Prag 12/1 15
Smichow 586

Lieber Freund! Ich danke Ihnen herzlich für Ihren lieben Brief. Oft und oft, besonders in schlaflosen Nächten, habe ich Ihrer und Ihrer Söhne gedacht. Lange schon plante ich einen Brief; erst vor einigen Tagen als mir Swoboda einen Brief Bauers über das Schicksal seines Sohnes vorlas, nahm ich mir wieder vor, mich bei Ihnen um das Schicksal Ihrer Söhne zu erkundigen; aber der Arbeitsstunden sind jetzt in meinem kurzen Tag so wenige, dass sie das dringendste Bedürfnis verschlingt. Ich bin nemlich seit Anfang August schwer krank. Nach dem Wiener Urlaub und einer Woche Trautenauer Ferialkurs gieng ich Ende Juli nach Gastein; zu Kriegsbeginn aber auf Wunsch meiner Frau zu ihrer Familie nach Berchtesgaden; dort erkrankte ich. Schon vor 2 Jahren litt ich an demselben Übel einer Vergrösserung der Prostata; an dem Tage, an dem wir Sie in Obertressen besucht hatten, war die Krankheit ausgebrochen; damals gieng das Leiden in 3 Wochen zurück. Diesmal haben mich die Berchtesgadener Landärzte, die besseren waren eingerückt, zugrunde gerichtet. Der erste schickte mich überhaupt weg; ich lag 3 Wochen in einem Sanatorium in Reichenhall; der zweite, nach meiner Rückkehr nach B., verschlimmerte das [Üb]el durch Unvorsichtigkeit. Im Sept. stand es ein paarmal sehr schlecht. In den letzten Sept. Tagen konnten wir nach Prag fahren; aber Okt. & Nov. brachten neue gefährliche Rezidiven. Jetzt bin ich wenigstens etwas kräftiger, gehe aus, kann etwas arbeiten; werde dieser Tage das Seminar beginnen, Vorlesungen aber kann ich noch nicht halten. – Fast scheut man sich über sein eigenes Befinden zu reden, da allgemein so viel Sorge und Unglück herrscht und j[eder] sein Teil zu tragen hat. Dass auch Sie mit Ihren Söhnen und für sie zu leiden und sorgen haben, bekümmert mich tief. Möchte alles sich zum Guten gestalten!
Von den Mitarbeitern der Grillparzerausgabe ist Backmann von Anfang an im Felde; Rollett muss am 15. einrücken. An den Briefen und Akten wird weitergesetzt; seit meiner Besserung auch den Tagebüchern. – Schlecht steht es mit E[up]horion. Seit Kriegsbeginn sind 60 Ab. abgesprungen; durch Meyers Tod droht uns seine Subvention zu entgehen. Fromme wollte an d. Jahrgang XXI nicht zu setzen beginnen; bevor ihm nicht eine Subvention sichergestellt wäre, was jetzt unmöglich ist. Es ist mir nun durch grosse Opfer meinerseits gelungen, den Druck dieses Jgs. noch durchzusetzen, damit ich nicht die Schande erlebe, die seit langem bei mir liegenden Manuskripte zurückschicken zu müssen. Wie’s später werden wird, weiss ich nicht. Für mich wärs ein Glück, wenn die Zs. eingienge. Ich höre auch, dass Walzel u. Saran bereits eine neue Zs. bei Niemeyer planen (mit bes. Rücksicht auf Aesthetik, Philosophie u. Psychologie, ohne neue Materialmitteilungen u. ohne Rezensionen); nur durch Niemeyers Abwesenheit im Felde sei das Erscheinen verzögert worden. Haben Sie eine Einladung erhalten? Ich nicht, Hauffen auch nicht; jedoch Leitzmann z. B. Ich räume gerne einer anderen Zeit das [Fe]ld.
Hoffentlich reisst der Faden unserer Korrespondenz nicht wieder ab; mit mir müssen Sie aber doch noch Geduld haben, wenn ich überhaupt noch einmal ganz gesund werde.
Mit den besten Grüssen Ihr
treulich erg.
ASauer.

Prag 12/1 15
Smichow 586

Lieber Freund! Ich danke Ihnen herzlich für Ihren lieben Brief. Oft und oft, besonders in schlaflosen Nächten, habe ich Ihrer und Ihrer Söhne gedacht. Lange schon plante ich einen Brief; erst vor einigen Tagen als mir Swoboda einen Brief Bauers über das Schicksal seines Sohnes vorlas, nahm ich mir wieder vor, mich bei Ihnen um das Schicksal Ihrer Söhne zu erkundigen; aber der Arbeitsstunden sind jetzt in meinem kurzen Tag so wenige, dass sie das dringendste Bedürfnis verschlingt. Ich bin nemlich seit Anfang August schwer krank. Nach dem Wiener Urlaub und einer Woche Trautenauer Ferialkurs gieng ich Ende Juli nach Gastein; zu Kriegsbeginn aber auf Wunsch meiner Frau zu ihrer Familie nach Berchtesgaden; dort erkrankte ich. Schon vor 2 Jahren litt ich an demselben Übel einer Vergrösserung der Prostata; an dem Tage, an dem wir Sie in Obertressen besucht hatten, war die Krankheit ausgebrochen; damals gieng das Leiden in 3 Wochen zurück. Diesmal haben mich die Berchtesgadener Landärzte, die besseren waren eingerückt, zugrunde gerichtet. Der erste schickte mich überhaupt weg; ich lag 3 Wochen in einem Sanatorium in Reichenhall; der zweite, nach meiner Rückkehr nach B., verschlimmerte das [Üb]el durch Unvorsichtigkeit. Im Sept. stand es ein paarmal sehr schlecht. In den letzten Sept. Tagen konnten wir nach Prag fahren; aber Okt. & Nov. brachten neue gefährliche Rezidiven. Jetzt bin ich wenigstens etwas kräftiger, gehe aus, kann etwas arbeiten; werde dieser Tage das Seminar beginnen, Vorlesungen aber kann ich noch nicht halten. – Fast scheut man sich über sein eigenes Befinden zu reden, da allgemein so viel Sorge und Unglück herrscht und j[eder] sein Teil zu tragen hat. Dass auch Sie mit Ihren Söhnen und für sie zu leiden und sorgen haben, bekümmert mich tief. Möchte alles sich zum Guten gestalten!
Von den Mitarbeitern der Grillparzerausgabe ist Backmann von Anfang an im Felde; Rollett muss am 15. einrücken. An den Briefen und Akten wird weitergesetzt; seit meiner Besserung auch den Tagebüchern. – Schlecht steht es mit E[up]horion. Seit Kriegsbeginn sind 60 Ab. abgesprungen; durch Meyers Tod droht uns seine Subvention zu entgehen. Fromme wollte an d. Jahrgang XXI nicht zu setzen beginnen; bevor ihm nicht eine Subvention sichergestellt wäre, was jetzt unmöglich ist. Es ist mir nun durch grosse Opfer meinerseits gelungen, den Druck dieses Jgs. noch durchzusetzen, damit ich nicht die Schande erlebe, die seit langem bei mir liegenden Manuskripte zurückschicken zu müssen. Wie’s später werden wird, weiss ich nicht. Für mich wärs ein Glück, wenn die Zs. eingienge. Ich höre auch, dass Walzel u. Saran bereits eine neue Zs. bei Niemeyer planen (mit bes. Rücksicht auf Aesthetik, Philosophie u. Psychologie, ohne neue Materialmitteilungen u. ohne Rezensionen); nur durch Niemeyers Abwesenheit im Felde sei das Erscheinen verzögert worden. Haben Sie eine Einladung erhalten? Ich nicht, Hauffen auch nicht; jedoch Leitzmann z. B. Ich räume gerne einer anderen Zeit das [Fe]ld.
Hoffentlich reisst der Faden unserer Korrespondenz nicht wieder ab; mit mir müssen Sie aber doch noch Geduld haben, wenn ich überhaupt noch einmal ganz gesund werde.
Mit den besten Grüssen Ihr
treulich erg.
ASauer.

Schlecht steht es mit E[up]horion. Seit Kriegsbeginn sind 60 Ab. abgesprungen; [...] Es ist mir nun durch grosse Opfer meinerseits gelungen, den Druck dieses Jgs. noch durchzusetzen, damit ich nicht die Schande erlebe, die seit langem bei mir liegenden Manuskripte zurückschicken zu müssen. Wie’s später werden wird, weiss ich nicht. Für mich wärs ein Glück, wenn die Zs. eingienge.

Obwohl Sauer immer wieder ein Ende der Zeitschrift Euphorion ersehnte, führte er sie bis zu seinem Tode 1926 fort.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 423/1-607
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9360 [Druckausgabe Nr. 276]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9360/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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