Prag 3.11.87.
Stefansgasse 3.

Lieber Freund! Es ist mir wirklich peinlich, daß ich gerade diesen Brief so lange unbeantwortet lassen mußte, der mich bis tief in die Seele freute u. [er]quickte. Aber: Anfang des Septembers; ein Grammat. Colleg (Encyclopädie); maßenhafte Correcturen (während meiner Reise wurden zwei Bände gedruckt, die jetzt meiner harren); eine unbedingte notwendige Umstellung meiner Bücher; endlich eine Reise zu meinen Eltern, die ich im Sommer nicht hatte besuchen können. Mit einer Karte wollte ich aber [g]ar nicht beginnen ...
Wie glücklich ich über die Gründung einer neuen Zs. bin, hat Ihnen schon mein letzter Brief bewiesen. Glauben Sie mir: es taugt keiner von uns – denn auch ich hätte im heurigen Sommer die Redaction einer Zs. übernehmen können, wenn ich Neigung und Beruf dazu in mir verspürt hätte – zu dieser aufopferungsvollen Stellung als Sie. Das einzige, was dabei bedauernswert ist: daß der Wieland in weitere Fernen rückt. Könnte vielleicht dadurch ausgeglichen werden, daß gerade die Zs. ein Ort wäre, um Ihren Wielandstudien zur Herberge zu dienen. Bringen Sie der Wissenschaft und Ihren Freunden dieses Opfer.* Wir werden Sie gewiß nicht im Stiche laßen und werden Ihnen sehr dankbar dafür sein.
Wir, schreibe ich. Aber gerade ich bin ein recht schlechter Mitarbeiter bei Zs., oder war es wenigstens bisher. Während Sie u. alle anderen massenhaft Recensionen wertvollster Art geschrieben haben: [k]omme ich über kurze Anzeigen nie hinaus. Während Sie so manche schöne Untersuchung in Zs. veröffentlicht haben: stecken meine Arbeiten in Einleitungen verborgen, wo sie niemand sucht u. sie mir niemand dankt. Ich möchte wünschen, daß dies anders würde. Für die allernächste Zeit aber habe ich noch an den Sünden meiner Vergangenheit zu tragen u. erst wenn ich meine Versprechen für die DLD u. für Kürschner voll eingelöst habe, bin ich wieder ein freier Mann. Da ich mein reiches Wissen über Grillparzer auch in eine Einleitung habe unterstecken müssen, so kann ich Ihnen zunächst gar nichts für die Zs. versprechen; wenigstens keine Untersuchung. Es wäre denn, Sie nehmen den zweiten Thl. ‚Über die Ramlerische Bearbeitung e[tc]. an, der eigentlich für die Akademie bestimmt ist. Wenn Sie auch Material veröffentlichen, so kann ich manches beisteuern: ich besitze interessante Briefe von Bürger an Goeckingk, deren Veröffentlichung mir vielleicht von d. Familie G. gestattet wird; auch sonst verschollene Bürgeriana; Nachträge zu Kleist; Vossische Jugendge[d]ichte. Aber das ist doch alles nur Füllsel. –
Was den Jahresbericht betrifft, so möchte Minor für die Austriaca weit besser taugen als ich, weil er im Continuum ist u. weil er doch einmal durch s. Bibliographie dieses einst von mir inne gehabte Arbeitsgebiet an sich gerissen hat. Auch wird Werner darauf Anspruch erheben u. ich habe beim Grillparzer schon so viel Anfechtung erfahren, daß ich gerne ins Dunkel zurück trete.
Nun gleich zwei Fragen:
1. Strauch bittet mich, ich solle in der öst. Gymnasialztschrft ein paar lobende Worte über s. Bibliographie sagen, weil er aus Öst. noch immer keine Beiträge dazu bekommt. Ich könnte das nur thun, wenn Sie damit einverstanden sind u wenn der Jahresbericht in Ihrer Zs. dem Strauchischen nicht allzu ähnlich wäre.
2.) Erinnern Sie sich vielleicht, daß ich in gräßlicher, jetzt durch gar nichts mehr [z]u entschuldigender Weise die Recension des Schmidtischen Lessings für Steinmeyer verbummelt habe. Durch mehrere Jahre schon. Die Recension liegt halbfertig da u. wenn ich mich drüber mache, so kann sie in einigen Wochen leicht fertig sein. Glauben Sie, daß sie Steinmeyer jetzt noch drucken wird? Er hat höchst wahrscheinlich die schlechteste Meinung [v]on mir u. ich habe mich in d. That gar nicht gut gegen ihn benommen. Ich werde nun wol nie mehr in die Zs. schreiben: ich möchte aber nicht gar so in Unehren von diesem Organ & seinem Leiter Abschied nehmen. An Steinmeyer kann ich mich mit einer Anfrage nicht mehr wenden. Ich kann ihm nur die Recension senden auf gut Glück oder weiter schweigen.

___

Nun noch Diverses:
Kürschner hat den Maler Müller Nachlaß noch in Besitz. Das „mit Amerika“ war ein Schreckschuß für Deutschland. Er denkt ihn nach Berlin zu bringen. Wenn ich ihm nur den N. Götz herausfilutiren könnte. Er ist aber mit allen Salben gerieben.
Minors Ausfall ist im letzten Heft der Zacherschen Zs. unter den Quellenstudien: man ist noch lange nicht der irische Dechant mit der Peitsche, wenn man dessen Stil auch noch so schulmeisterlich nachzustümpern gelernt hat.
Auch ich habe es abgelehnt, im Goetheverein zu lesen. Auch mir ist meine Zeit u. meine Arbeit zu kostbar, als daß ich [sie] so mir nichts dir nichts wegwerfen könnte. Wol müßen wir Österreicher zusammenhalten; aber M. versteht darunter: seinen Wünschen & Winken Folge leisten.
Elster hat mir DLD 27 versprochen; bis jetzt aber nicht geschickt. Warten Sie noch 8 Tage, bis Sie das Heft vergeben. Ich bitte Sie darum, wenn von Elster nichts kommt. Können Sie meinen ‚Göttinger Dichterbund’ I (Voss) etwa brauchen? Die Exemplare liegen seit [v]ielen Monaten ungenutzt da. Ich wollte sie erst mit dem II. Bd. verschicken; aber nun dauerts mir doch zu lange. Vom Grillparzer kann ich Ihnen leider nur die Einleitung schicken; ich bekomme nur 3 Ex. Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau und grüßen Sie – bitte – den schweigsamen Meister.
Herzlichst & Treulichst Der Ihrige AS.

* positioniert auf S. 2 Für Ihre große Aufrichtigkeit, wie für alle Ihre Mittheilungen meinen herzlichsten Dank. Ich habe alles in mich eingeschloßen u werde es für mich behalten.

Prag 3.11.87.
Stefansgasse 3.

Lieber Freund! Es ist mir wirklich peinlich, daß ich gerade diesen Brief so lange unbeantwortet lassen mußte, der mich bis tief in die Seele freute u. [er]quickte. Aber: Anfang des Septembers; ein Grammat. Colleg (Encyclopädie); maßenhafte Correcturen (während meiner Reise wurden zwei Bände gedruckt, die jetzt meiner harren); eine unbedingte notwendige Umstellung meiner Bücher; endlich eine Reise zu meinen Eltern, die ich im Sommer nicht hatte besuchen können. Mit einer Karte wollte ich aber [g]ar nicht beginnen ...
Wie glücklich ich über die Gründung einer neuen Zs. bin, hat Ihnen schon mein letzter Brief bewiesen. Glauben Sie mir: es taugt keiner von uns – denn auch ich hätte im heurigen Sommer die Redaction einer Zs. übernehmen können, wenn ich Neigung und Beruf dazu in mir verspürt hätte – zu dieser aufopferungsvollen Stellung als Sie. Das einzige, was dabei bedauernswert ist: daß der Wieland in weitere Fernen rückt. Könnte vielleicht dadurch ausgeglichen werden, daß gerade die Zs. ein Ort wäre, um Ihren Wielandstudien zur Herberge zu dienen. Bringen Sie der Wissenschaft und Ihren Freunden dieses Opfer.* Wir werden Sie gewiß nicht im Stiche laßen und werden Ihnen sehr dankbar dafür sein.
Wir, schreibe ich. Aber gerade ich bin ein recht schlechter Mitarbeiter bei Zs., oder war es wenigstens bisher. Während Sie u. alle anderen massenhaft Recensionen wertvollster Art geschrieben haben: [k]omme ich über kurze Anzeigen nie hinaus. Während Sie so manche schöne Untersuchung in Zs. veröffentlicht haben: stecken meine Arbeiten in Einleitungen verborgen, wo sie niemand sucht u. sie mir niemand dankt. Ich möchte wünschen, daß dies anders würde. Für die allernächste Zeit aber habe ich noch an den Sünden meiner Vergangenheit zu tragen u. erst wenn ich meine Versprechen für die DLD u. für Kürschner voll eingelöst habe, bin ich wieder ein freier Mann. Da ich mein reiches Wissen über Grillparzer auch in eine Einleitung habe unterstecken müssen, so kann ich Ihnen zunächst gar nichts für die Zs. versprechen; wenigstens keine Untersuchung. Es wäre denn, Sie nehmen den zweiten Thl. ‚Über die Ramlerische Bearbeitung e[tc]. an, der eigentlich für die Akademie bestimmt ist. Wenn Sie auch Material veröffentlichen, so kann ich manches beisteuern: ich besitze interessante Briefe von Bürger an Goeckingk, deren Veröffentlichung mir vielleicht von d. Familie G. gestattet wird; auch sonst verschollene Bürgeriana; Nachträge zu Kleist; Vossische Jugendge[d]ichte. Aber das ist doch alles nur Füllsel. –
Was den Jahresbericht betrifft, so möchte Minor für die Austriaca weit besser taugen als ich, weil er im Continuum ist u. weil er doch einmal durch s. Bibliographie dieses einst von mir inne gehabte Arbeitsgebiet an sich gerissen hat. Auch wird Werner darauf Anspruch erheben u. ich habe beim Grillparzer schon so viel Anfechtung erfahren, daß ich gerne ins Dunkel zurück trete.
Nun gleich zwei Fragen:
1. Strauch bittet mich, ich solle in der öst. Gymnasialztschrft ein paar lobende Worte über s. Bibliographie sagen, weil er aus Öst. noch immer keine Beiträge dazu bekommt. Ich könnte das nur thun, wenn Sie damit einverstanden sind u wenn der Jahresbericht in Ihrer Zs. dem Strauchischen nicht allzu ähnlich wäre.
2.) Erinnern Sie sich vielleicht, daß ich in gräßlicher, jetzt durch gar nichts mehr [z]u entschuldigender Weise die Recension des Schmidtischen Lessings für Steinmeyer verbummelt habe. Durch mehrere Jahre schon. Die Recension liegt halbfertig da u. wenn ich mich drüber mache, so kann sie in einigen Wochen leicht fertig sein. Glauben Sie, daß sie Steinmeyer jetzt noch drucken wird? Er hat höchst wahrscheinlich die schlechteste Meinung [v]on mir u. ich habe mich in d. That gar nicht gut gegen ihn benommen. Ich werde nun wol nie mehr in die Zs. schreiben: ich möchte aber nicht gar so in Unehren von diesem Organ & seinem Leiter Abschied nehmen. An Steinmeyer kann ich mich mit einer Anfrage nicht mehr wenden. Ich kann ihm nur die Recension senden auf gut Glück oder weiter schweigen.

___

Nun noch Diverses:
Kürschner hat den Maler Müller Nachlaß noch in Besitz. Das „mit Amerika“ war ein Schreckschuß für Deutschland. Er denkt ihn nach Berlin zu bringen. Wenn ich ihm nur den N. Götz herausfilutiren könnte. Er ist aber mit allen Salben gerieben.
Minors Ausfall ist im letzten Heft der Zacherschen Zs. unter den Quellenstudien: man ist noch lange nicht der irische Dechant mit der Peitsche, wenn man dessen Stil auch noch so schulmeisterlich nachzustümpern gelernt hat.
Auch ich habe es abgelehnt, im Goetheverein zu lesen. Auch mir ist meine Zeit u. meine Arbeit zu kostbar, als daß ich [sie] so mir nichts dir nichts wegwerfen könnte. Wol müßen wir Österreicher zusammenhalten; aber M. versteht darunter: seinen Wünschen & Winken Folge leisten.
Elster hat mir DLD 27 versprochen; bis jetzt aber nicht geschickt. Warten Sie noch 8 Tage, bis Sie das Heft vergeben. Ich bitte Sie darum, wenn von Elster nichts kommt. Können Sie meinen ‚Göttinger Dichterbund’ I (Voss) etwa brauchen? Die Exemplare liegen seit [v]ielen Monaten ungenutzt da. Ich wollte sie erst mit dem II. Bd. verschicken; aber nun dauerts mir doch zu lange. Vom Grillparzer kann ich Ihnen leider nur die Einleitung schicken; ich bekomme nur 3 Ex. Empfehlen Sie mich Ihrer lieben Frau und grüßen Sie – bitte – den schweigsamen Meister.
Herzlichst & Treulichst Der Ihrige AS.

* positioniert auf S. 2 Für Ihre große Aufrichtigkeit, wie für alle Ihre Mittheilungen meinen herzlichsten Dank. Ich habe alles in mich eingeschloßen u werde es für mich behalten.

Das einzige, was dabei bedauernswert ist: daß der Wieland in weitere Fernen rückt. Könnte vielleicht dadurch ausgeglichen werden, daß gerade die Zs. ein Ort wäre, um Ihren Wielandstudien zur Herberge zu dienen. Bringen Sie der Wissenschaft und Ihren Freunden dieses Opfer.

August Sauer freute sich über die geplante Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte, ermahnte Seuffert aber, sein Hauptforschungsgebiet C.M. Wieland nicht zu verlassen und die Zeitschrift auch zur Publikation eigener Studien zu nutzen.

Das einzige, was dabei bedauernswert ist: daß der Wieland in weitere Fernen rückt. Könnte vielleicht dadurch ausgeglichen werden, daß gerade die Zs. ein Ort wäre, um Ihren Wielandstudien zur Herberge zu dienen. Bringen Sie der Wissenschaft und Ihren Freunden dieses Opfer.

August Sauer freute sich über die geplante Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte, ermahnte Seuffert aber, sein Hauptforschungsgebiet C.M. Wieland nicht zu verlassen und die Zeitschrift auch zur Publikation eigener Studien zu nutzen.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-105
Umfang: 8 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8394 [Druckausgabe Nr. 79]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8394/methods/sdef:TEI/get

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