat mich auch, s. 3 andern zurückgestellten Aufsätze in das Heft aufzunehmen (was ich noch lieber that, als daß ich im nächsten Heft in einer Redactionsnote auf die Sache zurückgekommen wäre). Und das Alles, nachdem er dem Euphorion zum Dank für treue Waffenbruderschaft goldene Berge versprochen, alle möglichen Artikel angekündigt u. eine ganze Reihe von Recensionen übernommen hatte. Als er gleichz[eiti]g Schmidt s. Briefe zurücksandte, ließ dieser s. Wut an mir aus. Kündigte mir – wenigstens halb u. halb – die Mitarbeiterschaft u. gab mir auf einen längeren Brief keine Antwort. – Alles das gleichzeitig. Ich war wirklich sehr deprimiert. Ja seit dem Scheitern meiner Grillparzerbiographie (was mir allerdings mehr ans Leben gieng als irgend Jemand weiß) hat mich nichts Litterarisches so aufgeregt. Das Erscheinen des nächsten Heftes erschien mir als eine Blamage, die ich als Redacteur nicht überwinden könnte. Auch heute noch ist mir das – zuerst durch die Affaire Sievers und dann durch [m]eine Unlust arg verschleppte – Heft ein Greuel. Aber im Übrigen bin ich mutiger geworden und beginne die Sache von der besten Seite zu nehmen. Ich bin Minor, der mir nur Verdrießlichkeiten bereitete, nun für alle Mal los, ohne mit ihm verfeindet zu sein; ich bin mit den Berlinern zwar verfeindet, aber wie neue Einsendungen, auch von Meyer etc. beweisen, von den besseren Elementen nicht verlassen und so werde ich wahrscheinlich mein Kreuz weitertragen, bis die Berliner eine neue Zs. gründen oder irgend eine andre Krisis eintritt. Auch schweigen habe ich [???]????im Jahre 91 gelernt. Nur Ihnen erzähle ich die Sache als dem treusten Freund der Zs. und damit Sie an mir nicht irre werden. Aber einen wahren Ekel habe ich vor unserem Gelehrtenwesen und darin stimme ich mit Minor überein, daß unsere Luft verpestet ist. Nur hat er selbst zu dieser Stinkatmosphäre das Meiste beigetragen. Ich werde also zwischen Wien & Berlin hindurchzulavieren suchen. An Manuscript fehlt es mir auf ein Jahr hinaus nicht. – Im Übrigen möchte ich m[ich] nur noch wegen des mislungenen Experimentes mit Wyplel bei Ihnen entschuldigen. Die Rec. war als ich sie erhielt, nicht übel, nur sehr breit. Ich veranlasste ihn sie zu kürzen & nun strich er wieder viel zu viel weg, so daß sich das ganze jetzt wie eine Sammlung von Aphorismen ausnimmt. Wukadinović muß das entschuldigen. Ich hatte es recht gut gemeint. Alles Gute & Schöne. Ihr aufrichtig erg. AS.
Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 422/1-329
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8830 [Druckausgabe Nr. 161]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8830/methods/sdef:TEI/get
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