Prag 18/10 98
L. F. Ich beantworte Ihren lieben Brief der Reihenfolge nach, damit ich nichts übergehe. Für die Manuscripte danke ich herzlich; ich werde sie gewiss alle an Ort u. Stelle verwenden. Wukadinović sah ich nicht; er ist mir eine Reihe kleinerer Anzeigen aus der Zeit s. Mitarbeiterschaft schuldig; ich kann ihn vorderhand nicht mehr auffordern. – Im Goethe-Archiv ists trostlos. Suphan arbeitet gar nichts mehr; Wahle soll alles leisten, ist aber mit Kopf + Herz in der Gegenwart, beim Theater, bei d. Künstlern kurz & gut überall, nur nicht im Archiv. Fresenius macht Untersuchungen von 1jähriger Dauer ob ein Wort mit č oder k geschrieben wird, zerbricht sich den Kopf darüber wie Goethe einen Bergrath Oberbergath anreden kann und kommt nicht vom Fleck. So lieb ich ihn habe, er hat auf mich diesmal den Eindruck einer Mumie gemacht. Der Tüchtigste und Verwendbarste ist zweifellos Schüddekopf. Aber er wird zu Schreibgeschäften misbraucht. Goethe würde böse Xenien machen, wenn er die Wirtschaft sehen könnte.
Von Sittenberger habe ich kein Rec. Ex. bekommen. Bei der Lectüre hat es zwar als journalistisches Elabo[ra]t betrachtet einen ganz soliden Eindruck auf mich gemacht, aber als wiss. Leistung ist es doch sehr schwach und ungleich. Nissel breitgetreten u. Halm todtgeschwiegen. Zwischen Raimund-Nestroy u. Anzengruber eine Kluft als ob kein O. F. Berg, Langer etc. etc. existiert hätte. Ich wollte ihn bibliographisch abthun; vielleicht unterlass ichs nun.
Der Vorschlag für Adlers Professu[r] ist vor einer Woche gemacht worden; 2 Ausländer (Riemann & Kretzschmar) u. Rietsch, der Wiener Privatdocent. Sandbergers Name kam in dem sehr ausführlichen, auf Adlers Gutachten basierenden Schriftstück nicht vor, obgleich außer den Vorgeschlagenen noch andre Ausländer ehrenvolle Erwähnung darin gefunden hatten. Es war für ein Nicht-Comissionsmitglied schlechterdings unmöglich, das gelehrte lange [E]laborat irgendwie zu bemängeln. Als ich vor den Ferien mit Adler über Sandberger sprach, verhielt er sich gänzlich ablehnend, er sprach auch mit Hartel über S. u. Hartl läugnete Adler gegenüber ab, daß er jemals an diesen gedacht hätte. Alles liegt jetzt beim Ministerium.
Ich mache mir jetzt auch Vorwürfe, daß ich Ihnen nicht rechtzeitig im Sommer [ge]schrieben hatte. Die Schuld liegt an meiner Abgespanntheit u. Stumpfheit. Ich machte mir überhaupt zu spät klar, daß wir so nah bei einander sind u. dann giengs aber, wie ich Ihnen geschrieben habe. Ich hoffe, daß die Gelegenheit wieder einmal für uns günstig sei u. dann will ich klüger & rascher sein.
Götze habe ich ordentlich abgetrumpft u. er ist auch ganz klein u. zahm geworden; aber er hat mir die Freude an der Arbeit bereits gänzlich ver[dor]ben gehabt. Ich drucke jetzt an Ungarn u. hoffe mit den Correcturen Ende des Jahres fertig zu werden. Der Esel hat so viel von späteren §§ setzen lassen, daß mein druckfertig bei ihm erliegendes Man. nur halbbogenweise gefördert werden kann, weil die Schrift fehlt!!!
Kösters Ernennung wußte ich auch schon lange. – Wollen sehen.
Eigenbrodt ist ein sehr feinsinn[ige]r aber schon nervenkranker Mensch, der als Volontär an der Jenenser Bibliothek arbeitet & seine freie Zeit zu Übersetzungen (zuletzt Walther!) verwendet. Er denkt an metrisch-stilistische Untersuchungen über Möricke; so stille Dichter taugen für diesen stillen, lieben Menschen
Meyer hat mich auch über die Concurrenz des Archivs beruhigt. – Felber muß doch wol nächstens zu Grund gehen, denn es ist fabelhaft, zu was alles er sich einläßt.
Ob aber Koch mit ihm zu Grund geht, wie ich wol wünschen muß, bleibt dahin gestellt. Es scheint, daß das halb dilettantische Sammelsurium doch manche Leute anzieht.
Von einer Bodmerausstellung weiß ich gar nichts. Wollen Sie mich nicht mittelst Karte aufklären, was das ist. Ich will mich dann gern an Vetter wenden. Hauffen, der die Ztschrften & Bibliographie übernommen hat, wie ich Ihnen wol schrieb, wird sich wegen Auszügen aus schweiz. Ztschrft mit Jemanden/Jemenchen in Verbindg setzen. Meine Versuche mit Haug u. andren hatten alle fehlgeschlagen.
Über Arbeiten & Arbeitspläne schweig ich lieber, weil ich nicht weiß, ob sie sich realisiren. Momentan hab ich meine Bücheraufstellung beendet, sie in 2 Zimmern bequem untergebracht u. auch sonst war manches Andre derart geordnet, daß ich vielleicht an größere äußere u. innere Ruhe denken darf. Hab ich doch auch das Dekanat los. Nur die Besetzg der 2. Professur drückt mich. Und sie ist doch für meine nächste Zukunft das Wichtigste.
Herzlichst
Ihr altergeb.
ASauer
Ich habe Ihnen gestern das neue Heft DLD gesandt u. lasse heute das neue Heft Euph. außer Bibl. etc. folgen.
Prag 18/10 98
L. F. Ich beantworte Ihren lieben Brief der Reihenfolge nach, damit ich nichts übergehe. Für die Manuscripte danke ich herzlich; ich werde sie gewiss alle an Ort u. Stelle verwenden. Wukadinović sah ich nicht; er ist mir eine Reihe kleinerer Anzeigen aus der Zeit s. Mitarbeiterschaft schuldig; ich kann ihn vorderhand nicht mehr auffordern. – Im Goethe-Archiv ists trostlos. Suphan arbeitet gar nichts mehr; Wahle soll alles leisten, ist aber mit Kopf + Herz in der Gegenwart, beim Theater, bei d. Künstlern kurz & gut überall, nur nicht im Archiv. Fresenius macht Untersuchungen von 1jähriger Dauer ob ein Wort mit č oder k geschrieben wird, zerbricht sich den Kopf darüber wie Goethe einen Bergrath Oberbergath anreden kann und kommt nicht vom Fleck. So lieb ich ihn habe, er hat auf mich diesmal den Eindruck einer Mumie gemacht. Der Tüchtigste und Verwendbarste ist zweifellos Schüddekopf. Aber er wird zu Schreibgeschäften misbraucht. Goethe würde böse Xenien machen, wenn er die Wirtschaft sehen könnte.
Von Sittenberger habe ich kein Rec. Ex. bekommen. Bei der Lectüre hat es zwar als journalistisches Elabo[ra]t betrachtet einen ganz soliden Eindruck auf mich gemacht, aber als wiss. Leistung ist es doch sehr schwach und ungleich. Nissel breitgetreten u. Halm todtgeschwiegen. Zwischen Raimund-Nestroy u. Anzengruber eine Kluft als ob kein O. F. Berg, Langer etc. etc. existiert hätte. Ich wollte ihn bibliographisch abthun; vielleicht unterlass ichs nun.
Der Vorschlag für Adlers Professu[r] ist vor einer Woche gemacht worden; 2 Ausländer (Riemann & Kretzschmar) u. Rietsch, der Wiener Privatdocent. Sandbergers Name kam in dem sehr ausführlichen, auf Adlers Gutachten basierenden Schriftstück nicht vor, obgleich außer den Vorgeschlagenen noch andre Ausländer ehrenvolle Erwähnung darin gefunden hatten. Es war für ein Nicht-Comissionsmitglied schlechterdings unmöglich, das gelehrte lange [E]laborat irgendwie zu bemängeln. Als ich vor den Ferien mit Adler über Sandberger sprach, verhielt er sich gänzlich ablehnend, er sprach auch mit Hartel über S. u. Hartl läugnete Adler gegenüber ab, daß er jemals an diesen gedacht hätte. Alles liegt jetzt beim Ministerium.
Ich mache mir jetzt auch Vorwürfe, daß ich Ihnen nicht rechtzeitig im Sommer [ge]schrieben hatte. Die Schuld liegt an meiner Abgespanntheit u. Stumpfheit. Ich machte mir überhaupt zu spät klar, daß wir so nah bei einander sind u. dann giengs aber, wie ich Ihnen geschrieben habe. Ich hoffe, daß die Gelegenheit wieder einmal für uns günstig sei u. dann will ich klüger & rascher sein.
Götze habe ich ordentlich abgetrumpft u. er ist auch ganz klein u. zahm geworden; aber er hat mir die Freude an der Arbeit bereits gänzlich ver[dor]ben gehabt. Ich drucke jetzt an Ungarn u. hoffe mit den Correcturen Ende des Jahres fertig zu werden. Der Esel hat so viel von späteren §§ setzen lassen, daß mein druckfertig bei ihm erliegendes Man. nur halbbogenweise gefördert werden kann, weil die Schrift fehlt!!!
Kösters Ernennung wußte ich auch schon lange. – Wollen sehen.
Eigenbrodt ist ein sehr feinsinn[ige]r aber schon nervenkranker Mensch, der als Volontär an der Jenenser Bibliothek arbeitet & seine freie Zeit zu Übersetzungen (zuletzt Walther!) verwendet. Er denkt an metrisch-stilistische Untersuchungen über Möricke; so stille Dichter taugen für diesen stillen, lieben Menschen
Meyer hat mich auch über die Concurrenz des Archivs beruhigt. – Felber muß doch wol nächstens zu Grund gehen, denn es ist fabelhaft, zu was alles er sich einläßt.
Ob aber Koch mit ihm zu Grund geht, wie ich wol wünschen muß, bleibt dahin gestellt. Es scheint, daß das halb dilettantische Sammelsurium doch manche Leute anzieht.
Von einer Bodmerausstellung weiß ich gar nichts. Wollen Sie mich nicht mittelst Karte aufklären, was das ist. Ich will mich dann gern an Vetter wenden. Hauffen, der die Ztschrften & Bibliographie übernommen hat, wie ich Ihnen wol schrieb, wird sich wegen Auszügen aus schweiz. Ztschrft mit Jemanden/Jemenchen in Verbindg setzen. Meine Versuche mit Haug u. andren hatten alle fehlgeschlagen.
Über Arbeiten & Arbeitspläne schweig ich lieber, weil ich nicht weiß, ob sie sich realisiren. Momentan hab ich meine Bücheraufstellung beendet, sie in 2 Zimmern bequem untergebracht u. auch sonst war manches Andre derart geordnet, daß ich vielleicht an größere äußere u. innere Ruhe denken darf. Hab ich doch auch das Dekanat los. Nur die Besetzg der 2. Professur drückt mich. Und sie ist doch für meine nächste Zukunft das Wichtigste.
Herzlichst
Ihr altergeb.
ASauer
Ich habe Ihnen gestern das neue Heft DLD gesandt u. lasse heute das neue Heft Euph. außer Bibl. etc. folgen.
Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 422/1-360
Umfang: 7 Seite(n)
Rohtranskription, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8899. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8899/methods/sdef:TEI/get
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