Lieber Freund, welch kostbare Gabe haben Sie mir heute auf den Tisch gelegt! Ich danke herzlich für den Genuss, den mir die sofortige Lesung gewährte. Dies documentum ist von erquickender klarheit. Endlich einmal wieder ein Goethe-Beitrag von ausgezeichnetem Werte. Dazu Ihre feine vorsichtige Erläuterung, ohne Aufbauschen, schlicht wie die Niederschrift, rein von Suphanischer „Zierlichkeit“. Besonderen Dank auch dafür. –
Die Fortdauer des Euphorion freut mich. Ich selbst musste ihn leider abbestellen, denn 144 K für jedes Heft kann ich nicht zahlen. Hoffentlich ermöglicht das Bundesministerium – der Titel klingt gut – , die Zs. im Seminar zu halten, obwohl ihr Bezug allein die Höhe der Jahresdotation übersteigt.
Ein Gundolfheft ist viel Ehre für Gundelfinger. Die Abstimmung für den Minorpreis geschah recht grantilig. In einer Zuschrift über anderes berührte Br. auch diese Sache, zwei Namen nennend. Ich trat auf einer Karte für G. ein, erfuhr aus der Ztg. die Preisverleihung. Und es reut mich nicht: denn ich glaube, es geschah in Minors Sinn. Dass ich nicht blind für G. eintrete, mögen Sie daraus abnehmen, dass ich auf eine Anfrage aus der Berliner Fakultät, die von nicht germanistischer Seite an mich ergangen war, mit voller Entschiedenheit warnte, ihn vorzuschlagen oder sich aufdrängen zu lassen. Ein Schriftsteller muss nicht zum gelehrten Lehrer taugen. Selbst für meine Vorlesungen konnte ich nur sehr wenig von G. benützen. Es ist G.s Goethe so wie es einen H. Grimms gab. Mir ist er jetzt in die Ferne gerückt und ich wüsste nicht, wie ich an ihn anknüpfen sollte. So schwer es mir fällt, Ihrer Einladung nicht zu folgen, schwer, weil sie von Ihnen kommt, so unmöglich ist mir, jetzt in Gundolf oder Goethe einzutauchen. Ich habe vor Weihnachten etliche Wochen Vorlesungen durch Bronchitis verloren, muss das Versäumte durch Intensität nachholen. Daneben hat kein anderer Gott Platz zur Anbetung.
Mein ehemaliger Zuhörer Dr. Hans Mörtl, Direktor des 2. Staatsgymn. Graz Oeverseeg., hat einen recht vernünftigen Aufsatz in 2 Nummern der Tagespost über das Buch geschrieben, anerkennend und kritisch. Sollten Sie Mangel an Mitarbeitern haben, so wäre M. vielleicht brauchbar, er ist ein feiner Kopf. –
Recht sehr freut mich die gute Botschaft von Ihrer Gesundheit. Wie lange hab ich nichts von Ihnen gehört, wie oft mich nach einem Worte gesehnt. Die Schranken zwischen unsern Ländern sind zu hoch geworden. Jeder ist gefangener Knecht. Und wir immer näher am Zusammenbruch. Sie ahnen was ein Reichsdeutscher unter den Ereignissen der alten und neuen Heimat leidet.
Schade, schade dass Ihr Grillparzer nicht ans Licht tritt. Was bedeutet es daneben, dass ich ein mühsames neues Heft Prolegomena seit 5 Monaten fertig habe, das bei dem Stillstand der Akademieveröffentlichungen – nur die Sitzungsberichte sollen wieder aufgenommen werden – veralten muss. U. wie soll ich hier nachtragen, da ich Neues fast nicht sehe u. nicht erwerben kann. Geistige Verdorrung zu der leiblichen Austrocknung. Die Wielandausg. stockt weiter, trotz – mässiger – Erhöhung der Honorare greifen die Mitarbeiter nicht zu, sie müssen Frohndienste tun, um zu leben. Die Hoffnung, durch Proleg. VII das Werk anzueifern, ist begraben.
Was ists denn mit der Wahlefestschrift, zu der Sie auch beisteuern wollten? Hecker verharrt in Schweigen.
Wen holen Sie sich für Lessiak? Und geht der noch nach Wien? Ich wünsche es, um Zwierzina nicht zu verlieren. Wer wird sich auf Wackernells Stuhl setzen? Schneider hat ja die dreifache Wahl. Alt- u. Neu-Germanisten sind gesuchte Ware wie nie zu unseren Lebzeiten.
Ich leb ein einsam Witwerleben, an die Vergangenheit mehr gebunden als an die Gegenwart und ohne Hoffnung für die Zukunft. Ich erlebe es nicht, dass es uns wieder gut, ja nur erträglich wird.
Mit Empfehlung an Ihre Frau und herzlichem Grusse, auch mit der Bitte um nachsichtiges Verstehen meiner Absage und um kurze Pause unseres Verkehrs
Ihr alter
BSfft.

Privatdozent Dr. Karl Polheim Graz Radetzkystr. 17.

Lieber Freund, welch kostbare Gabe haben Sie mir heute auf den Tisch gelegt! Ich danke herzlich für den Genuss, den mir die sofortige Lesung gewährte. Dies documentum ist von erquickender klarheit. Endlich einmal wieder ein Goethe-Beitrag von ausgezeichnetem Werte. Dazu Ihre feine vorsichtige Erläuterung, ohne Aufbauschen, schlicht wie die Niederschrift, rein von Suphanischer „Zierlichkeit“. Besonderen Dank auch dafür. –
Die Fortdauer des Euphorion freut mich. Ich selbst musste ihn leider abbestellen, denn 144 K für jedes Heft kann ich nicht zahlen. Hoffentlich ermöglicht das Bundesministerium – der Titel klingt gut – , die Zs. im Seminar zu halten, obwohl ihr Bezug allein die Höhe der Jahresdotation übersteigt.
Ein Gundolfheft ist viel Ehre für Gundelfinger. Die Abstimmung für den Minorpreis geschah recht grantilig. In einer Zuschrift über anderes berührte Br. auch diese Sache, zwei Namen nennend. Ich trat auf einer Karte für G. ein, erfuhr aus der Ztg. die Preisverleihung. Und es reut mich nicht: denn ich glaube, es geschah in Minors Sinn. Dass ich nicht blind für G. eintrete, mögen Sie daraus abnehmen, dass ich auf eine Anfrage aus der Berliner Fakultät, die von nicht germanistischer Seite an mich ergangen war, mit voller Entschiedenheit warnte, ihn vorzuschlagen oder sich aufdrängen zu lassen. Ein Schriftsteller muss nicht zum gelehrten Lehrer taugen. Selbst für meine Vorlesungen konnte ich nur sehr wenig von G. benützen. Es ist G.s Goethe so wie es einen H. Grimms gab. Mir ist er jetzt in die Ferne gerückt und ich wüsste nicht, wie ich an ihn anknüpfen sollte. So schwer es mir fällt, Ihrer Einladung nicht zu folgen, schwer, weil sie von Ihnen kommt, so unmöglich ist mir, jetzt in Gundolf oder Goethe einzutauchen. Ich habe vor Weihnachten etliche Wochen Vorlesungen durch Bronchitis verloren, muss das Versäumte durch Intensität nachholen. Daneben hat kein anderer Gott Platz zur Anbetung.
Mein ehemaliger Zuhörer Dr. Hans Mörtl, Direktor des 2. Staatsgymn. Graz Oeverseeg., hat einen recht vernünftigen Aufsatz in 2 Nummern der Tagespost über das Buch geschrieben, anerkennend und kritisch. Sollten Sie Mangel an Mitarbeitern haben, so wäre M. vielleicht brauchbar, er ist ein feiner Kopf. –
Recht sehr freut mich die gute Botschaft von Ihrer Gesundheit. Wie lange hab ich nichts von Ihnen gehört, wie oft mich nach einem Worte gesehnt. Die Schranken zwischen unsern Ländern sind zu hoch geworden. Jeder ist gefangener Knecht. Und wir immer näher am Zusammenbruch. Sie ahnen was ein Reichsdeutscher unter den Ereignissen der alten und neuen Heimat leidet.
Schade, schade dass Ihr Grillparzer nicht ans Licht tritt. Was bedeutet es daneben, dass ich ein mühsames neues Heft Prolegomena seit 5 Monaten fertig habe, das bei dem Stillstand der Akademieveröffentlichungen – nur die Sitzungsberichte sollen wieder aufgenommen werden – veralten muss. U. wie soll ich hier nachtragen, da ich Neues fast nicht sehe u. nicht erwerben kann. Geistige Verdorrung zu der leiblichen Austrocknung. Die Wielandausg. stockt weiter, trotz – mässiger – Erhöhung der Honorare greifen die Mitarbeiter nicht zu, sie müssen Frohndienste tun, um zu leben. Die Hoffnung, durch Proleg. VII das Werk anzueifern, ist begraben.
Was ists denn mit der Wahlefestschrift, zu der Sie auch beisteuern wollten? Hecker verharrt in Schweigen.
Wen holen Sie sich für Lessiak? Und geht der noch nach Wien? Ich wünsche es, um Zwierzina nicht zu verlieren. Wer wird sich auf Wackernells Stuhl setzen? Schneider hat ja die dreifache Wahl. Alt- u. Neu-Germanisten sind gesuchte Ware wie nie zu unseren Lebzeiten.
Ich leb ein einsam Witwerleben, an die Vergangenheit mehr gebunden als an die Gegenwart und ohne Hoffnung für die Zukunft. Ich erlebe es nicht, dass es uns wieder gut, ja nur erträglich wird.
Mit Empfehlung an Ihre Frau und herzlichem Grusse, auch mit der Bitte um nachsichtiges Verstehen meiner Absage und um kurze Pause unseres Verkehrs
Ihr alter
BSfft.

Privatdozent Dr. Karl Polheim Graz Radetzkystr. 17.

Briefdaten

Schreibort: Graz
Empfangsort: Prag
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9383 [Druckausgabe Nr. 284]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9383/methods/sdef:TEI/get

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