Graz, 16. X 98.

Lieber freund, Sie erhalten hier das gewünschte u. etwas mehr: dies für den papierkorb. Denn wenn Sie mit Wukadinovič ein einigermassen erträgliches verhältnis haben, würden Sie diesem eine besprechung des Bauerschen programmes auftragen: das ist sein fall, mehr als meiner; ich kann jetzt nicht nachprüfen u. finde nur guten, ernsten willen heraus. Die notiz über die Weimarer festgabe darf beileibe nicht unterzeichnet werden; ich will das rohe ei nicht anrühren, u. habe deshalb auch keinerlei ephiteton gewagt. Wie haben Sie denn die zustände im archiv gefunden? aus der ferne macht es den eindruck völliger leitungslosigkeit (????? venia verbo); keine sachliche anfrage wird erträglich beantwortet.
Haben Sie für den Euphorion Sittenbergers Dramaturgie der gegenwart zur besprechung? es würde mich freuen, wenn einer das gescheute/gescheite buch meines einstigen schülers recht lobte. Der arme teufel verdient es, nachdem er zu anständig für die Wiener journalistik war u. deshalb von ihr nicht ertragen oder getragen wurde.
Ich wage es nochmals an die musikalische Professur zur rühren, indem ich den letzten brief Sandbergers beischliesse zu vertraulicher kenntnisnahme u. rücksendung. Ich liess ihn liegen, da in den ferien ja doch nichts geschah in der sache. Und nun zum persönlichen. Wie ärgerlich, dass Sie nicht nach Goisern kamen! Wie hätte uns das gefreut! welche woltat wäre mir eine aussprache mit Ihnen über vieles und manche gewesen! Kein wort wusste ich, dass Sie in St Gilgen sind; und ich war einen mittag in Wolfgang und nachmittags auf dem Schafberg! Warum haben Sie mich nicht nach Ischl bestellt? Kurz, ich machs Ihnen zum vorwurf, dass Sie sich verheimlichten. Wie gerne hätten wir auch Ihre frau näher kennen lernen als bei dem flüchtigen hiesigen erscheinen. Alles ist versäumt, wer weiss auf wie lange.
Dass Sie Fürsts los sind, ist nach meinem eindruck von seiner leistung kein schaden.
Er rächt an Ihnen seinen verdienten misserfolg und zeigt so, wes geistes kind er ist. Dass Sie seinte törichte undankbarkeit kränkt, begreift sich.
Wenn der kleinkopf E. Götze sich zu streichen anmasst, so würde ich ihm das grob untersagen. Was weiss er denn, ausser ein bißchen von H Sachs? Ihren § kann man so beim ansehen gar nicht schätzen, derlei wird erst beim arbeiten und für arbeiten fruchtbar. Die mühe ist unverloren für alle zeiten.
Kösters ernennung halte ich für gut, obgleich ich nur einige Kapitel der SchillerDramaturgie für ausgezeichnet erkenne u. seine Venus als zu affektiert nicht so lobe wie andere. Jedenfalls ist er ernster zu nehmen, dünkt mich, als viele junge. U. ich habe vertrauen, dass er den wechsel auf die zukunft einlöst. Einen bewährten selbständigen älteren wollte nun eben der papst Sieven nicht neben sich.
Elster tat mir persönlich leid, aber als philologen schätze ich Köster höher. Dass sich Schröder den ganz unphilologischen Kühnemann, der doch für philosophie habilitiert ist, creiren sollte, kommt mir unwahrscheinlich vor. Kösters berufung war schon zu pfingsten spätestens bestimmt von S. in aussicht genommen.
Wie gefiel Ihnen nun Eigenbrodt? als was lebt er? Ich denke, er ist der wissenschaft entfremdet.
Das Berliner Archiv brauchen Sie nicht zu fürchten. Mehr als bisher wird E.Schmidt kaum hineinspenden; was hat er, der „mitwirker“, denn in die Vierteljs. gegeben? Und dass er den Berlinern etwas zuwirft, die ihn täglich umbetteln, ist doch selbstverständlich. Übrigens will Brandl die redaction einem jüngeren übergeben; erzählt Luick vom ????? ich weiss nicht wem. Dann könnte das Archiv besser werden; denn ich wenigstens halte nicht zu viel von dem grossen Aloys.
Warten wirs ab! Das Lpzer Archiv hat neben dem Berliner bestanden u. war überlegen, warum sollte es der Euphorion nicht auch sein? An der beseitigung der Zs. f. vgl. lg. läge mir mehr; aber wie sie umbringen?
Ich teile Ihre freude, dass die polemik zu ende ist. Dabei kommt nichts heraus. Die Wiener herren sind zu hochfahrend.
Könnten Sie nicht die Schweizer gewinnen, indem Sie sich Bericht über die Bodmerausstellung erbitten? (Th oder Detter?) Durch das auftragen von rec. haben Sie ja die möglichkeit, sich erwünschte mitarbeiter heranzuziehen.
Alles gute fürs semester! Ich stecke noch immer in den zahllosen Wertherlesarten.
Grüssend Ihr
ergebener
BSfft.

Graz, 16. X 98.

Lieber freund, Sie erhalten hier das gewünschte u. etwas mehr: dies für den papierkorb. Denn wenn Sie mit Wukadinovič ein einigermassen erträgliches verhältnis haben, würden Sie diesem eine besprechung des Bauerschen programmes auftragen: das ist sein fall, mehr als meiner; ich kann jetzt nicht nachprüfen u. finde nur guten, ernsten willen heraus. Die notiz über die Weimarer festgabe darf beileibe nicht unterzeichnet werden; ich will das rohe ei nicht anrühren, u. habe deshalb auch keinerlei ephiteton gewagt. Wie haben Sie denn die zustände im archiv gefunden? aus der ferne macht es den eindruck völliger leitungslosigkeit (????? venia verbo); keine sachliche anfrage wird erträglich beantwortet.
Haben Sie für den Euphorion Sittenbergers Dramaturgie der gegenwart zur besprechung? es würde mich freuen, wenn einer das gescheute/gescheite buch meines einstigen schülers recht lobte. Der arme teufel verdient es, nachdem er zu anständig für die Wiener journalistik war u. deshalb von ihr nicht ertragen oder getragen wurde.
Ich wage es nochmals an die musikalische Professur zur rühren, indem ich den letzten brief Sandbergers beischliesse zu vertraulicher kenntnisnahme u. rücksendung. Ich liess ihn liegen, da in den ferien ja doch nichts geschah in der sache. Und nun zum persönlichen. Wie ärgerlich, dass Sie nicht nach Goisern kamen! Wie hätte uns das gefreut! welche woltat wäre mir eine aussprache mit Ihnen über vieles und manche gewesen! Kein wort wusste ich, dass Sie in St Gilgen sind; und ich war einen mittag in Wolfgang und nachmittags auf dem Schafberg! Warum haben Sie mich nicht nach Ischl bestellt? Kurz, ich machs Ihnen zum vorwurf, dass Sie sich verheimlichten. Wie gerne hätten wir auch Ihre frau näher kennen lernen als bei dem flüchtigen hiesigen erscheinen. Alles ist versäumt, wer weiss auf wie lange.
Dass Sie Fürsts los sind, ist nach meinem eindruck von seiner leistung kein schaden.
Er rächt an Ihnen seinen verdienten misserfolg und zeigt so, wes geistes kind er ist. Dass Sie seinte törichte undankbarkeit kränkt, begreift sich.
Wenn der kleinkopf E. Götze sich zu streichen anmasst, so würde ich ihm das grob untersagen. Was weiss er denn, ausser ein bißchen von H Sachs? Ihren § kann man so beim ansehen gar nicht schätzen, derlei wird erst beim arbeiten und für arbeiten fruchtbar. Die mühe ist unverloren für alle zeiten.
Kösters ernennung halte ich für gut, obgleich ich nur einige Kapitel der SchillerDramaturgie für ausgezeichnet erkenne u. seine Venus als zu affektiert nicht so lobe wie andere. Jedenfalls ist er ernster zu nehmen, dünkt mich, als viele junge. U. ich habe vertrauen, dass er den wechsel auf die zukunft einlöst. Einen bewährten selbständigen älteren wollte nun eben der papst Sieven nicht neben sich.
Elster tat mir persönlich leid, aber als philologen schätze ich Köster höher. Dass sich Schröder den ganz unphilologischen Kühnemann, der doch für philosophie habilitiert ist, creiren sollte, kommt mir unwahrscheinlich vor. Kösters berufung war schon zu pfingsten spätestens bestimmt von S. in aussicht genommen.
Wie gefiel Ihnen nun Eigenbrodt? als was lebt er? Ich denke, er ist der wissenschaft entfremdet.
Das Berliner Archiv brauchen Sie nicht zu fürchten. Mehr als bisher wird E.Schmidt kaum hineinspenden; was hat er, der „mitwirker“, denn in die Vierteljs. gegeben? Und dass er den Berlinern etwas zuwirft, die ihn täglich umbetteln, ist doch selbstverständlich. Übrigens will Brandl die redaction einem jüngeren übergeben; erzählt Luick vom ????? ich weiss nicht wem. Dann könnte das Archiv besser werden; denn ich wenigstens halte nicht zu viel von dem grossen Aloys.
Warten wirs ab! Das Lpzer Archiv hat neben dem Berliner bestanden u. war überlegen, warum sollte es der Euphorion nicht auch sein? An der beseitigung der Zs. f. vgl. lg. läge mir mehr; aber wie sie umbringen?
Ich teile Ihre freude, dass die polemik zu ende ist. Dabei kommt nichts heraus. Die Wiener herren sind zu hochfahrend.
Könnten Sie nicht die Schweizer gewinnen, indem Sie sich Bericht über die Bodmerausstellung erbitten? (Th oder Detter?) Durch das auftragen von rec. haben Sie ja die möglichkeit, sich erwünschte mitarbeiter heranzuziehen.
Alles gute fürs semester! Ich stecke noch immer in den zahllosen Wertherlesarten.
Grüssend Ihr
ergebener
BSfft.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Rohtranskription, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8898. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8898/methods/sdef:TEI/get

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Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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