Lemberg 24/1 83.
Lieber Herr College!
Nachdem bisher nur die Wiener Beiträger Minor und Werner Exemplare der Neudrucke besitzen, erhalten Sie die ersten Hefte, die ich versenden darf. Nehmen Sie sie freundlich auf und sagen Sie mir auch gelegentlich ob sie Ihnen gefallen und ob Sie mit Wahl und Form zufrieden sind. Ich freue mich, daß gleichzeitig mit diesen 3 Heften auch der Hagedorn fertig ist, so daß ich meine Thätigkeit an beiden sammlungen beweisen kann. Ich habe die Vorrede am 16. imprimirt.
Sagen Sie mir nächsten[s] einmal auch, wann Sie beiläufig wieder ein Heft von mir brauchen, ob noch in diesem Jahre, oder erst im nächsten. Je später, desto besser.
Auf d. Umschlag von Heft 2 werden Sie einen Grundriß zur G. d. d. L. i Ö. angekündigt finden. Erschrecken Sie nicht vor diesem Wagnis. Es ist absichtlich eine Vorausverkündigung auf [la]nge Jahre; denn ich werde mich erst vom nächsten Jahr ab darauf concentriren können. Übrigens hängt diese [A]rbeit von meinen Wiener aufenthalten ab; denn alles kann ich nicht hieherschleppen.
Ich habe mich in den paar Wochen in Wien sehr erholt; hatte es aber auch schon gründlich nötig; sah Heinzel, Schönbach, Werner, Seemüller u. zuletzt auch noch Schmidt, dessen Lessing ich bewundern durfte, soweit er fertig ist; am schönsten waren die Cap. über den jungen Gelehrten u. d. Sara. Im Theater: Calderons [R]ichter von Zalamea & Faust. Vom 2. Thl einen großartigen Eindruck bekommen. Ungeahnte Schönheiten gingen mir auf. Ich möchte jetzt immer nur Faust lesen; habe aber so selten Zeit.
Über 100 neue Raimundbriefe erweiterten meine Kenntnis des Dichters; einiges wenige kriegte ich auch aus Grillpar[zer]s Nachlaß zu Gesicht; im ganzen wird dieser aber von feurigen Drachen gehütet und harrt erst eines Votums durch d. famosen Wiener Gemeinrat, bis er erlöst werden darf.
Die Ernennungsfrage ist auch wieder am Tapet, seitdem Creizenach eingeschmuggelt wurde. Bis Ende Februar wurde d. Facultät Termin gesetzt, sich zu äußern. Ich bin das Supplenten u. Supplicantenwesen schon satt.
Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr
Ergebener
Sauer.
Lemberg 24/1 83.
Lieber Herr College!
Nachdem bisher nur die Wiener Beiträger Minor und Werner Exemplare der Neudrucke besitzen, erhalten Sie die ersten Hefte, die ich versenden darf. Nehmen Sie sie freundlich auf und sagen Sie mir auch gelegentlich ob sie Ihnen gefallen und ob Sie mit Wahl und Form zufrieden sind. Ich freue mich, daß gleichzeitig mit diesen 3 Heften auch der Hagedorn fertig ist, so daß ich meine Thätigkeit an beiden sammlungen beweisen kann. Ich habe die Vorrede am 16. imprimirt.
Sagen Sie mir nächsten[s] einmal auch, wann Sie beiläufig wieder ein Heft von mir brauchen, ob noch in diesem Jahre, oder erst im nächsten. Je später, desto besser.
Auf d. Umschlag von Heft 2 werden Sie einen Grundriß zur G. d. d. L. i Ö. angekündigt finden. Erschrecken Sie nicht vor diesem Wagnis. Es ist absichtlich eine Vorausverkündigung auf [la]nge Jahre; denn ich werde mich erst vom nächsten Jahr ab darauf concentriren können. Übrigens hängt diese [A]rbeit von meinen Wiener aufenthalten ab; denn alles kann ich nicht hieherschleppen.
Ich habe mich in den paar Wochen in Wien sehr erholt; hatte es aber auch schon gründlich nötig; sah Heinzel, Schönbach, Werner, Seemüller u. zuletzt auch noch Schmidt, dessen Lessing ich bewundern durfte, soweit er fertig ist; am schönsten waren die Cap. über den jungen Gelehrten u. d. Sara. Im Theater: Calderons [R]ichter von Zalamea & Faust. Vom 2. Thl einen großartigen Eindruck bekommen. Ungeahnte Schönheiten gingen mir auf. Ich möchte jetzt immer nur Faust lesen; habe aber so selten Zeit.
Über 100 neue Raimundbriefe erweiterten meine Kenntnis des Dichters; einiges wenige kriegte ich auch aus Grillpar[zer]s Nachlaß zu Gesicht; im ganzen wird dieser aber von feurigen Drachen gehütet und harrt erst eines Votums durch d. famosen Wiener Gemeinrat, bis er erlöst werden darf.
Die Ernennungsfrage ist auch wieder am Tapet, seitdem Creizenach eingeschmuggelt wurde. Bis Ende Februar wurde d. Facultät Termin gesetzt, sich zu äußern. Ich bin das Supplenten u. Supplicantenwesen schon satt.
Mit den herzlichsten Grüßen
Ihr
Ergebener
Sauer.
Ich bin das Supplenten u. Supplicantenwesen schon satt.
August Sauer habilitierte sich 1879 an der Universität Wien. Seit dem Wintersemester 1879 vertrat er die vakante Lehrkanzel für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Lemberg. Die feste Anstellung und Ernennung zum Extraordinarius, die man ihm bei Antritt als Vertretungsprofessor (im österreichischen Amtsdeutsch: Supplent) in Aussicht stellte, wurde seitens der Philosophischen Fakultät immer wieder verschoben. Sauer klagte über seine Arbeitssituation. Sein Wortspiel gründet sich auf den Unterschied zwischen „supplieren“ (stellvertreten) und „supplicantieren“ (sinngemäß: bittstellen).
[...] einiges wenige kriegte ich auch aus Grillpar[zer]s Nachlaß zu Gesicht; im ganzen wird dieser aber von feurigen Drachen gehütet und harrt erst eines Votums durch d. famosen Wiener Gemeinrat, bis er erlöst werden darf.
August Sauer gehörte zu den ersten Benutzern des Nachlasses von Franz Grillparzer in der Handschriftenabteilung der Wiener Stadtbibliothek (heutige Wienbibliothek im Rathaus). Die Studien am Nachlass bildeten die Grundlage für Sauers lebenslange Beschäftigung mit Grillparzers Leben und Werk.
Auf d. Umschlag von Heft 2 werden Sie einen Grundriß zur G. d. d. L. i Ö. angekündigt finden. Erschrecken Sie nicht vor diesem Wagnis. Es ist absichtlich eine Vorausverkündigung auf [la]nge Jahre; denn ich werde mich erst vom nächsten Jahr ab darauf concentriren können. Übrigens hängt diese [A]rbeit von meinen Wiener aufenthalten ab; denn alles kann ich nicht hieherschleppen.
Im zweiten Heft der Reihe Wiener Neudrucke, in der Texte der österreichischen Literaturgeschichte des 16. bis 19. Jahrhunderts erschienen, kündigte Sauer einen bibliographischen Grundriß zur Geschichte der deutschen Literatur in Österreich an. Der Plan wurde nicht realisiert. Teile des Materials, das Sauer dafür gesammelt hatte, flossen jedoch in seinen späteren Beitrag in Karl Goedekes Literaturgeschichte Grundrisz zur Geschichte der deutschen Dichtung ein.
Schreibort: Lemberg
Empfangsort: Würzburg
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 422/1-30
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8252 [Druckausgabe Nr. 24]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8252/methods/sdef:TEI/get
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