Lemberg 3/4 83.

Sehr geehrter Herr College!

Ich bin länger in Ihrer Schuld, als es billig ist u. ich verantworten kann; nur indirect habe ich Ihnen kund gethan, daß ich Ihren letzten Brief erhalten habe. Ich freue mich innig, daß Minor Ihr Mitarbeiter geworden ist, und hoffe, daß beide Theile miteinander zufrieden sein werden. Es war die letzte Zeit mit ihm schwer auszukommen. Aber man kann sich auch schwer in die Lage eines Menschen versetzen, der in einem Jahre von Mailand über Krakau (in effigie) nach Prag gesetzt wird, ohne sicheres Einkommen heira- ten muß und so wenig zuversichtlich in die Zukunft blickt. Und dann sitzt ihm immer das Wort auf der Zunge u. das Tintenfaß geht ihm über von [de]m, was ihm im Herzen drängt. Ein wie grundguter, grundedler Mensch er ist: davon sollen Sie sich wol noch selbst überzeugen.
Die letzte Zeit ist an mich wieder die Prüfung herangetreten. Hier wurde Werner vorgeschlagen. Ein Minoritätsvorschlag scheint vom Minist. nicht berücksichtigt zu werden. So hieng ich eine zeitlang in der Luft, bis mir endlich von Schönbach in des Minist. Namen ein Extraord. für neuere Lit. in Graz angetragen wurde, das ich mit Freuden annahm. Ich verliere momentan ein paar 100 fl. dabei, weil die Lehrkanzel in Graz noch nicht systemisirt ist, aber z[u] meinem schließl. Gewinne dürfte es doch ausfallen. Ich bin aus diesen unerquickl. Verhältnissen für immer erlöst; darf wieder Mensch u. wieder Deutscher sein. Zu solchem Völkerkampfe tauge ich nicht; da gehören härtere Naturen dazu oder leichtlebigere Menschen. Ich bin bei weitem nicht mehr das, was ich vor 4 Jahren gewesen u. will nur hoffen, daß ichs wieder werde. Im Herbst, wenn alles gut geht, wandre ich und [G]alizien sieht mich nie mehr wieder. Von meinen Arbeiten nur ein paar Worte; ich zehre noch immer an dem Fleiße des vorigen Jahres; die beiden ersten Bände der Stürmer & Dränger sind längst fertig, der 2. wol auch schon ausgegeben, ich habe aber noch keine Ex. Beim ersten habe ich die Gesammteinleit. übermäßig lange verschleppt, bis ich aus der Sache völlig draus war u. mich wieder vom neuen [ei]narbeiten mußte. Nichtsdestoweniger ist sie g[ä]nzlich mislungen. Wie ich überhaupt an den ganzen Bänden keine Freude habe.
Neudrucke 4 Klemm, ‚Der auf den Parnaß versetzte grüne Hut‘ ist fertig; die ganz kurze Einleit. dazu machte sehr viel Arbeit, ich mußte 12 Bände Zeitschriften durchmachen. 5. Schmeltzl Saul & Samuel 1545 ebenfalls, von Dr Spengler besorgt, von dem ein schönes Buch über Schmeltzl in unseren Beiträgen erscheint. 6 soll Stranitzkys Ollapatrida (von Werner besorgt) sein; Creizenachs Recension beirrt mich darin nicht; sollte es aber meinen Verleger touchiren, bei dem ich erst anfragte, [so] hat Werner auch Stranitzkys Reisebeschreibung schon fertig, die dann rasch eingerückt wird.
Das, was bei Ihnen jetzt kommt, erwarte ich sehnsuchtsvoll. In den letzten Wochen habe ich mich nach dem ‚Anton Reiser‘ gesehnt.
Bleiben Sie mir gut und seien Sie mir herzlichst gegrüßt. Ihr Ergebener
Sauer.

Lemberg 3/4 83.

Sehr geehrter Herr College!

Ich bin länger in Ihrer Schuld, als es billig ist u. ich verantworten kann; nur indirect habe ich Ihnen kund gethan, daß ich Ihren letzten Brief erhalten habe. Ich freue mich innig, daß Minor Ihr Mitarbeiter geworden ist, und hoffe, daß beide Theile miteinander zufrieden sein werden. Es war die letzte Zeit mit ihm schwer auszukommen. Aber man kann sich auch schwer in die Lage eines Menschen versetzen, der in einem Jahre von Mailand über Krakau (in effigie) nach Prag gesetzt wird, ohne sicheres Einkommen heira- ten muß und so wenig zuversichtlich in die Zukunft blickt. Und dann sitzt ihm immer das Wort auf der Zunge u. das Tintenfaß geht ihm über von [de]m, was ihm im Herzen drängt. Ein wie grundguter, grundedler Mensch er ist: davon sollen Sie sich wol noch selbst überzeugen.
Die letzte Zeit ist an mich wieder die Prüfung herangetreten. Hier wurde Werner vorgeschlagen. Ein Minoritätsvorschlag scheint vom Minist. nicht berücksichtigt zu werden. So hieng ich eine zeitlang in der Luft, bis mir endlich von Schönbach in des Minist. Namen ein Extraord. für neuere Lit. in Graz angetragen wurde, das ich mit Freuden annahm. Ich verliere momentan ein paar 100 fl. dabei, weil die Lehrkanzel in Graz noch nicht systemisirt ist, aber z[u] meinem schließl. Gewinne dürfte es doch ausfallen. Ich bin aus diesen unerquickl. Verhältnissen für immer erlöst; darf wieder Mensch u. wieder Deutscher sein. Zu solchem Völkerkampfe tauge ich nicht; da gehören härtere Naturen dazu oder leichtlebigere Menschen. Ich bin bei weitem nicht mehr das, was ich vor 4 Jahren gewesen u. will nur hoffen, daß ichs wieder werde. Im Herbst, wenn alles gut geht, wandre ich und [G]alizien sieht mich nie mehr wieder. Von meinen Arbeiten nur ein paar Worte; ich zehre noch immer an dem Fleiße des vorigen Jahres; die beiden ersten Bände der Stürmer & Dränger sind längst fertig, der 2. wol auch schon ausgegeben, ich habe aber noch keine Ex. Beim ersten habe ich die Gesammteinleit. übermäßig lange verschleppt, bis ich aus der Sache völlig draus war u. mich wieder vom neuen [ei]narbeiten mußte. Nichtsdestoweniger ist sie g[ä]nzlich mislungen. Wie ich überhaupt an den ganzen Bänden keine Freude habe.
Neudrucke 4 Klemm, ‚Der auf den Parnaß versetzte grüne Hut‘ ist fertig; die ganz kurze Einleit. dazu machte sehr viel Arbeit, ich mußte 12 Bände Zeitschriften durchmachen. 5. Schmeltzl Saul & Samuel 1545 ebenfalls, von Dr Spengler besorgt, von dem ein schönes Buch über Schmeltzl in unseren Beiträgen erscheint. 6 soll Stranitzkys Ollapatrida (von Werner besorgt) sein; Creizenachs Recension beirrt mich darin nicht; sollte es aber meinen Verleger touchiren, bei dem ich erst anfragte, [so] hat Werner auch Stranitzkys Reisebeschreibung schon fertig, die dann rasch eingerückt wird.
Das, was bei Ihnen jetzt kommt, erwarte ich sehnsuchtsvoll. In den letzten Wochen habe ich mich nach dem ‚Anton Reiser‘ gesehnt.
Bleiben Sie mir gut und seien Sie mir herzlichst gegrüßt. Ihr Ergebener
Sauer.

So hieng ich eine zeitlang in der Luft, bis mir endlich von Schönbach in des Minist. Namen ein Extraord. für neuere Lit. in Graz angetragen wurde, das ich mit Freuden annahm. Ich verliere momentan ein paar 100 fl. dabei, weil die Lehrkanzel in Graz noch nicht systemisirt ist, aber z[u] meinem schließl. Gewinne dürfte es doch ausfallen. Ich bin aus diesen unerquickl. Verhältnissen für immer erlöst; darf wieder Mensch u. wieder Deutscher sein.

Wiederholte Versuche, Sauers Ernennung als Professor an der Universität Lemberg (u.a. unterstützt durch eine gutachterliche Stellungnahme Wilhelm Scherers) durchzusetzen, scheiterten im Februar 1883, als die Philosophische Fakultät mehrheitlich für die Berufung Richard Maria Werners nach Lemberg votierte. Zu dieser Entscheidung hatte beigetragen, dass Sauer der Erlernung der polnischen Sprache nicht nachgekommen war, die vertraglich vereinbart war. Zum Wintersemester 1883 erhielt er ein Extraordinariat an der Universität Graz. Obwohl die Stelle nicht besoldet war, freute sich Sauer darüber, Lemberg verlassen zu können.

Briefdaten

Schreibort: Lemberg
Empfangsort: Würzburg
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-33
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8257 [Druckausgabe Nr. 26]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8257/methods/sdef:TEI/get

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