Als Musil am 15. April 1942 in Genf verstarb, hinterließ er in sechzig Mappen und vierzig Heften mehr als 12.000 Seiten mit Manuskripten. Paradoxer Weise gründet sich sein heutiger Weltruhm gerade auf das Fragment. Sein Nachlass wird seit 1972 an der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrt, 2014 wurde er als Weltdokumenterbe in das entsprechende UNESCO-Verzeichnis aufgenommen. In der Begründung wird darauf verwiesen, dass sich in Musils Nachlass nicht nur die Entstehungsgeschichte und das unveröffentlichte Ende seines großen Romanwerks "Der Mann ohne Eigenschaften" abbildet, sondern dass die Gesamtheit der Manuskripte ein Werk sui generis repräsentiert, ein philosophisch-literarisches Schreiblaboratorium der Moderne. Darin liegt das Paradoxon: Die Unabgeschlossenheit, die relative Unbekanntheit zu Lebzeiten bilden die Voraussetzung für die heutige Geltung. Diese wäre ohne die seit 1952 andauernden Bemühungen um die Edition nicht zustande gekommen.
Zum Zeitpunkt seines Todes waren Robert Musil und sein Œuvre praktisch völlig in Vergessenheit geraten. Zwar erfuhr die Veröffentlichung des ersten Teilbands des "Mann ohne Eigenschaften" (November 1930) im Feuilleton der deutschsprachigen Presse noch breite Würdigung, aber schon der zweite Teilband (Dezember 1932) wurde kaum mehr bemerkt, und dann wurde es relativ rasch still um Musil. Die Wiederentdeckung erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg in enger Verbindung mit jenen Persönlichkeiten, die sich auch um den Nachlass und dessen Edition bemühten. 1950 beauftragte Ernst Rowohlt, Musils Verleger von 1924 bis 1936, den Germanisten und Journalisten Adolf Frisé mit der Sichtung von Musils Papieren, die bei dessen Stiefsohn Gaetano Marcovaldi in Rom gelandet waren. 1952 veröffentlichte Frisé eine Ausgabe des gesamten "Mann ohne Eigenschaften", einschließlich von ca. 100 Nachlass-Kapiteln. Das britische Philologen-Ehepaar Eithne Wilkins und Ernst Kaiser begab sich Mitte der 1950er Jahre im Auftrag der Carl-Gustav-Jung-Stiftung ebenfalls nach Rom, um den Nachlass zu erschließen und eine wissenschaftliche Ausgabe vorzubereiten. Ernst Kaiser war es, der schon 1945 im Times Literary Supplement auf Musil hinwies. Auf der Basis der ersten posthumen Ausgaben entstanden die ersten Übersetzungen, welche eine internationale Wirkung in Gang setzten; heute liegen Übersetzungen in mehr als siebzig Sprachen vor. Musils Texte befruchteten auch den Film und die moderne Bildende Kunst. Seine Stellung in der Weltliteratur gründet sich in erster Linie auf den Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" einschließlich seiner Nachlass-Teile; von der wissenschaftlichen Rezeption wird Musil als einer der wichtigsten Vertreter der deutschsprachigen literarischen Moderne bestimmt.
"Der Mann ohne Eigenschaften" bietet ein Panoptikum der mitteleuropäischen Vorkriegsgesellschaft aus der Perspektive einer Romanfigur, in der sich der Autor Robert Musil spiegelt. Dieser war 1914 als Offizier der k.u.k. Armee in den Krieg eingetreten, 1918 begann er mit der Aufarbeitung, zunächst in einem breit angelegten Projekt von "20 Werken". 1918-1921 trug der Vorkriegsroman den Titel "Der Spion", 1921/22 den Titel "Der Erlöser". Im ersten Stadium legte Musil eine Art Zettelkasten an, ein Archiv der Zeitereignisse, wofür er auf Materialien zurückgriff, die er schon vor 1914 gesammelt hatte. Für das letztgenannte Projekt entwarf Musil bereits eine Typoskript-Fassung. 1923 erstellte er ein neues Konzept für den Roman, der bis 1926 "Die Zwillingsschwester" hieß; diesen Plan behielt er im Prinzip bei. 1924 schloss er einen Vertrag mit dem Rowohlt-Verlag, von dem Musil bis 1931 Vorschüsse erhielt. 1927 entschied sich Musil für den neuen Titel "Der Mann ohne Eigenschaften" und für die Teilung in zwei Bände. 1927-1928 entstand die erste Entwurfshandschrift für den ersten Band, im Herbst 1928 konzipierte Musil die Kapitelgruppen des zweiten Bands. Anfang Januar 1929 brach er diese Arbeit ab, um mit der Reinschrift des ersten Bands zu beginnen, für die er die Zeit bis Frühjahr 1930 benötigte. Die Korrektur der Druckfahnen zog sich bis Oktober 1930 hin, im November erfolgte die Veröffentlichung unter dem Titel "Der Mann ohne Eigenschaften. Erstes Buch". Für die Reinschrift des zweiten Buchs griff der Autor auf die Entwürfe aus den 1920er Jahren zurück; die Arbeit wurde durch den Konkurs des Verlags im Sommer 1931 behindert. Eine Gruppe privater Förderer ("Berliner Musil-Gesellschaft") sprang ein, um die Veröffentlichung der ersten 38 Kapitel zu ermöglichen, welche im Dezember 1932 unter dem Titel "Der Mann ohne Eigenschaften. Erster Teil des Zweiten Buchs" bei Rowohlt erschienen.
Durch die von Musil nicht gewünschte Teilveröffentlichung geriet das gesamte Romanprojekt in eine schwere Krise, die auch mit dem Beginn der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland zusammenhängt. Musil war 1931 von Wien nach Berlin gezogen, er hatte dort den Aufstieg Adolf Hitlers verfolgt; nach den Bücherverbrennungen in Berlin im Mai 1933 kehrte er nach Wien zurück. Einerseits zweifelte er ab nun an der Wirksamkeit seiner Vorkriegsanalyse auf das Lesepublikum, andererseits verfügte er über keine Ressourcen mehr, um den Roman in der geplanten Weise fertigstellen zu können. In Wien fand sich zwar wieder eine private Förderergruppe zusammen, deren Möglichkeiten jedoch begrenzt waren. In NS-Deutschland war der Roman nicht zugänglich, 1938 wurde er offiziell verboten. Mit Bermann Fischer fand sich 1936 ein Wiener Exilverlag, bei ihm wollte Musil Ende 1937 zwanzig Kapitel einer Zwischenfortsetzung des zweiten Buchs in Druck geben. Die Arbeit an den Druckfahnen wurde durch die Annexion Österreichs im März 1938 unterbrochen, Musil flüchtete mit seiner von den Nürnberger Gesetzen bedrohten Frau Martha im August 1938 in die Schweiz. In Zürich versuchte er zunächst, die Druckfahnen-Kapitel tiefgreifend zu modifizieren, schließlich entschied er sich nach der Übersiedlung nach Genf im Sommer 1939, einen Teil dieser Kapitel völlig neu zu schreiben. Die missliche finanzielle Situation, er war von Spenden einiger weniger Gönner abhängig, und die sich verschlechternde Gesundheit erschwerten dieses Vorhaben.
Musil selbst hatte neben dem Roman stets auf zwei weitere Werke verwiesen, denen er große Bedeutung beimaß: dem Novellenband "Vereinigungen" (1911) und dem Drama "Die Schwärmer" (1921). Berühmt geworden war er allerdings schon in jungen Jahren mit seinem Erstlingsroman "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" (1906). Die Veröffentlichungen im Feuilleton (vor allem 1920-1927), zu denen er sich aus Broterwerbsgründen gezwungen sah, hielt er für weniger bedeutsam. 1935 bestimmten ihn seine Wiener Förderer dazu, einen Teil der in Zeitungen und Zeitschriften erschienenen Kurzprosa unter dem Titel "Nachlaß zu Lebzeiten" zu veröffentlichen, doch gerade diese kleine Prosa zwischen Erzählung, Essay und Publizistik erfährt heute vermehrt Wertschätzung. Dies gilt auch für den Band "Drei Frauen" (1924), dessen drei Erzählungen mehr oder weniger zwischendurch entstanden, aber ein Meisterwerk der Novellistik darstellen.
Geboren wurde Robert Musil am 6. November 1880 in Klagenfurt, aufgewachsen ist er in Steyr (1882-1891), Brünn/Brno (1891-1894) und in Mährisch-Weißkirchen/Hranice (1894-1897), wo er seine Internatszeit verbrachte. Nach der militärischen Ausbildung in der k.u.k Kadettenschule erhielt er eine Berufsausbildung als Ingenieur an der Technischen Hochschule in Brünn/Brno (1898-1902). In dem technischen Beruf war Musil nur kurze Zeit tätig (1902), er holte die Matura nach und studierte Philosophie und Psychologie sowie die Nebenfächer Mathematik und Physik an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin (1903-1908). Musil war also vielseitig gebildet, mit dem Fokus auf Naturwissenschaften, er entschied sich nach dem Doktorat (Dissertation: "Beurteilung der Lehren Machs") jedoch gegen eine akademische Karriere und für den Schriftstellerberuf, ermutigt durch den Erfolg seines ersten Romans. Eine weitere Richtungsentscheidung ergab sich durch die Bekanntschaft mit der Berliner Malerin Martha Marcovaldi (1874-1949), in zweiter Ehe verheiratet mit dem italienischen Unternehmer Enrico Marcovaldi und Mutter zweier Kinder. Die Zeit der Liebesbeziehung, Scheidung, Eheschließung (1908-1912) verbrachte Musil, nach Wien übersiedelt, mit der Verarbeitung dieser privaten Ereignisse in Gestalt der "Vereinigungen". Mehr gegen seinen Willen und auf Drängen des Vaters musste er 1912 die Stelle eines Bibliothekars an der Technischen Hochschule Wien annehmen, Anfang 1914 gelang es ihm, sich davon zu befreien; er bekam eine Redakteursstelle bei der renommierten Zeitschrift "Die Neue Rundschau" beim S. Fischer Verlag in Berlin.
Den Ersten Weltkrieg erlebte Musil als Offizier der österreichisch-ungarischen Armee an der Südfront. In einem von mehreren Fronteinsätzen erlitt er eine Verletzung, er erkrankte schwer, schließlich wurde er in die Etappe verlegt und auf den Posten des Redakteurs der "(Tiroler) Soldatenzeitung" (1916/17) gesetzt; er wurde vom Leutnant zum Oberleutnant und schließlich zum Hauptmann befördert. Die letzten Monate des Krieges im Jahr 1918 verbrachte er als Herausgeber der Soldatenpostille "Heimat" im Kriegspressequartier in Wien. Nach dem Kriegsende erhielt Musil eine Stelle im Außenministerium der neu gegründeten Republik, 1920-1922 als Psychologischer Fachbeirat im Heeresministerium. Nach der Entlassung war er gezwungen, sein Geld mit publizistischen Arbeiten zu verdienen, als Kultur- und Theaterkritiker vor allem für die "Prager Presse". Das Bestreben Musils galt jedoch seinen literarischen Projekten. Mit dem Drama "Die Schwärmer" hatte er bereits in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg begonnen, er schloss es 1920 ab, zu seinem Missbehagen kam es erst 1929 zu einer verunglückten Aufführung. Die 1922 in einer Pause der Romanarbeit relativ rasch entstandenen "Drei Frauen" fußten ebenfalls auf älteren Vorarbeiten; 1924 entstand auch die Posse "Vinzenz oder die Freundin bedeutender Männer".
Ab 1924 fokussierte sich Musil zunehmend auf das Projekt seines großen Romans. In Wien lebend, von Zeit zu Zeit unterbrochen durch Besuche in Berlin und ausgedehnte Sommerfrische-Aufenthalte, widmete er fast seine gesamte schöpferische Energie diesem Zweck. Im steigenden Maß fühlte er sich durch alle anderen Tätigkeiten gestört. Sein Verleger Ernst Rowohlt bewies über die Jahre sehr viel Geduld und Nachsicht, er nahm ständige Verzögerungen des Abgabetermins hin, so war es möglich, das Mammutprojekt des Epochenromans in einem komplizierten Umschreibeverfahren immer weiter zu elaborieren. Mehrere Hindernisse traten seinem Abschluss entgegen: Schreibhemmungen blockierten den Produktionsprozess, Musil ließ sich vom Adlerianer Hugo Lukács behandeln. Der Verlag übernahm sich bei der Finanzierung des Projekts, ab 1931 versperrte sich der Zugang zwischen dem Autor und seinem Publikum, so dass Musil mehr oder weniger nur noch für die Schublade schrieb. Dazu trug auch die Veränderung der politischen Verhältnisse bei, der Nationalsozialismus und der Austrofaschismus zwangen den Autor zu Rücksichtnahmen, die ihm das Schreiben erschwerten und ihn an dessen Sinnhaftigkeit zweifeln ließen. Die Umwälzungen der 1930er Jahre führten zur Liquidierung des ursprünglichen Plans für das Romanende. Bis an den Tag seines Todes rang Musil mit den widerstrebenden Möglichkeiten eines Abschlusses.