Prag 2/1 1921
Smichow 586

Lieber Freund! Da Sie einst an der Wiege des Euphorion gestanden haben, so darf ich vielleicht annehmen, dass noch ein kleiner Funke dafür in Ihrem Herzen schlummert, den ich gerne wiederbeleben möchte. [Mit] Hilfe einer amerikanischen Spende ist es mir nemlich gelungen, sein Fortbestehen auf einige Zeit zu sichern und da bin ich denn um das Interesse in weiteren Kreisen dafür wieder zu erwecken auf die Idee verfallen, ein Agitationsheft herauszugeben und zwar ein Sonderheft über Gundolfs Goethe. (Der Prospekt geht Ihnen demnächst zu.) Ich bin auf diese verrückte Idee dadurch gebracht worden, dass die Zeitschrift Logos dasselbe [für] Spenglers Untergang des Abendlandes tut. Ich stelle mir also längere oder kürzere Aufsätze über das Buch vor, zustimmend oder ablehnend; methodisch oder sachlich; auch Aufsätze über Goethe, die nur an Gundolf anknüpfen.
Nun erinnere ich mich, dass Sie mir seinerzeit enthusiastisch über G. schrieben und glaube auch, dass Sie der einzige waren, der neben Brecht aus voller Überzeugung für G. als Preisträger des Minorpreises [ge]stimmt haben; denn Muncker, Roethe und ich waren eigentlich dagegen; ich hatte mich damals noch nicht soweit erholt, dass ich einen Gegenvorschlag hätte durchfechten können. Kösters Meinung kenne ich nicht. Sind Sie also noch immer derselben Meinung, so würden Sie der Sache und der Zeitschrift einen gleich grossen Dienst erweisen, wenn Sie sich an der Debatte zu beteiligen die Güte hätten. Ist Ihnen der Termin (30. März) zu kurz, so verlängere ich ihn. Ich wäre auch mit einer kurzen Äusserung zufrieden. Jedenfalls würde durch Sie die Aussprache sofort auf ein Niveau gehoben, auf das ich sie gerne heben möchte. Also wenn es Ihnen nicht allzu sehr gegen den Strich geht, so erweisen Sie mir die Gefälligkeit.
Soll ich die Gelegenheit benützen, um Ihnen über mein Wohl- oder Übelbefinden ein Wort zu sagen, so kann ich nur andeutungsweise verfahren; denn ich weiss, dass meine Briefe sehr häufig ins schwarze Kabinett wandern und habe mir daher völlig abgewöhnt Hilferufe [au]s dem Gefängnis erschallen zu lassen. Mit der Gesundheit geht es mir leidlich gut; da aber allzuviele – akademische und ausserakademische – Geschäfte auf mir lasten, so reicht die Kraft nicht mehr ganz aus. Meine Unternehmungen, mit Ausnahme des Euphorion, stecken noch immer, die Grillparzer wie die Stifterausgabe und wenn es auch manchmal den Anschein hat, als liessen [sich] die Karren noch einmal aus dem Sumpfe ziehen, so versinkt dieser Hoffnungsschimmer sofort. Zehn ungedruckte Grillparzerbände harren in Wien der Erlösung; ich bin am Ende meiner Weisheit angelangt; denn ich kann mich selbst nicht mehr zitieren; da mir mein Material entzogen ist und so sehe ich jede Hoffnung schwinden, [we]nigstens einen Teil der Vollendung noch zu erleben, wenn schon nicht das Ganze.
Möchte es Ihnen besser ergehen!
Wenn Sie mir schreiben, bitte ich um Angabe von Pohlheims Adresse. Es grüsst Sie in alter Freundschaft Ihr aufrichtig erg. ASauer.

Eine eben fertig gewordene Kleinigkeit geht gleichzeitig ab.

Prag 2/1 1921
Smichow 586

Lieber Freund! Da Sie einst an der Wiege des Euphorion gestanden haben, so darf ich vielleicht annehmen, dass noch ein kleiner Funke dafür in Ihrem Herzen schlummert, den ich gerne wiederbeleben möchte. [Mit] Hilfe einer amerikanischen Spende ist es mir nemlich gelungen, sein Fortbestehen auf einige Zeit zu sichern und da bin ich denn um das Interesse in weiteren Kreisen dafür wieder zu erwecken auf die Idee verfallen, ein Agitationsheft herauszugeben und zwar ein Sonderheft über Gundolfs Goethe. (Der Prospekt geht Ihnen demnächst zu.) Ich bin auf diese verrückte Idee dadurch gebracht worden, dass die Zeitschrift Logos dasselbe [für] Spenglers Untergang des Abendlandes tut. Ich stelle mir also längere oder kürzere Aufsätze über das Buch vor, zustimmend oder ablehnend; methodisch oder sachlich; auch Aufsätze über Goethe, die nur an Gundolf anknüpfen.
Nun erinnere ich mich, dass Sie mir seinerzeit enthusiastisch über G. schrieben und glaube auch, dass Sie der einzige waren, der neben Brecht aus voller Überzeugung für G. als Preisträger des Minorpreises [ge]stimmt haben; denn Muncker, Roethe und ich waren eigentlich dagegen; ich hatte mich damals noch nicht soweit erholt, dass ich einen Gegenvorschlag hätte durchfechten können. Kösters Meinung kenne ich nicht. Sind Sie also noch immer derselben Meinung, so würden Sie der Sache und der Zeitschrift einen gleich grossen Dienst erweisen, wenn Sie sich an der Debatte zu beteiligen die Güte hätten. Ist Ihnen der Termin (30. März) zu kurz, so verlängere ich ihn. Ich wäre auch mit einer kurzen Äusserung zufrieden. Jedenfalls würde durch Sie die Aussprache sofort auf ein Niveau gehoben, auf das ich sie gerne heben möchte. Also wenn es Ihnen nicht allzu sehr gegen den Strich geht, so erweisen Sie mir die Gefälligkeit.
Soll ich die Gelegenheit benützen, um Ihnen über mein Wohl- oder Übelbefinden ein Wort zu sagen, so kann ich nur andeutungsweise verfahren; denn ich weiss, dass meine Briefe sehr häufig ins schwarze Kabinett wandern und habe mir daher völlig abgewöhnt Hilferufe [au]s dem Gefängnis erschallen zu lassen. Mit der Gesundheit geht es mir leidlich gut; da aber allzuviele – akademische und ausserakademische – Geschäfte auf mir lasten, so reicht die Kraft nicht mehr ganz aus. Meine Unternehmungen, mit Ausnahme des Euphorion, stecken noch immer, die Grillparzer wie die Stifterausgabe und wenn es auch manchmal den Anschein hat, als liessen [sich] die Karren noch einmal aus dem Sumpfe ziehen, so versinkt dieser Hoffnungsschimmer sofort. Zehn ungedruckte Grillparzerbände harren in Wien der Erlösung; ich bin am Ende meiner Weisheit angelangt; denn ich kann mich selbst nicht mehr zitieren; da mir mein Material entzogen ist und so sehe ich jede Hoffnung schwinden, [we]nigstens einen Teil der Vollendung noch zu erleben, wenn schon nicht das Ganze.
Möchte es Ihnen besser ergehen!
Wenn Sie mir schreiben, bitte ich um Angabe von Pohlheims Adresse. Es grüsst Sie in alter Freundschaft Ihr aufrichtig erg. ASauer.

Eine eben fertig gewordene Kleinigkeit geht gleichzeitig ab.

Meine Unternehmungen, mit Ausnahme des Euphorion, stecken noch immer, die Grillparzer wie die Stifterausgabe und wenn es auch manchmal den Anschein hat, als liessen [sich] die Karren noch einmal aus dem Sumpfe ziehen, so versinkt dieser Hoffnungsschimmer sofort. Zehn ungedruckte Grillparzerbände harren in Wien der Erlösung; ich bin am Ende meiner Weisheit angelangt; denn ich kann mich selbst nicht mehr zitieren; da mir mein Material entzogen ist und so sehe ich jede Hoffnung schwinden, [we]nigstens einen Teil der Vollendung noch zu erleben, wenn schon nicht das Ganze.

Sauers wichtigste editorische Projekte, die historisch-kritische Stifterausgabe und die historisch-kritische Grillparzerausgabe, wurden erst nach seinem Tode abgeschlossen. Der 25. und letzte Band der Stifterausgabe, später als Prag-Reichenberger-Ausgabe (PRA) bezeichnet, erschien erst 1979. Der letzte Band der Grillparzerausgabe kam 1948 heraus.

Meine Unternehmungen, mit Ausnahme des Euphorion, stecken noch immer, die Grillparzer wie die Stifterausgabe und wenn es auch manchmal den Anschein hat, als liessen [sich] die Karren noch einmal aus dem Sumpfe ziehen, so versinkt dieser Hoffnungsschimmer sofort. Zehn ungedruckte Grillparzerbände harren in Wien der Erlösung; ich bin am Ende meiner Weisheit angelangt; denn ich kann mich selbst nicht mehr zitieren; da mir mein Material entzogen ist und so sehe ich jede Hoffnung schwinden, [we]nigstens einen Teil der Vollendung noch zu erleben, wenn schon nicht das Ganze.

Sauers wichtigste editorische Projekte, die historisch-kritische Stifterausgabe und die historisch-kritische Grillparzerausgabe, wurden erst nach seinem Tode abgeschlossen. Der 25. und letzte Band der Stifterausgabe, später als Prag-Reichenberger-Ausgabe (PRA) bezeichnet, erschien erst 1979. Der letzte Band der Grillparzerausgabe kam 1948 heraus.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 423/1-617
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-9382 [Druckausgabe Nr. 283]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9382/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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