Prag 18.9.93.
Smichow 586

Lieber Freund! Zürnen Sie mir nicht über das Sommerschweigen in das ich mich eingesponnen habe. Ich war furchtbar müde. Weimar war nicht zur Erholung angethan. Erst an der Ostsee, in Lohme auf Rügen begann meine Freiheit und der gab ich mich rücksichtslos hin. Bevor mir die Arbeit wieder angeht, sollen Sie einen ausgiebigen Plauderbrief haben. – In Weimar fehlte Suphan. Er hielt mich durch 14 Tage hin mit dem täglichen Versprechen: morgen zu kommen. Die Leute im Archiv waren alle sehr nett mit mir: [f]ür die Sache interessieren sie sich außer Steiner eigentlich nicht. Fresenius rechne ich nicht zum Archiv. Er war unsere Freude und unser Trost in Weimar; so lieb und gut und anregend u. bescheiden. Wie gut paßte er zu den difficilen Arbeiten des Archivs! Ich finde es von Suphan unverzeihlich, daß er Fresenius, der so leicht zu halten wäre, nicht dauernd zu halten versucht. Aber er scheint ihm vielmehr unbequem zu sein. – In Berlin traf ich Schmidt im Fluge; aber recht hochmüthig, spöttisch und absprechend, so daß der Umgang mit ihm mehr Überwindung als Erquickung ist. In Lohme waren Leitzmanns aus Jena mit uns. [S]ie hatten sich in Weimar an uns angeschlossen; die gleich jungen Frauen verstanden sich gut mit einander und auch die Männer vertrugen sich recht sehr. Er ist ein für sein Alter sehr unterrichteter, ungemein fleißiger und strebsamer Mensch, nicht so einseitig, wie s. Forsterarbeiten es vermuten lassen könnten. Er hat prachtvolle Dinge über Humboldt u. s. Kreis liegen (führte uns auch in Tegel ein), wovon ich her[rli]che Aufsätze über das Altherthum für die DLD erwarb. In Lohme half ich ihm eine Sammlung: ‚Quellenschriften zur neueren Litt. u. Geistesgeschichte‘ gründen, die Felber verlegt. Ein Humboldtisches Tagebuch bildet den Anfang. Sollten Sie, wie Sie mir einmal sagten, Wielandische Briefe sammeln, so wäre hier ein passender Platz. Auf der Rückreise haben wir schöne Theaterabende in Berlin mitgemacht, die eigentliche Germanistik kam zu kurz. Die Reise erfrischte mich über alle Maßen, Wetter, Wind und Wellen [tha]ten das Ihrige; ich hoffe wieder recht arbeitskräftig zu sein u. wünsche Ihnen dasselbe. – Überall begegnete ich demselben Bedauern über das Eingehen Ihrer Zs. Es ist ein rechter Jammer. Sollen wir nun ohne ein solches Organ bleiben? Ich habe es den Berlinern ans Herz gelegt ein neues zu gründen, vielleicht zunächst in Form von Mittheilungen des Vereins für Lit. Zunächst wird allerdings Koch die Beute davontragen. Was soll man anderes machen? – [Me]ine Übersetzerbibliothek, der Sie etwas zu wenig Wolwollen entgegenbringen, läßt sich gut an. Heft 1 bringt die Handschrift der Magelone nach der das Volksbuch gedruckt ist von Bolte; Heft 2 eine Abhandlung über die Übersetzungen aus der Anthologie im 16. u. 17. Jh. von einem class. Philologen Rubenssohn; Heft 3 den Ulmer Terenz von Wunderlich. Ich halte die Idee für vorzüglich und von einer Concurrenz mit den DLD ist keine Rede; für Übersetz. ist dort wirklich kein Platz, auch wenn Göschen einmal [zu] einer kleinen Erweiterung des jährlichen Pensums bereit sein sollte. Wüßten Sie Jemanden, dem man Schaidenraissers Odyssee anvertrauen könnte? Reinhardstöttner mag ich nicht und auch an Borinski mich zu wenden fällt mir schwer.
Lessing-Goeze wird sich in den nächsten Tagen präsentieren; ich habe noch keine Exemplare. –
Grüßen Sie mir die Freunde[,] die meiner noch gedenken, bes. Gurlitt und Schönbach. Letzterem geht es doch schon wieder gut.
Die schönsten Grüße von Haus zu Haus.
Ihr treulich Ergeb.
AS.

Prag 18.9.93.
Smichow 586

Lieber Freund! Zürnen Sie mir nicht über das Sommerschweigen in das ich mich eingesponnen habe. Ich war furchtbar müde. Weimar war nicht zur Erholung angethan. Erst an der Ostsee, in Lohme auf Rügen begann meine Freiheit und der gab ich mich rücksichtslos hin. Bevor mir die Arbeit wieder angeht, sollen Sie einen ausgiebigen Plauderbrief haben. – In Weimar fehlte Suphan. Er hielt mich durch 14 Tage hin mit dem täglichen Versprechen: morgen zu kommen. Die Leute im Archiv waren alle sehr nett mit mir: [f]ür die Sache interessieren sie sich außer Steiner eigentlich nicht. Fresenius rechne ich nicht zum Archiv. Er war unsere Freude und unser Trost in Weimar; so lieb und gut und anregend u. bescheiden. Wie gut paßte er zu den difficilen Arbeiten des Archivs! Ich finde es von Suphan unverzeihlich, daß er Fresenius, der so leicht zu halten wäre, nicht dauernd zu halten versucht. Aber er scheint ihm vielmehr unbequem zu sein. – In Berlin traf ich Schmidt im Fluge; aber recht hochmüthig, spöttisch und absprechend, so daß der Umgang mit ihm mehr Überwindung als Erquickung ist. In Lohme waren Leitzmanns aus Jena mit uns. [S]ie hatten sich in Weimar an uns angeschlossen; die gleich jungen Frauen verstanden sich gut mit einander und auch die Männer vertrugen sich recht sehr. Er ist ein für sein Alter sehr unterrichteter, ungemein fleißiger und strebsamer Mensch, nicht so einseitig, wie s. Forsterarbeiten es vermuten lassen könnten. Er hat prachtvolle Dinge über Humboldt u. s. Kreis liegen (führte uns auch in Tegel ein), wovon ich her[rli]che Aufsätze über das Altherthum für die DLD erwarb. In Lohme half ich ihm eine Sammlung: ‚Quellenschriften zur neueren Litt. u. Geistesgeschichte‘ gründen, die Felber verlegt. Ein Humboldtisches Tagebuch bildet den Anfang. Sollten Sie, wie Sie mir einmal sagten, Wielandische Briefe sammeln, so wäre hier ein passender Platz. Auf der Rückreise haben wir schöne Theaterabende in Berlin mitgemacht, die eigentliche Germanistik kam zu kurz. Die Reise erfrischte mich über alle Maßen, Wetter, Wind und Wellen [tha]ten das Ihrige; ich hoffe wieder recht arbeitskräftig zu sein u. wünsche Ihnen dasselbe. – Überall begegnete ich demselben Bedauern über das Eingehen Ihrer Zs. Es ist ein rechter Jammer. Sollen wir nun ohne ein solches Organ bleiben? Ich habe es den Berlinern ans Herz gelegt ein neues zu gründen, vielleicht zunächst in Form von Mittheilungen des Vereins für Lit. Zunächst wird allerdings Koch die Beute davontragen. Was soll man anderes machen? – [Me]ine Übersetzerbibliothek, der Sie etwas zu wenig Wolwollen entgegenbringen, läßt sich gut an. Heft 1 bringt die Handschrift der Magelone nach der das Volksbuch gedruckt ist von Bolte; Heft 2 eine Abhandlung über die Übersetzungen aus der Anthologie im 16. u. 17. Jh. von einem class. Philologen Rubenssohn; Heft 3 den Ulmer Terenz von Wunderlich. Ich halte die Idee für vorzüglich und von einer Concurrenz mit den DLD ist keine Rede; für Übersetz. ist dort wirklich kein Platz, auch wenn Göschen einmal [zu] einer kleinen Erweiterung des jährlichen Pensums bereit sein sollte. Wüßten Sie Jemanden, dem man Schaidenraissers Odyssee anvertrauen könnte? Reinhardstöttner mag ich nicht und auch an Borinski mich zu wenden fällt mir schwer.
Lessing-Goeze wird sich in den nächsten Tagen präsentieren; ich habe noch keine Exemplare. –
Grüßen Sie mir die Freunde[,] die meiner noch gedenken, bes. Gurlitt und Schönbach. Letzterem geht es doch schon wieder gut.
Die schönsten Grüße von Haus zu Haus.
Ihr treulich Ergeb.
AS.

Überall begegnete ich demselben Bedauern über das Eingehen Ihrer Zs. Es ist ein rechter Jammer. Sollen wir nun ohne ein solches Organ bleiben? Ich habe es den Berlinern ans Herz gelegt ein neues zu gründen, vielleicht zunächst in Form von Mittheilungen des Vereins für Lit.

Nachdem Seufferts Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte eingestellt wurde, begann Sauer mit Überlegungen, eine neue literaturgeschichtliche Zeitschrift zu gründen.

Briefdaten

Schreibort: Prag
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-223
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8623 [Druckausgabe Nr. 122]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8623/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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