Prag 3/11 1919
Smichow 586
Lieber Freund!
Ich erfuhr aus Ihrem Briefe, dass Schönbachs Wittwe gestorben ist; Bibliotheksdirektor Peisker, der vor einigen Tagen bei mir war, und viel von Schönbach sprach, sagte mir nichts davon. Meine Frau dankt Ihnen vielmals für die liebenswürdige Übermittlung des Bildes und des Briefes. Wir lachten beide über das Ungetüm von [H]ut und meine Frau sagte: der Hut ist wirklich sehr schön!! Dass ich in der Grazer Bibliothek verewigt sein soll, mag hingehen; hoffentlich habe ich nicht auch ein solches Gebäude auf dem Kopf.
Ich habe mich in Johannisbad sehr erholt, um 10 Kilo zugenommen und wirklich alle Krankheitsfolgen überwunden, soweit man dies in meinem Alter kann. Ich sollte nach Wien fahren, habe auch Wohnung, Pas[s u]nd Einreisebewilligung bereits. Im letzten Augenblick schreckte mich aber der Umstand ab, dass ich für die Mitnahme meiner Papiere, ohne die die Reise keinen Sinn gehabt hätte, ein militärisches Visum gebraucht hätte. Meine Reise wäre um so notwendiger gewesen, als der Druck der Ausgabe neu zu beleben ist. Über Wien und allen Wienern liegt eine solche Passivität, dass sie sich zu nichts mehr aufraffen können. [Au]ch beim Euphorion geht es so. Er kann nicht leben und nicht sterben. Fromme will ich nicht abgeben; er druckt aber an dem neuen Heft schon bald ein Jahr und ich kann es immer noch nicht fertig bekommen. Schuchardt, auf dessen Beitrag ich so stolz bin, tut mir leid. Aber ich kann mir nicht helfen.
Hörer haben wir so viel, dass für mich z.B. kein Saal ausreicht. Und selbst die Qualität, der neuen wenigstens, ist nicht schlecht. Die Heimkehrer allerdings sind noch nicht so besonnen wie die Ihrigen und ich pauke weiter mit der grossen Trommel, bis mir der Athem ausgeht.
Was man sonst zu schreiben hätte, [ka]nn man dem Papier nicht anvertrauen. Ich habe mir mein Alter anders vorgestellt und nun weint man täglich blutigste Tränen. So können wir uns die Hand reichen.
In alter Freundschaft Ihr
ASauer.
Prag 3/11 1919
Smichow 586
Lieber Freund!
Ich erfuhr aus Ihrem Briefe, dass Schönbachs Wittwe gestorben ist; Bibliotheksdirektor Peisker, der vor einigen Tagen bei mir war, und viel von Schönbach sprach, sagte mir nichts davon. Meine Frau dankt Ihnen vielmals für die liebenswürdige Übermittlung des Bildes und des Briefes. Wir lachten beide über das Ungetüm von [H]ut und meine Frau sagte: der Hut ist wirklich sehr schön!! Dass ich in der Grazer Bibliothek verewigt sein soll, mag hingehen; hoffentlich habe ich nicht auch ein solches Gebäude auf dem Kopf.
Ich habe mich in Johannisbad sehr erholt, um 10 Kilo zugenommen und wirklich alle Krankheitsfolgen überwunden, soweit man dies in meinem Alter kann. Ich sollte nach Wien fahren, habe auch Wohnung, Pas[s u]nd Einreisebewilligung bereits. Im letzten Augenblick schreckte mich aber der Umstand ab, dass ich für die Mitnahme meiner Papiere, ohne die die Reise keinen Sinn gehabt hätte, ein militärisches Visum gebraucht hätte. Meine Reise wäre um so notwendiger gewesen, als der Druck der Ausgabe neu zu beleben ist. Über Wien und allen Wienern liegt eine solche Passivität, dass sie sich zu nichts mehr aufraffen können. [Au]ch beim Euphorion geht es so. Er kann nicht leben und nicht sterben. Fromme will ich nicht abgeben; er druckt aber an dem neuen Heft schon bald ein Jahr und ich kann es immer noch nicht fertig bekommen. Schuchardt, auf dessen Beitrag ich so stolz bin, tut mir leid. Aber ich kann mir nicht helfen.
Hörer haben wir so viel, dass für mich z.B. kein Saal ausreicht. Und selbst die Qualität, der neuen wenigstens, ist nicht schlecht. Die Heimkehrer allerdings sind noch nicht so besonnen wie die Ihrigen und ich pauke weiter mit der grossen Trommel, bis mir der Athem ausgeht.
Was man sonst zu schreiben hätte, [ka]nn man dem Papier nicht anvertrauen. Ich habe mir mein Alter anders vorgestellt und nun weint man täglich blutigste Tränen. So können wir uns die Hand reichen.
In alter Freundschaft Ihr
ASauer.
Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 423/1-616
Umfang: 4 Seite(n)
Rohtranskription, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-9380. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9380/methods/sdef:TEI/get
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