Graz 5. Janr. 1903.
Lieber freund Für Ihren freundlichen u. ausgiebigen brief hat mich nur die vergrabung indas beifolgende zu danken verhindert. Alles hat mich gefreut, was Sie mir schrieben, auch das unerfreuliche, weil die mitteilung ein freundeszeichen war. Die politische bedeutung Ihrer Sternbergrede habe ich wirklich nicht verstanden; das dürfen Sie einem, der Böhmen nicht kennt, nicht übel nehmen; was Sie mir darüber schrieben, war sogar auch Schönbach guten teils neu. Dank also für die erklärung.
Ich begreife aus eigener erfahrung, dass Sie der redaktionsarbeiten müde werden; aber ich bedaure es darum nicht weniger. Denn Sie sind der mann dazu. Die DLD gehen nun dem verfall entgegen; es ist mir leid; ich hatte sie unter Ihrer leitung noch als etwas mir persönlich zugehöriges betrachtet; dass sie an einem fabrikanten von schundwaare und einer spürnase, die von fündchen lebt, zu grunde gehen, haben sie nicht verdient.
An euphorions ende will ich nicht glauben, weil sein ende die geburt eines andern zur folge haben müsste. Ich hoffe, Ihr saumseliger Glossy wird sich noch zu rechter stunde mit voller tasche einstellen. Der unfromme Fromme kann einem freilich alle lust verderben. Und das ist klar, dass Sie nicht das opfer sein dürfen. Hat es sich inzwischen entschieden, dass das geld zur fortsetzung aufkommt, so bitt ich für Pervonte um aufnahme. Wenn nicht, so geben Sie ihn mir zurück. Denn Sie haben für den letzten band genug, schreiben Sie, und ich will unter keinen umständen, dass etwas von mir auf Ihre kosten gedruckt werde. Ich hätte ja, bevor ich das mscpt. schickte, anfragen können. Aber ich hatte die vor jahren zurecht gerückte studie für Ihren Euphorion unter der feder, als Ihr brief eintraf; so soll sie zuerst dahin, wohin ich sie bestimmt habe, um zuerst Ihr urteil zu hören. Ob ich dann in der Zs. f.d.a. oder der f.d.philol, oder der öst. gymn.zs. anpoche, weiss ich nicht. Am lästigsten ist mir, dass man zwischen uns unrat wittern wird, wo ich auch vorspreche. Und darum habe ich die blätter mit eben so viel unbehagen abgeschlossen, als ich sie mit lust begonnen hatte. Mir tats unendlich wol, am schlusse des unfruchtbaren jahres zu eigener arbeit und gar zu Wieland zu kommen, in dem ich doch ähnlich, wenn auch nicht ganz so kundig lebe wie Sie in Grillparzer. Es kam mir auch vor, als müsste ich wieder einmal zeigen, dass ich dies feld noch nicht preis gegeben habe. –
Sie fragen nach Gurlitt: unter uns: hoffnungslose arterienverkalkung. Durch sie trat vorigen sommer eine erkrankung einer gehirnpartie ein; diese ist behoben, indem sich neben der stelle andere bahnen gebildet haben; die sprachfähigkeit ist erheblich gebessert, manchmal findet er die worte noch schwer, manchmal spricht er ganz flüssig; arm und hand tun auch wieder ihren dienst, wenn auch nicht ganz in der alten weise. Er geht täglich aus, kann aber nicht vorlesungen halten. Sie würden erschrecken, wenn Sie den uralten mann sehen würden. Die gefahr der wiederholung einer blutstockung ist stündlich da. Es kann auch noch etwas besser werden als jetzt, oder jahre so bleiben, eine vollständige behebung des leidens ist ausgeschlossen. Mir tut der liebe, gute, treue, geistsprühende mensch in der seele leid. Er ist einer unserer allerbesten.
Soeben unterbricht mich eine karte von frau Wukadinović: ihr mann sei an schwerem typhus erkrankt. Schreiben Sie mir ja, was Sie von dem unglücklichen hören. Er bleibt trotz aller sonderbarlichkeit ein vortrefflicher mann in meinen augen.
Zurück zu Ihrem brief! Dass Sie sich von Suphan in Ihre arbeiten reden lassen mussten, ist ärgerlich; ich hätte dazu die sachliche nachgiebigkeit mir kaum abgerungen. Der streit der rosenfreunde wird langweilig.
Und nun nur noch gutes jahr! mehr freude am Euphorion, andauernde am Stifter und allem Deutschböhmischen!
Herzlich Ihr
BSfft.
Kollege Schenkl hat mich dieser tage gezwungen, delle Grazie kennen zu lernen u. vortragen zu hören. Ihr organ würde auch eine bessere dichtung als die ihrige zu grunde richten.
Graz 5. Janr. 1903.
Lieber freund Für Ihren freundlichen u. ausgiebigen brief hat mich nur die vergrabung indas beifolgende zu danken verhindert. Alles hat mich gefreut, was Sie mir schrieben, auch das unerfreuliche, weil die mitteilung ein freundeszeichen war. Die politische bedeutung Ihrer Sternbergrede habe ich wirklich nicht verstanden; das dürfen Sie einem, der Böhmen nicht kennt, nicht übel nehmen; was Sie mir darüber schrieben, war sogar auch Schönbach guten teils neu. Dank also für die erklärung.
Ich begreife aus eigener erfahrung, dass Sie der redaktionsarbeiten müde werden; aber ich bedaure es darum nicht weniger. Denn Sie sind der mann dazu. Die DLD gehen nun dem verfall entgegen; es ist mir leid; ich hatte sie unter Ihrer leitung noch als etwas mir persönlich zugehöriges betrachtet; dass sie an einem fabrikanten von schundwaare und einer spürnase, die von fündchen lebt, zu grunde gehen, haben sie nicht verdient.
An euphorions ende will ich nicht glauben, weil sein ende die geburt eines andern zur folge haben müsste. Ich hoffe, Ihr saumseliger Glossy wird sich noch zu rechter stunde mit voller tasche einstellen. Der unfromme Fromme kann einem freilich alle lust verderben. Und das ist klar, dass Sie nicht das opfer sein dürfen. Hat es sich inzwischen entschieden, dass das geld zur fortsetzung aufkommt, so bitt ich für Pervonte um aufnahme. Wenn nicht, so geben Sie ihn mir zurück. Denn Sie haben für den letzten band genug, schreiben Sie, und ich will unter keinen umständen, dass etwas von mir auf Ihre kosten gedruckt werde. Ich hätte ja, bevor ich das mscpt. schickte, anfragen können. Aber ich hatte die vor jahren zurecht gerückte studie für Ihren Euphorion unter der feder, als Ihr brief eintraf; so soll sie zuerst dahin, wohin ich sie bestimmt habe, um zuerst Ihr urteil zu hören. Ob ich dann in der Zs. f.d.a. oder der f.d.philol, oder der öst. gymn.zs. anpoche, weiss ich nicht. Am lästigsten ist mir, dass man zwischen uns unrat wittern wird, wo ich auch vorspreche. Und darum habe ich die blätter mit eben so viel unbehagen abgeschlossen, als ich sie mit lust begonnen hatte. Mir tats unendlich wol, am schlusse des unfruchtbaren jahres zu eigener arbeit und gar zu Wieland zu kommen, in dem ich doch ähnlich, wenn auch nicht ganz so kundig lebe wie Sie in Grillparzer. Es kam mir auch vor, als müsste ich wieder einmal zeigen, dass ich dies feld noch nicht preis gegeben habe. –
Sie fragen nach Gurlitt: unter uns: hoffnungslose arterienverkalkung. Durch sie trat vorigen sommer eine erkrankung einer gehirnpartie ein; diese ist behoben, indem sich neben der stelle andere bahnen gebildet haben; die sprachfähigkeit ist erheblich gebessert, manchmal findet er die worte noch schwer, manchmal spricht er ganz flüssig; arm und hand tun auch wieder ihren dienst, wenn auch nicht ganz in der alten weise. Er geht täglich aus, kann aber nicht vorlesungen halten. Sie würden erschrecken, wenn Sie den uralten mann sehen würden. Die gefahr der wiederholung einer blutstockung ist stündlich da. Es kann auch noch etwas besser werden als jetzt, oder jahre so bleiben, eine vollständige behebung des leidens ist ausgeschlossen. Mir tut der liebe, gute, treue, geistsprühende mensch in der seele leid. Er ist einer unserer allerbesten.
Soeben unterbricht mich eine karte von frau Wukadinović: ihr mann sei an schwerem typhus erkrankt. Schreiben Sie mir ja, was Sie von dem unglücklichen hören. Er bleibt trotz aller sonderbarlichkeit ein vortrefflicher mann in meinen augen.
Zurück zu Ihrem brief! Dass Sie sich von Suphan in Ihre arbeiten reden lassen mussten, ist ärgerlich; ich hätte dazu die sachliche nachgiebigkeit mir kaum abgerungen. Der streit der rosenfreunde wird langweilig.
Und nun nur noch gutes jahr! mehr freude am Euphorion, andauernde am Stifter und allem Deutschböhmischen!
Herzlich Ihr
BSfft.
Kollege Schenkl hat mich dieser tage gezwungen, delle Grazie kennen zu lernen u. vortragen zu hören. Ihr organ würde auch eine bessere dichtung als die ihrige zu grunde richten.
Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-9057 [Druckausgabe Nr. 208]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9057/methods/sdef:TEI/get
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