Wien 7/4 10
I Bartensteing. 13.
L. F. Dass Sie häuslichen Kummer [ha]ben, tut mir von Herzen leid. Das schlägt alles andre nieder. Seien Sie von meiner aufrichtigen Teilnahme überzeugt; ich wünsche, dass alles baldigst ins volle Gleichgewicht gelangt.
Was ich mit jenem Bogen 48 gemacht habe, kann ich mir nicht denken. Während ich von allen andern Bogen 2 & 3 Ex. habe, fehlt mir dieser ganz. Ich muss ihn irrtümlich weggeworfen haben. Verzeihen Sie vielmals.
Ich lese im Sommer wieder u. kehre demnächst nach Hause zurück. Ich habe einen sehr unangenehmen Winter hinter mir. Die Streitigkeiten mit der Gemeinde, der unfähige Drucker u. vieles andre legten sich wie Mehltau auf meine Arbeit. Offenbar bin ich doch auch schon zu alt dazu. Ich hätte eine reine Textausgabe machen sollen. Nun hatte ich mich aber zu Einleit. u. Kommentar entschlossen. Den ganzen Winter habe ich dadurch für den 1. Bd. verloren u. das wozu ich eigentlich in Wien war – nicht gemacht. Allerdings habe ich [d]abei vieles für die späteren Bde gesammelt u. vorgearbeitet. In einigen Tagen dürfte der 1. Bd. nun doch endlich fertig werden. Ich erwarte nur noch den letzten Bogen in letzter Korrektur. Aber wie es weiter gehen wird, ist mir ganz unklar. – Weiter hat mich der Streit mit Minor u. Hock mehr als meiner Gesundheit lieb ist, angegriffen ist !. Minor hat Kosch in der Öst. Gymn. Zs. in unerhörter Weise angeflegelt. In der Sache hätte er vielleicht recht haben können, obgleich si[ch a]uch das das Gegenteil herausstellt. Die Form ist unqualifizierbar. Auf meine bescheidenen Einwände u. Verteidigungen brach er mit mir in der brüskesten Weise, erwiderte meinen Besuch nicht, schnitt mich in einer Gesellschaft u. sucht nun alles was ich mache zu contrecarrieren; z. B. gelang es ihm im Lit. Verein den Schlussband von Grillparzers Gesprächen um 1 Jahr hinauszuschieben. Er hetzt Hock gegen mich, der sich beim Druck der (elenden) Franklschen Memoiren gemein gegen mich benahm. Wäre ich in P[rag] gewesen, so hätte ich den ganzen dummen Klatsch nicht gehört. Hier leider fehlt es nicht an Zwischenträgern. Auch in Prag gieng mir alles schief. Die Finanznot des Landes Böhmen, unter der auch die „Gesellschaft“ leidet, nahm man zum Vorwand, um in meiner Abwesenheit meine Unternehmungen, bes. die deutschböhm. Bibliothek schwer zu schädigen. Auch da war es die Form & Gesinnung der Leute, mit [den]en zusammenzuarbeiten ich gezwungen bin, die mich besonders alterierte. Es wäre vielleicht ein Glück für mich gewesen, wenn ich die Konsequenzen daraus hätte ziehen u. meine Ehrenstellen niederlegen können. Nun hängt aber das Schicksal einiger jungen Leute, die bei der „D. Arbeit“ und bei der Stifterausgabe angestellt sind, damit zusammen; auch die finanzielle Lage der Unternehmungen würde noch schlechter wenn ich sofort zurücktrete; so muss ich, für einige Zeit wenigste[ns], gute Miene zum bösen Spiel machen.
– So bin ich im Augenblick etwas überarbeitet, finde zu Hause Berge von Arbeit vor u. weiss nicht, wie ich mein kleines leck werdendes Lebensschifflein durch alle diese Klippen werde hindurchlenken können. Ich bin sehr begierig, was Sie zum Grillparzer sagen. Redlich Mühe hab ich mir gegeben.
Verzeihen Sie den Herzenserguss. Ich bin hier fast ohne Verkehr.
Herzlich grüssend Ihr
aufrichtig erg.
AS.
Wien 7/4 10
I Bartensteing. 13.
L. F. Dass Sie häuslichen Kummer [ha]ben, tut mir von Herzen leid. Das schlägt alles andre nieder. Seien Sie von meiner aufrichtigen Teilnahme überzeugt; ich wünsche, dass alles baldigst ins volle Gleichgewicht gelangt.
Was ich mit jenem Bogen 48 gemacht habe, kann ich mir nicht denken. Während ich von allen andern Bogen 2 & 3 Ex. habe, fehlt mir dieser ganz. Ich muss ihn irrtümlich weggeworfen haben. Verzeihen Sie vielmals.
Ich lese im Sommer wieder u. kehre demnächst nach Hause zurück. Ich habe einen sehr unangenehmen Winter hinter mir. Die Streitigkeiten mit der Gemeinde, der unfähige Drucker u. vieles andre legten sich wie Mehltau auf meine Arbeit. Offenbar bin ich doch auch schon zu alt dazu. Ich hätte eine reine Textausgabe machen sollen. Nun hatte ich mich aber zu Einleit. u. Kommentar entschlossen. Den ganzen Winter habe ich dadurch für den 1. Bd. verloren u. das wozu ich eigentlich in Wien war – nicht gemacht. Allerdings habe ich [d]abei vieles für die späteren Bde gesammelt u. vorgearbeitet. In einigen Tagen dürfte der 1. Bd. nun doch endlich fertig werden. Ich erwarte nur noch den letzten Bogen in letzter Korrektur. Aber wie es weiter gehen wird, ist mir ganz unklar. – Weiter hat mich der Streit mit Minor u. Hock mehr als meiner Gesundheit lieb ist, angegriffen ist !. Minor hat Kosch in der Öst. Gymn. Zs. in unerhörter Weise angeflegelt. In der Sache hätte er vielleicht recht haben können, obgleich si[ch a]uch das das Gegenteil herausstellt. Die Form ist unqualifizierbar. Auf meine bescheidenen Einwände u. Verteidigungen brach er mit mir in der brüskesten Weise, erwiderte meinen Besuch nicht, schnitt mich in einer Gesellschaft u. sucht nun alles was ich mache zu contrecarrieren; z. B. gelang es ihm im Lit. Verein den Schlussband von Grillparzers Gesprächen um 1 Jahr hinauszuschieben. Er hetzt Hock gegen mich, der sich beim Druck der (elenden) Franklschen Memoiren gemein gegen mich benahm. Wäre ich in P[rag] gewesen, so hätte ich den ganzen dummen Klatsch nicht gehört. Hier leider fehlt es nicht an Zwischenträgern. Auch in Prag gieng mir alles schief. Die Finanznot des Landes Böhmen, unter der auch die „Gesellschaft“ leidet, nahm man zum Vorwand, um in meiner Abwesenheit meine Unternehmungen, bes. die deutschböhm. Bibliothek schwer zu schädigen. Auch da war es die Form & Gesinnung der Leute, mit [den]en zusammenzuarbeiten ich gezwungen bin, die mich besonders alterierte. Es wäre vielleicht ein Glück für mich gewesen, wenn ich die Konsequenzen daraus hätte ziehen u. meine Ehrenstellen niederlegen können. Nun hängt aber das Schicksal einiger jungen Leute, die bei der „D. Arbeit“ und bei der Stifterausgabe angestellt sind, damit zusammen; auch die finanzielle Lage der Unternehmungen würde noch schlechter wenn ich sofort zurücktrete; so muss ich, für einige Zeit wenigste[ns], gute Miene zum bösen Spiel machen.
– So bin ich im Augenblick etwas überarbeitet, finde zu Hause Berge von Arbeit vor u. weiss nicht, wie ich mein kleines leck werdendes Lebensschifflein durch alle diese Klippen werde hindurchlenken können. Ich bin sehr begierig, was Sie zum Grillparzer sagen. Redlich Mühe hab ich mir gegeben.
Verzeihen Sie den Herzenserguss. Ich bin hier fast ohne Verkehr.
Herzlich grüssend Ihr
aufrichtig erg.
AS.
Auch in Prag gieng mir alles schief. Die Finanznot des Landes Böhmen, unter der auch die „Gesellschaft“ leidet, nahm man zum Vorwand, um in meiner Abwesenheit meine Unternehmungen, bes. die deutschböhm. Bibliothek schwer zu schädigen. [...] Nun hängt aber das Schicksal einiger jungen Leute, die bei der „D. Arbeit“ und bei der Stifterausgabe angestellt sind, damit zusammen; auch die finanzielle Lage der Unternehmungen würde noch schlechter wenn ich sofort zurücktrete; so muss ich, für einige Zeit wenigste[ns], gute Miene zum bösen Spiel machen.
Die Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen hatte finanzielle Schwierigkeiten, von denen sowohl die von ihr herausgegebene Zeitschrift Deutsche Arbeit als auch die Stifterausgabe betroffen war.
Ich habe einen sehr unangenehmen Winter hinter mir. Die Streitigkeiten mit der Gemeinde, der unfähige Drucker u. vieles andre legten sich wie Mehltau auf meine Arbeit. Offenbar bin ich doch auch schon zu alt dazu. Ich hätte eine reine Textausgabe machen sollen. Nun hatte ich mich aber zu Einleit. u. Kommentar entschlossen. Den ganzen Winter habe ich dadurch für den 1. Bd. verloren u. das wozu ich eigentlich in Wien war – nicht gemacht.
Der erste Band der historisch-kritischen Grillparzerausgabe erschien nicht wie geplant zum Kaiserjubiläum 1908, sondern wurde 1909 im Wiener Verlag Gerlach & Wiedling fertiggestellt und kam 1910 zur Auslieferung.
Auch in Prag gieng mir alles schief. Die Finanznot des Landes Böhmen, unter der auch die „Gesellschaft“ leidet, nahm man zum Vorwand, um in meiner Abwesenheit meine Unternehmungen, bes. die deutschböhm. Bibliothek schwer zu schädigen. [...] Nun hängt aber das Schicksal einiger jungen Leute, die bei der „D. Arbeit“ und bei der Stifterausgabe angestellt sind, damit zusammen; auch die finanzielle Lage der Unternehmungen würde noch schlechter wenn ich sofort zurücktrete; so muss ich, für einige Zeit wenigste[ns], gute Miene zum bösen Spiel machen.
Die Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen hatte finanzielle Schwierigkeiten, von denen sowohl die von ihr herausgegebene Zeitschrift Deutsche Arbeit als auch die Stifterausgabe betroffen war.
Schreibort: Wien
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 423/1-570
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-9288 [Druckausgabe Nr. 260]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.9288/methods/sdef:TEI/get
LizenzhinweisDie Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
LinksDas Bildmaterial dieser Webseite sind Reproduktionen aus den Sammlungen der Österreichischen Nationalbibliothek und des Staatsarchivs Würzburg. Für jede weitere Verwendung wenden Sie sich bitte an die jeweilige Institution.