Graz 12 V 94
Lieber freund Ich danke Ihnen lebhaft, dass Sie mir so schnell einsicht in das 1. heft verschafften. Da Schönbach gestern mehr zeit hatte als ich, liess ich ihm den vorrang des genusses. Es sieht recht stattlich aus und entspricht dem modernen geschmack der ausstattung; ich für meine person bevorzuge die schmaleren kolumnen, habe die aber auch bei der VJS nicht durchgesetzt. Mir gefällt die schrift ganz bis auf die ziercursive z. b. s. 64 ff. für die siglen; dafür schiene mir ein einfacherer ersatz dringend erwünscht. Papier u. umschlag sind recht vornehm.
Und der inhalt ist reich. Angezogen hat mich weitaus am meisten Kösters LessingGottsched u. Niejahrs Helena, deren 2. hälfte glücklicher ist als die erste. Stark enttäuscht hat mich RM Meyer, da waren meine erwartungen auf hohes gespannt. Der inhalt ist vielseitig, biographisch, bibliographisch, quellenforschend, vergleichend, philologisch, metrisch, interpretierlich, litterarhistorisch, ästhetisch – kurz was man will: Sie haben eine gute auslese getroffen. Sie läuft auch durch 4 jahrhh. Selbst Baumgart war mir erträglicher als er mir sonst zu sein pflegt. Scherers worte sind sehr schön u. richtig, nur jetzt inopportun oder wenigstens dem missverständnisse ausgesetzt. Harnack passt mir recht gut und mit Minor gehe ich einzelne schritte; ich halte ihn aber nicht für den organisator, praktisch zu machen was er will, u. will lange nicht alles, oder nicht so alles. Im ganzen bekenne ich, dass mir der allgemeine teil weniger imponiert als der spe- cielle u. zwar deswegen, weil ich methodologischen ausführungen gegenüber – die hier überwiegen ausser dem misratenen Meyer, an dem ich noch nie so irre ward wie diesmal, ich habe immer grosse stücke auf ihn gehalten – und wenigstens diesen gegenüber das gefühl habe: na, eigentlich ist das selbstverständlich und solche anregungen gehörn vor ein studentenpublikum das man kennt, nicht für mitforscher, die mir leid täten wenn sie derlei nie bedacht und sich nicht für oder gegen entschieden hätten. Wie viel nützlicher wäre, die herren gäben gleich ein mustergiltiges exemplum, da hätte die erkenntnis auch was davon und die theorie ebensoviel oder mehr. Aber – aber – es ist sehr viel bequemer, anderen arbeiten vorzuschreiben als die arbeiten selbst zu machen. Ich für meine person freue mich, dass nach Ihrem programm für die nächsten hefte diese grauerubrik ausfällt.
Nicht als person sondern des absatzes Ihrer zs. wegen bedaure ich das fehlen von schulartikeln. Ausser Baumgart wird kein artikel einem gymnasiallehrer liegen. Interpretationen von schulautoren können auch für uns sehr gut sein. Aber cedo meliori.
Am schwächsten dünkt mich diesmal der recensionenteil. Stünden die recensenten auf Ihrer höhe so wäre es gut. Aber Seemüller ist dann doch zu pauvre. ich fürchte zwar hier gegen einen Ihrer freunde zu sprechen; ich weiss auch, dass mein urteil über diesen herrn im allge- meinen vielleicht unnötig ungerecht ist, zumal Heinzel und Steinmeyer, urteilsfähiger als ich, ihn liebkosen. Ich verhehle auch gar nicht, dass ich bei jeder vacatur zittere, Schönbach könne uns hier genommen werden und der unvermeidliche ersatz wäre eben jener herr. Aber diese recensionen geben mir doch recht: einen menschen wie Burdach versteht er gar nicht; das B.sche buch ist miserabel geschrieben, meine ich, aber voll bedeutung und ernst in jeder zeile; und was Seem. subjektiv daran nennt, ist so vorzüglich, dass kein verständiger mensch den wunsch unterdrücken kann, dass alle sich diese subjektivität für objektives gesetz gelten lassen. Das ist ein beispiel, methode zu erweisen, zu lehren u. zugleich zu erproben, wie ichs will.
Überraschend gut hat sich Kettner als recens. gemacht. Necker nehme ich trotz ESchmidt nicht ernst, gescheutsein allein tuts nicht und beim recensieren am wenigsten. Verzeihen Sie die härte.
Grossartig ist die bibliographie. Geradezu überreich. Ich muss Ihnen lebhaft dazu glück wünschen und Ihre leistung bestaunen. Zu einem urteil, ob sie so bleiben soll, werde ich erst bei ruhigerer benützung kommen und Ihnen dann meinen eindruck sagen, wenn Sie es erlauben und wünschen. Gut ist auch der nachrichtenteil.
In summa: ich beglückwünsche Sie aufrichtig. Jetzt freue ich mich auf nichts lebhafter als auf Heblers Hamlet. Wollen Sie nicht wie Zachers Zs. verzeichnen, was die nächsten bringen? Es gilt zwar für weniger vornehm, mehr monatsschriftenmässig, reclamehaft; aber vielleicht hilft doch das ankündigen der schwalben dem absatz: man muss auf die niedrigen impulse speculieren, wenn die höchsten nicht lebendig sind.
Und damit glückauf! Sie nehmen wie bisher meine offenheit als zeichen der freundschaft, die sich auch im widerspruch bewähren muss.
Grüssen Sie das liebe Weimar, von den heimischen besonders Fresenius, Wahle u. Suphan, von den gästen jedenfalls Erich.
In treuen
Ihr
BSeuffert
Graz 12 V 94
Lieber freund Ich danke Ihnen lebhaft, dass Sie mir so schnell einsicht in das 1. heft verschafften. Da Schönbach gestern mehr zeit hatte als ich, liess ich ihm den vorrang des genusses. Es sieht recht stattlich aus und entspricht dem modernen geschmack der ausstattung; ich für meine person bevorzuge die schmaleren kolumnen, habe die aber auch bei der VJS nicht durchgesetzt. Mir gefällt die schrift ganz bis auf die ziercursive z. b. s. 64 ff. für die siglen; dafür schiene mir ein einfacherer ersatz dringend erwünscht. Papier u. umschlag sind recht vornehm.
Und der inhalt ist reich. Angezogen hat mich weitaus am meisten Kösters LessingGottsched u. Niejahrs Helena, deren 2. hälfte glücklicher ist als die erste. Stark enttäuscht hat mich RM Meyer, da waren meine erwartungen auf hohes gespannt. Der inhalt ist vielseitig, biographisch, bibliographisch, quellenforschend, vergleichend, philologisch, metrisch, interpretierlich, litterarhistorisch, ästhetisch – kurz was man will: Sie haben eine gute auslese getroffen. Sie läuft auch durch 4 jahrhh. Selbst Baumgart war mir erträglicher als er mir sonst zu sein pflegt. Scherers worte sind sehr schön u. richtig, nur jetzt inopportun oder wenigstens dem missverständnisse ausgesetzt. Harnack passt mir recht gut und mit Minor gehe ich einzelne schritte; ich halte ihn aber nicht für den organisator, praktisch zu machen was er will, u. will lange nicht alles, oder nicht so alles. Im ganzen bekenne ich, dass mir der allgemeine teil weniger imponiert als der spe- cielle u. zwar deswegen, weil ich methodologischen ausführungen gegenüber – die hier überwiegen ausser dem misratenen Meyer, an dem ich noch nie so irre ward wie diesmal, ich habe immer grosse stücke auf ihn gehalten – und wenigstens diesen gegenüber das gefühl habe: na, eigentlich ist das selbstverständlich und solche anregungen gehörn vor ein studentenpublikum das man kennt, nicht für mitforscher, die mir leid täten wenn sie derlei nie bedacht und sich nicht für oder gegen entschieden hätten. Wie viel nützlicher wäre, die herren gäben gleich ein mustergiltiges exemplum, da hätte die erkenntnis auch was davon und die theorie ebensoviel oder mehr. Aber – aber – es ist sehr viel bequemer, anderen arbeiten vorzuschreiben als die arbeiten selbst zu machen. Ich für meine person freue mich, dass nach Ihrem programm für die nächsten hefte diese grauerubrik ausfällt.
Nicht als person sondern des absatzes Ihrer zs. wegen bedaure ich das fehlen von schulartikeln. Ausser Baumgart wird kein artikel einem gymnasiallehrer liegen. Interpretationen von schulautoren können auch für uns sehr gut sein. Aber cedo meliori.
Am schwächsten dünkt mich diesmal der recensionenteil. Stünden die recensenten auf Ihrer höhe so wäre es gut. Aber Seemüller ist dann doch zu pauvre. ich fürchte zwar hier gegen einen Ihrer freunde zu sprechen; ich weiss auch, dass mein urteil über diesen herrn im allge- meinen vielleicht unnötig ungerecht ist, zumal Heinzel und Steinmeyer, urteilsfähiger als ich, ihn liebkosen. Ich verhehle auch gar nicht, dass ich bei jeder vacatur zittere, Schönbach könne uns hier genommen werden und der unvermeidliche ersatz wäre eben jener herr. Aber diese recensionen geben mir doch recht: einen menschen wie Burdach versteht er gar nicht; das B.sche buch ist miserabel geschrieben, meine ich, aber voll bedeutung und ernst in jeder zeile; und was Seem. subjektiv daran nennt, ist so vorzüglich, dass kein verständiger mensch den wunsch unterdrücken kann, dass alle sich diese subjektivität für objektives gesetz gelten lassen. Das ist ein beispiel, methode zu erweisen, zu lehren u. zugleich zu erproben, wie ichs will.
Überraschend gut hat sich Kettner als recens. gemacht. Necker nehme ich trotz ESchmidt nicht ernst, gescheutsein allein tuts nicht und beim recensieren am wenigsten. Verzeihen Sie die härte.
Grossartig ist die bibliographie. Geradezu überreich. Ich muss Ihnen lebhaft dazu glück wünschen und Ihre leistung bestaunen. Zu einem urteil, ob sie so bleiben soll, werde ich erst bei ruhigerer benützung kommen und Ihnen dann meinen eindruck sagen, wenn Sie es erlauben und wünschen. Gut ist auch der nachrichtenteil.
In summa: ich beglückwünsche Sie aufrichtig. Jetzt freue ich mich auf nichts lebhafter als auf Heblers Hamlet. Wollen Sie nicht wie Zachers Zs. verzeichnen, was die nächsten bringen? Es gilt zwar für weniger vornehm, mehr monatsschriftenmässig, reclamehaft; aber vielleicht hilft doch das ankündigen der schwalben dem absatz: man muss auf die niedrigen impulse speculieren, wenn die höchsten nicht lebendig sind.
Und damit glückauf! Sie nehmen wie bisher meine offenheit als zeichen der freundschaft, die sich auch im widerspruch bewähren muss.
Grüssen Sie das liebe Weimar, von den heimischen besonders Fresenius, Wahle u. Suphan, von den gästen jedenfalls Erich.
In treuen
Ihr
BSeuffert
Der inhalt ist vielseitig, biographisch, bibliographisch, quellenforschend, vergleichend, philologisch, metrisch, interpretierlich, litterarhistorisch, ästhetisch – kurz was man will: Sie haben eine gute auslese getroffen.
Seuffert lobte die inhaltliche Ausrichtung des Euphorion.
Schreibort: Graz
Empfangsort: Weimar
Archiv: Staatsarchiv Würzburg
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8699 [Druckausgabe Nr. 143]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8699/methods/sdef:TEI/get
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