28.12.87.
L. F. Ich bin heuer mit Antworten an Sie so saumselig gewesen, daß ich nicht auch noch das neue Jahr heraufkommen laßen will, bevor ich Ihnen geschrieben habe. Glauben Sie mir, es war neben einer Reihe tiefeingreifender innerer E[rl]ebnisse, von denen niemand im Zusammenhange weiß und die ich Ihnen nur in langwierigem Gespräche darlegen könnte; neben diesen inneren Erschütterungen und Zerrüttungen, die drei Viertel dieses Jahres ausfüllten, war es hauptsächlich die nun eben fertig gewordene Grillparzer Ausgabe, die mich außer allen Verkehr mit meinen Freunden setzte. Denn Sie werden von andern Grazer Freunden dieselben Klagen über mich vernommen [ha]ben. Nun bin ich wenigstens auf eine Zeitlang den Correcturen entbunden. Auch sonst schaffe ich mir manches vom Halse: in einem Jahre etwa werde ich meine ganze Zeit frei für Untersuchungen haben. Gott genade der VJS die sie alle aufnehmen und den Lesern, die sie alle verdauen müßen.
Ihr Programm finde ich präcis, einfach, polemisch-sicher; lapidar. Ob nicht zu wortkarg? Ich bin etwas entsetzt über das niedrige Honorar. Ein Mensch wie ich, der viel verdienen muß, der kraut sich hinter den Ohren bei 20 Mark! 40 für den Jahresbericht klingt schon etwas besser. Sie sollen aber in der ersten Z[ei]t alles haben, was Sie von meinen Sachen brauchen können. Einen Aufsatz über Stolberg habe ich Zwiedineck versprochen: Das ist aber ohnedies nichs für Sie. Bis Mitte Januar bekommen Sie gewiß etwas von mir noch fürs erste Heft. Wie es ausfällt, kann ich noch nicht sagen. Vielleicht auch eine Kleinigkeit über österreichisches, für das Schmidt übrigens einiges zusammenstellt.
Die Grillparzersachen sind deshalb so verwickelt, weil sich in alles meine Kenntnis der Papiere hineinschlingt und da passen die Cerberusse in Wien: auf der einen Seite die Stadtbibliothek und ihre Behüter, auf der andern Seite Minor als Gegner auf u. mir sind die Hände gebunden. Was hätte ich sonst alles!!
Möchten Sie mir nicht einiges von dem verrathen, was Sie an Manuscript-Vorrat haben. Ich will es still ins Herz beschließen.
Unter den Briefen Bürgers an Goeckingk, [de]ren ich 80 Stück besitze, ist einer, biographisch vielleicht der interessanteste, den wir von B. haben, indem ! er ein Stück glühendsten Liebesbriefes an Molly enthält. Ich habe eine Zeitlang gedacht ihn abzutrennen u. für Heft I darzureichen; ein Anknüpfungspunkt an Gedichte für eine einleitende Bermerkung hätte sich gefunden. Aber einmal sind ein paar ziemlich freie Ausdrücke im späteren Verlauf des Briefes, die für diesen Zweck vielleicht nicht ganz [p]aßten, während sie im weiteren Fortgang der Ztschrft Niemandem ! geniren und zweitens würde mir der Rest der Correspondenz ziemlich entwerthet. Und wenn ich auch nicht verlangen kann, daß Sie alles freundschaftliche Gewäsche drucken, so ist doch die Mehrzahl der Briefe deshalb des Druckes bedürftig, weil die Antworten Göckingks in der Strodtmannschen Sammlung zugänglich sind.
Noch ein Wort vom Grillparzer. Bitte sind Sie mir nicht böse, daß ich Ihnen kein Ex. d. Werks schicken kann, da doch Schönbach eines erhält. Ich bin ihm von meiner Grazer Zeit her mannigfach verpflichtet; er hat mir unter anderem [s.] großes Predigtbuch geschenkt; er hat sich ferner viel mit Gr. beschäftigt; vieles mit mir durchgesprochen etc. Für Sie haben ja auch die ganzen Werke weniger Interesse u. die Einleitung, auf die ich allein Wert lege, erhalten Sie baldigst. Sagen Sie mir ein gutes Wort drüber; denn es hängt – neben vieler, vieler Mühe; denn fast hinter jedem Satze steckt eine Untersuchung – es hängt mein ganzes Herz dran. Mit dieser Liebe habe ich nichts geschrieben seit der Widmung der Neudrucke und fast will es mir scheinen, als würde ich nichts mehr mit [di]eser Liebe schreiben; denn in dem großen Werke, das ich gewiß ausführe, müßen die andern Geisteskräfte überwiegen. – Bald werde auch ich Ihnen zu schweifend sein; aber nein: ein kleines Gebietchen zu träumen, ja phantasieren, zu schwelgen; das gestehen Sie ja jedem von uns gern zu. Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau vielmals und laßen Sie uns auch fernerhin an einander festhalten.
Treulichst Ihr AS.
28.12.87.
L. F. Ich bin heuer mit Antworten an Sie so saumselig gewesen, daß ich nicht auch noch das neue Jahr heraufkommen laßen will, bevor ich Ihnen geschrieben habe. Glauben Sie mir, es war neben einer Reihe tiefeingreifender innerer E[rl]ebnisse, von denen niemand im Zusammenhange weiß und die ich Ihnen nur in langwierigem Gespräche darlegen könnte; neben diesen inneren Erschütterungen und Zerrüttungen, die drei Viertel dieses Jahres ausfüllten, war es hauptsächlich die nun eben fertig gewordene Grillparzer Ausgabe, die mich außer allen Verkehr mit meinen Freunden setzte. Denn Sie werden von andern Grazer Freunden dieselben Klagen über mich vernommen [ha]ben. Nun bin ich wenigstens auf eine Zeitlang den Correcturen entbunden. Auch sonst schaffe ich mir manches vom Halse: in einem Jahre etwa werde ich meine ganze Zeit frei für Untersuchungen haben. Gott genade der VJS die sie alle aufnehmen und den Lesern, die sie alle verdauen müßen.
Ihr Programm finde ich präcis, einfach, polemisch-sicher; lapidar. Ob nicht zu wortkarg? Ich bin etwas entsetzt über das niedrige Honorar. Ein Mensch wie ich, der viel verdienen muß, der kraut sich hinter den Ohren bei 20 Mark! 40 für den Jahresbericht klingt schon etwas besser. Sie sollen aber in der ersten Z[ei]t alles haben, was Sie von meinen Sachen brauchen können. Einen Aufsatz über Stolberg habe ich Zwiedineck versprochen: Das ist aber ohnedies nichs für Sie. Bis Mitte Januar bekommen Sie gewiß etwas von mir noch fürs erste Heft. Wie es ausfällt, kann ich noch nicht sagen. Vielleicht auch eine Kleinigkeit über österreichisches, für das Schmidt übrigens einiges zusammenstellt.
Die Grillparzersachen sind deshalb so verwickelt, weil sich in alles meine Kenntnis der Papiere hineinschlingt und da passen die Cerberusse in Wien: auf der einen Seite die Stadtbibliothek und ihre Behüter, auf der andern Seite Minor als Gegner auf u. mir sind die Hände gebunden. Was hätte ich sonst alles!!
Möchten Sie mir nicht einiges von dem verrathen, was Sie an Manuscript-Vorrat haben. Ich will es still ins Herz beschließen.
Unter den Briefen Bürgers an Goeckingk, [de]ren ich 80 Stück besitze, ist einer, biographisch vielleicht der interessanteste, den wir von B. haben, indem ! er ein Stück glühendsten Liebesbriefes an Molly enthält. Ich habe eine Zeitlang gedacht ihn abzutrennen u. für Heft I darzureichen; ein Anknüpfungspunkt an Gedichte für eine einleitende Bermerkung hätte sich gefunden. Aber einmal sind ein paar ziemlich freie Ausdrücke im späteren Verlauf des Briefes, die für diesen Zweck vielleicht nicht ganz [p]aßten, während sie im weiteren Fortgang der Ztschrft Niemandem ! geniren und zweitens würde mir der Rest der Correspondenz ziemlich entwerthet. Und wenn ich auch nicht verlangen kann, daß Sie alles freundschaftliche Gewäsche drucken, so ist doch die Mehrzahl der Briefe deshalb des Druckes bedürftig, weil die Antworten Göckingks in der Strodtmannschen Sammlung zugänglich sind.
Noch ein Wort vom Grillparzer. Bitte sind Sie mir nicht böse, daß ich Ihnen kein Ex. d. Werks schicken kann, da doch Schönbach eines erhält. Ich bin ihm von meiner Grazer Zeit her mannigfach verpflichtet; er hat mir unter anderem [s.] großes Predigtbuch geschenkt; er hat sich ferner viel mit Gr. beschäftigt; vieles mit mir durchgesprochen etc. Für Sie haben ja auch die ganzen Werke weniger Interesse u. die Einleitung, auf die ich allein Wert lege, erhalten Sie baldigst. Sagen Sie mir ein gutes Wort drüber; denn es hängt – neben vieler, vieler Mühe; denn fast hinter jedem Satze steckt eine Untersuchung – es hängt mein ganzes Herz dran. Mit dieser Liebe habe ich nichts geschrieben seit der Widmung der Neudrucke und fast will es mir scheinen, als würde ich nichts mehr mit [di]eser Liebe schreiben; denn in dem großen Werke, das ich gewiß ausführe, müßen die andern Geisteskräfte überwiegen. – Bald werde auch ich Ihnen zu schweifend sein; aber nein: ein kleines Gebietchen zu träumen, ja phantasieren, zu schwelgen; das gestehen Sie ja jedem von uns gern zu. Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau vielmals und laßen Sie uns auch fernerhin an einander festhalten.
Treulichst Ihr AS.
Ihr Programm finde ich präcis, einfach, polemisch-sicher; lapidar. Ob nicht zu wortkarg? Ich bin etwas entsetzt über das niedrige Honorar. Ein Mensch wie ich, der viel verdienen muß, der kraut sich hinter den Ohren bei 20 Mark!
August Sauer lobte das Programm der Zeitschrift, kritisierte aber die niedrigen Honorare für die Mitarbeiter.
Schreibort:
Empfangsort: Graz
Archiv: Österreichische Nationalbibliothek
Zustand: archivarisch einwandfreier Zustand, allerdings kleinräumige Textverluste durch nachträgliche Lochung
Signatur:
Autogr. 422/1-108
Umfang: 4 Seite(n)
Transkription mehrfach geprüft, Text teilweise getaggt
ZitiervorschlagBrief ID-8399 [Druckausgabe Nr. 81]. In: Der Briefwechsel zwischen August Sauer und Bernhard Seuffert 1880 bis 1926. Digitale Edition. Hrsg. von Bernhard Fetz, Hans-Harald Müller, Marcel Illetschko, Mirko Nottscheid und Desiree Hebenstreit. Wien: Österreichische Nationalbibliothek, Version 2.0, 2.7.2020. URL: https://edition.onb.ac.at/sauer-seuffert/o:bss.8399/methods/sdef:TEI/get
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