Lemberg 1. August. 83.

Sehr geehrter Herr College!

Gestern hätte ich nur eine kurze Karte schreiben können: so habe ich lieber bis heute gewartet, um Ihnen für Ihr Bild recht herzlich zu danken. Es ist doch gleich etwas anderes: wenn man sich wenigstens auf diese Weise gesehen hat: Es bringt uns doch näher: man sieht denjenigen vor sich, an den man oft schreibt [un]d noch öfter denkt. Also ich habe mich so recht gefreut, als ob es ein leibhafter Besuch gewesen wäre und wie meine Bilder fertig werden: setze ich mich in einen Einspänner (zweispänner trägts mir nicht), um Ihnen die Gegenvisite zu machen. Aber auch Gegenklagen habe [ich] bereit. Meine Ernennung ist immer noch nicht herunten. Ich bin wol in Graz einstimmig vorgeschlagen worden; aber im Ministerium scheint alles auf Urlaub zu sein; ich muß mich daher wol bis Anfang Sept. gedulden. Sicher scheint die Sache: wenn man einer Regierung von der Perfidität der unseren trauen darf. In die kornblumenblaue Stadt Graz [g]ehe ich aber jedenfalls, selbst wenn das unglaubliche wahr werden sollte.
Ihre Strssbrger Aussichten weiß ich durch Schmidt. Kluge soll ja nach Jena kommen; oder wer sonst?
[Is]t es denn in Würzburg, Erlangen oder München nicht durchzusetzen, daß man Extraordinarien gründet? So zu arbeiten, wie wir seit 3 Jahren thun, hält man ja nicht aus. Ich bin manchmal so müde, daß ich mich selber nimmermehr kenne u. trinke Thee bis zur Bewußtlosigkeit. Wenn ich aber dann in Graz diese Ruhe u. Ungestörtheit nicht [ha]ben werde, was dann?
Daß unsere Neudrucksammlungen nicht gut gehen, begreife ich aufrichtig gesagt nicht. Zuerst schreit alles, wir armen Provinzler, wir armen Studenten, wir armen Lehrer können nichts arbeiten, haben kein Material! u. s. w. Nun schafft man’s ihnen u. es wird ignorirt. Man sollte meinen so 1000 Stück Frankf. Gel. Anz. etc. seien im Nu [w]eg! Aber mir geht’s gerade so; wenn nich[t] der Wiener Gemeinderath jedem Besucher der hist. Ausstellung einen Abraham a. S. C. als Belohnung mitgibt, so werden wir wol aufhören. Auch ein Gesuch ans Min. habe ich deswegen gemacht. Sie unterstützen doch so vielerlei anderes, warum das nicht.
Ich bleibe bis gegen 8. Sept. hier. Dann ist bis 1. Oct. meine Adresse: Wien IX Mariannengasse 7; später Graz Univers. Wenn ich aber in Wien als elektrischer [M]aschinenmeister Anstellung finde, bleibe ich dort.
Mit besten Grüßen
Ihr
treulich ergebener
Sauer.

Lemberg 1. August. 83.

Sehr geehrter Herr College!

Gestern hätte ich nur eine kurze Karte schreiben können: so habe ich lieber bis heute gewartet, um Ihnen für Ihr Bild recht herzlich zu danken. Es ist doch gleich etwas anderes: wenn man sich wenigstens auf diese Weise gesehen hat: Es bringt uns doch näher: man sieht denjenigen vor sich, an den man oft schreibt [un]d noch öfter denkt. Also ich habe mich so recht gefreut, als ob es ein leibhafter Besuch gewesen wäre und wie meine Bilder fertig werden: setze ich mich in einen Einspänner (zweispänner trägts mir nicht), um Ihnen die Gegenvisite zu machen. Aber auch Gegenklagen habe [ich] bereit. Meine Ernennung ist immer noch nicht herunten. Ich bin wol in Graz einstimmig vorgeschlagen worden; aber im Ministerium scheint alles auf Urlaub zu sein; ich muß mich daher wol bis Anfang Sept. gedulden. Sicher scheint die Sache: wenn man einer Regierung von der Perfidität der unseren trauen darf. In die kornblumenblaue Stadt Graz [g]ehe ich aber jedenfalls, selbst wenn das unglaubliche wahr werden sollte.
Ihre Strssbrger Aussichten weiß ich durch Schmidt. Kluge soll ja nach Jena kommen; oder wer sonst?
[Is]t es denn in Würzburg, Erlangen oder München nicht durchzusetzen, daß man Extraordinarien gründet? So zu arbeiten, wie wir seit 3 Jahren thun, hält man ja nicht aus. Ich bin manchmal so müde, daß ich mich selber nimmermehr kenne u. trinke Thee bis zur Bewußtlosigkeit. Wenn ich aber dann in Graz diese Ruhe u. Ungestörtheit nicht [ha]ben werde, was dann?
Daß unsere Neudrucksammlungen nicht gut gehen, begreife ich aufrichtig gesagt nicht. Zuerst schreit alles, wir armen Provinzler, wir armen Studenten, wir armen Lehrer können nichts arbeiten, haben kein Material! u. s. w. Nun schafft man’s ihnen u. es wird ignorirt. Man sollte meinen so 1000 Stück Frankf. Gel. Anz. etc. seien im Nu [w]eg! Aber mir geht’s gerade so; wenn nich[t] der Wiener Gemeinderath jedem Besucher der hist. Ausstellung einen Abraham a. S. C. als Belohnung mitgibt, so werden wir wol aufhören. Auch ein Gesuch ans Min. habe ich deswegen gemacht. Sie unterstützen doch so vielerlei anderes, warum das nicht.
Ich bleibe bis gegen 8. Sept. hier. Dann ist bis 1. Oct. meine Adresse: Wien IX Mariannengasse 7; später Graz Univers. Wenn ich aber in Wien als elektrischer [M]aschinenmeister Anstellung finde, bleibe ich dort.
Mit besten Grüßen
Ihr
treulich ergebener
Sauer.

Es ist doch gleich etwas anderes: wenn man sich wenigstens auf diese Weise gesehen hat: Es bringt uns doch näher: man sieht denjenigen vor sich, an den man oft schreibt [un]d noch öfter denkt. Also ich habe mich so recht gefreut, als ob es ein leibhafter Besuch gewesen wäre und wie meine Bilder fertig werden: setze ich mich in einen Einspänner (zweispänner trägts mir nicht), um Ihnen die Gegenvisite zu machen.

August Sauer bedankte sich für das Bild, das Seuffert ihm geschickt hatte und kündigte nochmals ein Photo von sich selbst an.

Daß unsere Neudrucksammlungen nicht gut gehen, begreife ich aufrichtig gesagt nicht. Zuerst schreit alles, wir armen Provinzler, wir armen Studenten, wir armen Lehrer können nichts arbeiten, haben kein Material! u. s. w. Nun schafft man’s ihnen u. es wird ignorirt.

August Sauer wunderte sich über die Absatzschwierigkeiten der Neudrucke.

Briefdaten

Schreibort: Lemberg
Empfangsort: Würzburg
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur: Autogr. 422/1-38
Umfang: 4 Seite(n)

Status

Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt

Zitiervorschlag

Brief ID-8270 [Druckausgabe Nr. 36]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8270/methods/sdef:TEI/get

Lizenzhinweis

Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

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