Graz 5 V 99
Ich antworte umgehend, lieber freund. Wenn Sie einige ursache haben zu glauben, dass Fromme durch Meyers anerbieten sich bei der stange halten lässt, würde ich doch diese beharrlichkeit für das beste finden. Freilich müsste ihm zugleich klar gemacht werden, dass das schweigen über die Öst. littgesch. das beste ist, was ihr der Euphorion tun kann. Es braucht das ja keine bitte zu sein: Sie gewähren ihm gnädig den vorrang bei den verbesserten verhältnissen. Übrigens: wie denkt es sich denn RMM., wenn der Euph. aufhört? Wohin mit den untersuchungen? Die zuwendung zum 17. jh., nötig und nützlich, bedarf erst recht einer zs., denn für sie gibt es keine zeitung. U.s.w. Nur das bitt ich zu erwägen: wird der gönner RMM. Sie nicht bedrücken? Eine art von abhängigkeit wächst sich leicht heraus, wenn auch stillschweigend. Gewiss gilt ja sein anerbieten der sache, aber… kurz, ich möchte keinen Fachgenossen u. freund als materiellen gönner. Um diesen preis kann ich Ihnen nicht raten, das unternehmen zu halten, so lebhaft ich es sonst wünsche, so lebhaft ich sie sonst darum bitte.
Dass Seemüller abgelehnt hat bedauere ich lebhaft. Ich begreifs auch nicht. Von Wackernell loszukommen muss ein genuss sein, dächte ich nach der vorstellung, die ich mir aus erzählungen von dem mir unbekannten herrn mache.
„Rat“ kann ich nicht geben, dazu kenne ich die in frage stehenden herrn zu wenig und persönlich überhaupt nur Kraus von einer begegnung weniger minuten, unter Minors türe.
Auf Detter halte ich viel, auf Much auch. Auf Jellinek am wenigsten, abgesehen davon dass mir seine person auch von anderer seite so gekennzeichnet wird, wie Sie es tun. Einen gedanken hat dieser sammler u. registrator noch nie gehabt; Hero u. Leander ist elend, Melissus ohne eine spur litthistor., das kapitel deutscher grammatik gegen Burdachs vorbild und überhaupt kläglich äusserlich: nirgends versteht er zu verwerten und zu bewerten. Darum kann ich mir auch nicht denken, dass er die treibende kraft im zweibund sein soll. Ob er so hochfahrend ist wie ich Kraus halte, weiss ich nicht. Dieser hat das selbstbewusstsein der alleingottgleichheit wie Burdach, Minor etc., kommt mir vor. K. was ist er? ein mechaniker. Alles wird aus registern, reimregistern u. an. gemacht. Statistiker, der allerdings schlüsse zieht, (u. was für gewagte, selbst in dem so verblüffend glatt laufenden artikel über Hartm.s 2. Büchlein), aber blind nur statistik sieht. Ich habe das auch seinem bewunderer Zwierzina gesagt; habe dem aber auch gesagt, dass sein viel weniger geschickt gruppierter artikel in d. Abh. f. Heinzel bei aller gleichen grundlage (aus H.s zucht) doch selbständiges denken, erkennen, erwägen, einschätzen der schwierigkeiten zeigt. Hätte nur dieser Zw. sein legendenbuch halbwegs fertig oder das drittel, das seit 2 jahren gedruckt da liegt (ich glaube 15 bogen) u. auf das wir ihn habilitierten, ausgeben lassen: der mann ist nach meiner festen überzeugung der beste der ganzen jungen schule. Ein wirklicher, echter philolog, ein gründlich gebildeter linguist u. grammatiker. Freilich kein weitschauender litthistor., obw. in der Margarethenlegende auch solche qualität herauskommt. Was ist echt? das allein interessiert ihn, die sache u. die form u. die sprache. Ist das denkmal „echt“ hergestellt, seine sachlichen u. formalen verderbnisse, entwicklungen aus freude an diesen selbst erledigt, so hat es f. ihn weiter keinen reiz.
Ästhet. bedürfnisse hat er nicht, obwol er fast täglich ins theater geht. Er kommt mir auch als mensch sehr charaktervoll vor, zurückhaltend, etwas abhängig von den Wienern, obwol er letzteres nicht nötig hätte, da er – wie ich ihm ins gesicht sagte – Kraus viel mehr inspiriert u. den fingerfertigen mechaniker sich überkommen lässt, als umgekehrt. Aber: es liegt halt wenig vor* gerade wie bei Schatz. Ich lobe ihn nicht, um ihn los zu werden, im gegenteil er dünkt mich hier sehr nützlich u. ich mag ihn gut leiden. Ich würde ihn vermissen.
Neben ihm halte ich für den gescheutesten der „Wiener schule“, wie sich die herren gerne nennen, um sich von allem deutschen gelehrtenplebs abzusondern, Singer. An geist wol auch Zw. überlegen, vielleicht etwas zu geistreich in einfällen, gewiss gründlich unterrichtet, aber mit jüdischer unordentlichkeit und weniger besonnen. Auch der Apollonius ist nicht durchcomponiert. Die Wolframsachen kann ich der mehrzahl nach nicht beurteilen, es ist aber vieles drin, was mir der auffassungsweise nach gefiel, ohne dass ich weiss, ob es wahr ist. Er soll ein anständiger, angenehmer jude sein im gegensatz zu Jellinek. Und da Sie doch in Prag viele deutsche juden haben, wäre es ihnen vielleicht doch möglicher als uns hier.
Ich sehe ja vollständig ein, dass es sehr schwer ist, bei der qualität und quantität der vorhandenen jungen Österreicher, sie zu ignorieren. Ich bin auch gar nicht sicher, ob man jetzt aus Deutschland erheblich viel besseres beziehen könnte. Es wäre für unsere jungen inländer, zu denen ich auch die in die Schweiz verschlagenen zähle, ein schwerer schlag übergangen zu werden; sie würden dadurch auch auswärts konkurrenzunfähig. So eine rechte, herzliche freude u. überzeugung habe ich freilich nicht dabei. Der, der schon etwas anderes gesehen hat, als Wien, wie die Schweizer, u. also vielleicht sich nicht mehr ganz als residenzvormacht fühlt, wäre mir lieber. Anciennität und masse der production schätze ich geringer als geist.
All das bitte ich gewiss nicht als rat zu fassen, nur als persönliches geplauder von freund zu freund, und also auch nicht als in der commission vorlegbare urteile. Ich bin ja in all dem nicht eigentlich sachkenner. Aber, wenn ich mich in Ihre lage setze, wäre mir woltätig mit einem unbefangenen (wofür ich mich halte) die dinge zu besprechen und nur darum wage ich es, Ihnen diese überlegungen und ansichten u. meinungen vorzutragen. Legen Sie keinen wert darauf! ausser auf das über Zwierzina, dessen arbeiten u. art ich genau kenne, so dass ich das über ihn gesagte auch der kommission gegenüber vertrete, falls Sie es ihr vortragen wollten.
Ich habe die richtigen SA von heft I erhalten.
Bestens grüssend Ihr
BSfft.
Eingefügt auf S. 4: *Er ist älter an jahren als Kraus. Meines wissens hat sich seine habilitation nicht nur durch die gewissenhaftigkeit seiner langsamen arbeit verzögert, sondern sein studium überhaupt dadurch, dass ihn sein vater veranlasste, nach dem tod des älteren bruders ins comptoir einzutreten, wo er es aber nicht aushielt. U. eile hat der vermögende mann nicht. Er macht einen sehr reifen eindruck. Spricht klar u. flüssig, aber nicht glänzend.
Graz 5 V 99
Ich antworte umgehend, lieber freund. Wenn Sie einige ursache haben zu glauben, dass Fromme durch Meyers anerbieten sich bei der stange halten lässt, würde ich doch diese beharrlichkeit für das beste finden. Freilich müsste ihm zugleich klar gemacht werden, dass das schweigen über die Öst. littgesch. das beste ist, was ihr der Euphorion tun kann. Es braucht das ja keine bitte zu sein: Sie gewähren ihm gnädig den vorrang bei den verbesserten verhältnissen. Übrigens: wie denkt es sich denn RMM., wenn der Euph. aufhört? Wohin mit den untersuchungen? Die zuwendung zum 17. jh., nötig und nützlich, bedarf erst recht einer zs., denn für sie gibt es keine zeitung. U.s.w. Nur das bitt ich zu erwägen: wird der gönner RMM. Sie nicht bedrücken? Eine art von abhängigkeit wächst sich leicht heraus, wenn auch stillschweigend. Gewiss gilt ja sein anerbieten der sache, aber… kurz, ich möchte keinen Fachgenossen u. freund als materiellen gönner. Um diesen preis kann ich Ihnen nicht raten, das unternehmen zu halten, so lebhaft ich es sonst wünsche, so lebhaft ich sie sonst darum bitte.
Dass Seemüller abgelehnt hat bedauere ich lebhaft. Ich begreifs auch nicht. Von Wackernell loszukommen muss ein genuss sein, dächte ich nach der vorstellung, die ich mir aus erzählungen von dem mir unbekannten herrn mache.
„Rat“ kann ich nicht geben, dazu kenne ich die in frage stehenden herrn zu wenig und persönlich überhaupt nur Kraus von einer begegnung weniger minuten, unter Minors türe.
Auf Detter halte ich viel, auf Much auch. Auf Jellinek am wenigsten, abgesehen davon dass mir seine person auch von anderer seite so gekennzeichnet wird, wie Sie es tun. Einen gedanken hat dieser sammler u. registrator noch nie gehabt; Hero u. Leander ist elend, Melissus ohne eine spur litthistor., das kapitel deutscher grammatik gegen Burdachs vorbild und überhaupt kläglich äusserlich: nirgends versteht er zu verwerten und zu bewerten. Darum kann ich mir auch nicht denken, dass er die treibende kraft im zweibund sein soll. Ob er so hochfahrend ist wie ich Kraus halte, weiss ich nicht. Dieser hat das selbstbewusstsein der alleingottgleichheit wie Burdach, Minor etc., kommt mir vor. K. was ist er? ein mechaniker. Alles wird aus registern, reimregistern u. an. gemacht. Statistiker, der allerdings schlüsse zieht, (u. was für gewagte, selbst in dem so verblüffend glatt laufenden artikel über Hartm.s 2. Büchlein), aber blind nur statistik sieht. Ich habe das auch seinem bewunderer Zwierzina gesagt; habe dem aber auch gesagt, dass sein viel weniger geschickt gruppierter artikel in d. Abh. f. Heinzel bei aller gleichen grundlage (aus H.s zucht) doch selbständiges denken, erkennen, erwägen, einschätzen der schwierigkeiten zeigt. Hätte nur dieser Zw. sein legendenbuch halbwegs fertig oder das drittel, das seit 2 jahren gedruckt da liegt (ich glaube 15 bogen) u. auf das wir ihn habilitierten, ausgeben lassen: der mann ist nach meiner festen überzeugung der beste der ganzen jungen schule. Ein wirklicher, echter philolog, ein gründlich gebildeter linguist u. grammatiker. Freilich kein weitschauender litthistor., obw. in der Margarethenlegende auch solche qualität herauskommt. Was ist echt? das allein interessiert ihn, die sache u. die form u. die sprache. Ist das denkmal „echt“ hergestellt, seine sachlichen u. formalen verderbnisse, entwicklungen aus freude an diesen selbst erledigt, so hat es f. ihn weiter keinen reiz.
Ästhet. bedürfnisse hat er nicht, obwol er fast täglich ins theater geht. Er kommt mir auch als mensch sehr charaktervoll vor, zurückhaltend, etwas abhängig von den Wienern, obwol er letzteres nicht nötig hätte, da er – wie ich ihm ins gesicht sagte – Kraus viel mehr inspiriert u. den fingerfertigen mechaniker sich überkommen lässt, als umgekehrt. Aber: es liegt halt wenig vor* gerade wie bei Schatz. Ich lobe ihn nicht, um ihn los zu werden, im gegenteil er dünkt mich hier sehr nützlich u. ich mag ihn gut leiden. Ich würde ihn vermissen.
Neben ihm halte ich für den gescheutesten der „Wiener schule“, wie sich die herren gerne nennen, um sich von allem deutschen gelehrtenplebs abzusondern, Singer. An geist wol auch Zw. überlegen, vielleicht etwas zu geistreich in einfällen, gewiss gründlich unterrichtet, aber mit jüdischer unordentlichkeit und weniger besonnen. Auch der Apollonius ist nicht durchcomponiert. Die Wolframsachen kann ich der mehrzahl nach nicht beurteilen, es ist aber vieles drin, was mir der auffassungsweise nach gefiel, ohne dass ich weiss, ob es wahr ist. Er soll ein anständiger, angenehmer jude sein im gegensatz zu Jellinek. Und da Sie doch in Prag viele deutsche juden haben, wäre es ihnen vielleicht doch möglicher als uns hier.
Ich sehe ja vollständig ein, dass es sehr schwer ist, bei der qualität und quantität der vorhandenen jungen Österreicher, sie zu ignorieren. Ich bin auch gar nicht sicher, ob man jetzt aus Deutschland erheblich viel besseres beziehen könnte. Es wäre für unsere jungen inländer, zu denen ich auch die in die Schweiz verschlagenen zähle, ein schwerer schlag übergangen zu werden; sie würden dadurch auch auswärts konkurrenzunfähig. So eine rechte, herzliche freude u. überzeugung habe ich freilich nicht dabei. Der, der schon etwas anderes gesehen hat, als Wien, wie die Schweizer, u. also vielleicht sich nicht mehr ganz als residenzvormacht fühlt, wäre mir lieber. Anciennität und masse der production schätze ich geringer als geist.
All das bitte ich gewiss nicht als rat zu fassen, nur als persönliches geplauder von freund zu freund, und also auch nicht als in der commission vorlegbare urteile. Ich bin ja in all dem nicht eigentlich sachkenner. Aber, wenn ich mich in Ihre lage setze, wäre mir woltätig mit einem unbefangenen (wofür ich mich halte) die dinge zu besprechen und nur darum wage ich es, Ihnen diese überlegungen und ansichten u. meinungen vorzutragen. Legen Sie keinen wert darauf! ausser auf das über Zwierzina, dessen arbeiten u. art ich genau kenne, so dass ich das über ihn gesagte auch der kommission gegenüber vertrete, falls Sie es ihr vortragen wollten.
Ich habe die richtigen SA von heft I erhalten.
Bestens grüssend Ihr
BSfft.
Eingefügt auf S. 4: *Er ist älter an jahren als Kraus. Meines wissens hat sich seine habilitation nicht nur durch die gewissenhaftigkeit seiner langsamen arbeit verzögert, sondern sein studium überhaupt dadurch, dass ihn sein vater veranlasste, nach dem tod des älteren bruders ins comptoir einzutreten, wo er es aber nicht aushielt. U. eile hat der vermögende mann nicht. Er macht einen sehr reifen eindruck. Spricht klar u. flüssig, aber nicht glänzend.
Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 6 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8916 [Druckausgabe Nr. 179]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8916/methods/sdef:TEI/get
LizenzhinweisDie Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
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