St. Peter am Kammersberg
Bahnstation Scheifling
Obersteiermark. 31.7.93
Lieber freund, Allzu lange hab ich Ihren brief unbeantwortet gelassen. Ich war im gedränge. Nun lassen Sie mich antworten.
Meine erfahrungen mit dem propaedeutischen colleg waren zum 2. male nicht günstig. Nur für die ältesten studenten hat es sich etwas bewährt, und am besten für ein paar ganz alte hospitanten, die längst der studienzeit entwachsen sind. Die studentchen bilden sich ein, dies u. das zu wissen u. begreifen nicht, wie wichtig der zusammenhang des systems u. das principielle bis ins tiefste wesen gehende betrachten ist. Ich bin begierig, ob Sie nächstes jahr bessere erfahrungen machen.
Wie gefällt es Ihnen im archiv? Ich halte mit meinem urteil schriftlich an mich. Grüssen Sie alle archivgenossen, besonders Wahle, der von Schmidts zeiten her noch am meisten weiss, aber beim neuen curs auch verdrossen u. lahm wird. Besonders herzlich grüssen Sie, bitte Fresenius, einen goldmenschen, voll feinheit, von dem ich allzeit lernte und den dort keiner so versteht u. schätzt, wie ers verdient. Von ihm hörte ich, dass Sie in Weimar sind. Wie gefällt es ihrer ! verehrten frau? Die meine u. ich wollen ihr bestens empfohlen sein.
Schönbach ist im geliebten Schruns, nachdem er seine handschriftenreise wegen unwolseins in Stuttgart abbrechen musste. Bauer ist noch in Graz; Gurlitt sitzt mit den seinen auf dem Kroisbachschlössel; seine mädchen haben unter starkem keuchhusten zu leiden. Wissen Sie etwas von Werners frau? Sie scheint ja heftigen typhus gehabt zu haben.
Besten dank für Ihre Grillparzergabe zur Schmidtfeier. Dass Göschen sehr, ja allzu vorsichtig mit den DLDenkmalen sein will, merkte ich noch selbst. Ich hoffte, dass Sie besser über ihn herr würden als ich. Mit dem princip der kleinen in sich vollständigen hefte geht es auf die dauer nicht. Dass Sie daneben ein neues unternehmen anfangen, erstaunt mich. Sie machen sich doch damit selbst concurrenz u. legen Ihre arbeitskraft wider bei einem neuen unternehmen fest. Um Ihretwillen bedaure ichs, die sache begrüsse ich freudig. Möge der junge Felber, denn der wird wol Ihr verleger sein, sich geschickt erweisen. Ihre einladung zur mitarbeiterschaft nehme ich dankend an. Wann u. ob ich etwas liefern kann, steht dahin. Ungedruckte übersetzungen von Wieland kenne ich nicht: nur ein paar verse Lucrez u. Homer. Varianten zum Ion u. Cicero haben sich hsl. erhalten, die können Sie nicht brauchen. Meine jungen leute kann ich als gehülfen nicht versprechen; die wenigsten kennen alte u. neue fremde sprachen gut genug zu dieser arbeit.
Von der Wiener philologenversammlung hörte ich wenig germanistisches. Bauer u. Gurlitt waren sehr zufrieden mit dem verlauf. Ich bedaure nicht, gefehlt zu haben. Ich bin nun bei den letzten heften der Vierteljahrschrift u. freue mich auf die freiheit, die mir darnach winkt. Ob ich sie gut anwenden werde? Ich will auch meine vorlesungshefte wider stark überarbeiten. Ob wir ohne zeitschrift bleiben? Ob sich alle jungen litterarhistoriker Koch zuwenden? Von den älteren wenigstens erwarte ich das nicht.
Wir sind hier in einer sehr einsamen sommerfrische. Hoffentlich tut sie uns allen – denn auch der bub ist dabei – gut. Lassen Sie mich bald von Weimar, Ihrem Götz und Ihren weiteren reiseplänen hören.
Treu ergeben
Ihr
BSeuffert.
St. Peter am Kammersberg
Bahnstation Scheifling
Obersteiermark. 31.7.93
Lieber freund, Allzu lange hab ich Ihren brief unbeantwortet gelassen. Ich war im gedränge. Nun lassen Sie mich antworten.
Meine erfahrungen mit dem propaedeutischen colleg waren zum 2. male nicht günstig. Nur für die ältesten studenten hat es sich etwas bewährt, und am besten für ein paar ganz alte hospitanten, die längst der studienzeit entwachsen sind. Die studentchen bilden sich ein, dies u. das zu wissen u. begreifen nicht, wie wichtig der zusammenhang des systems u. das principielle bis ins tiefste wesen gehende betrachten ist. Ich bin begierig, ob Sie nächstes jahr bessere erfahrungen machen.
Wie gefällt es Ihnen im archiv? Ich halte mit meinem urteil schriftlich an mich. Grüssen Sie alle archivgenossen, besonders Wahle, der von Schmidts zeiten her noch am meisten weiss, aber beim neuen curs auch verdrossen u. lahm wird. Besonders herzlich grüssen Sie, bitte Fresenius, einen goldmenschen, voll feinheit, von dem ich allzeit lernte und den dort keiner so versteht u. schätzt, wie ers verdient. Von ihm hörte ich, dass Sie in Weimar sind. Wie gefällt es ihrer ! verehrten frau? Die meine u. ich wollen ihr bestens empfohlen sein.
Schönbach ist im geliebten Schruns, nachdem er seine handschriftenreise wegen unwolseins in Stuttgart abbrechen musste. Bauer ist noch in Graz; Gurlitt sitzt mit den seinen auf dem Kroisbachschlössel; seine mädchen haben unter starkem keuchhusten zu leiden. Wissen Sie etwas von Werners frau? Sie scheint ja heftigen typhus gehabt zu haben.
Besten dank für Ihre Grillparzergabe zur Schmidtfeier. Dass Göschen sehr, ja allzu vorsichtig mit den DLDenkmalen sein will, merkte ich noch selbst. Ich hoffte, dass Sie besser über ihn herr würden als ich. Mit dem princip der kleinen in sich vollständigen hefte geht es auf die dauer nicht. Dass Sie daneben ein neues unternehmen anfangen, erstaunt mich. Sie machen sich doch damit selbst concurrenz u. legen Ihre arbeitskraft wider bei einem neuen unternehmen fest. Um Ihretwillen bedaure ichs, die sache begrüsse ich freudig. Möge der junge Felber, denn der wird wol Ihr verleger sein, sich geschickt erweisen. Ihre einladung zur mitarbeiterschaft nehme ich dankend an. Wann u. ob ich etwas liefern kann, steht dahin. Ungedruckte übersetzungen von Wieland kenne ich nicht: nur ein paar verse Lucrez u. Homer. Varianten zum Ion u. Cicero haben sich hsl. erhalten, die können Sie nicht brauchen. Meine jungen leute kann ich als gehülfen nicht versprechen; die wenigsten kennen alte u. neue fremde sprachen gut genug zu dieser arbeit.
Von der Wiener philologenversammlung hörte ich wenig germanistisches. Bauer u. Gurlitt waren sehr zufrieden mit dem verlauf. Ich bedaure nicht, gefehlt zu haben. Ich bin nun bei den letzten heften der Vierteljahrschrift u. freue mich auf die freiheit, die mir darnach winkt. Ob ich sie gut anwenden werde? Ich will auch meine vorlesungshefte wider stark überarbeiten. Ob wir ohne zeitschrift bleiben? Ob sich alle jungen litterarhistoriker Koch zuwenden? Von den älteren wenigstens erwarte ich das nicht.
Wir sind hier in einer sehr einsamen sommerfrische. Hoffentlich tut sie uns allen – denn auch der bub ist dabei – gut. Lassen Sie mich bald von Weimar, Ihrem Götz und Ihren weiteren reiseplänen hören.
Treu ergeben
Ihr
BSeuffert.
Ich bin nun bei den letzten heften der Vierteljahrschrift u. freue mich auf die freiheit, die mir darnach winkt.
Die andauernden finanziellen Schwierigkeiten mit der Zeitschrift belasteten Seuffert. Die Vierteljahrschrift wurde schließlich 1893 eingestellt.
Schreibort: St. Peter am Kammersberg, Steiermark
Empfangsort: Weimar
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8622 [Druckausgabe Nr. 121]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8622/methods/sdef:TEI/get
LizenzhinweisDie Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
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