die der Liebe, die der Großmut. Wer aus Großmut handelt, oder, wie man auch sagt, aus Größe handelt, der fragt nicht nach Täuschung, noch nach Sicherheit. Er darf sogar manches nicht wissen wollen, er wagt den Sprung über die Unwahrheit ..." "Könntest du nicht auch gegen Professor Lindner großmütig sein?" fragte Agathe ziemlich überraschend; denn sie sprach sonst nie von Lindner, wenn nicht ihr Bruder damit anfing. In dem Augenblick, wo sie es getan hatte, fühlte sie Ulrich wußte, daß sie ihm etwas verschweige. Sie verheimlichte nicht gerade, daß sie zu Lindner in irgendeiner Beziehung stehe, aber sie erzählte auch nicht, in welcher. Er nahm an, erriet diese ungefähr und fügte sich mit Mißbehagen in die Notwendigkeit, Agathe ihren eigenen Umweg gehen zu lassen. Diese hatte nun, in dem Augenblick, wo ihr aus Gott weiß welchen Gründen eine solche Frage über die Lippen sprang, sofort wieder festgestellt, wie schlecht doch das Wort Professor Lindner zumit dem Worte Großmut passe zusammenpasse. Sie fühlte sowohl, daß Großmut auf irgendwelche Weise berufslos sei, als auch, daß Lindner in einer unangenehmen WeiseArt gut sei. Ulrich war verstummt. Sie suchte ihm ins Gesicht zu sehenblicken, und als er dieses, wie er nur vermochte, abwandte, zupfte sie ihmn am Ärmel. Sie benutzte so lange den Ärmel als Klingelzug, bis Ulrichs lachendes Gesicht wieder im Torrahmen des Kummers erschien und er ihr warnend eine kleine Rede hielt. Denn wer aus Großmütigkeit den Boden der Tatsachen verlasseverließverläßt, der dürfedarf es nicht vorschnell tun, sonst fällt er ins Lächerliche: dies war ihrder Sinn, derund enthielt nicht weniger Beziehung zu s dem verschleiertenunangenehmen Manne Lindner enthielt wie als zu jener hohen Empfindsamkeit, die keine Täuschung zuläßt, weil das Kennzeichen ihrer Wahrheit die Fruchtbarkeit ist Wahrheit und Irrtum für sie lange nicht die Bedeutung hathaben wie die KraftDauer des Gefühls zu dauern undund seine Kraft, alles sich anzuwandeln. darüber hielt, daß derjenige leicht ins Lächerliche verfalle, welcher in seinem Großmut den Boden ders Wirklichen zu früh verlasse. Es bezog sich das aber nicht nur auf Agathes Großmutbereitschaft gegenüber dem verdächtigen Manne Lindner, sondern richtete einen Zweifel auch auf jene nicht zu betrügende wahre Empfindsamkeit, darin Wahrheit und Irrtum beiweitem weniger Bedeutung haben als das dauernde Strahlen des Gefühls und seine Kraft, alles sich anzuwandeln.
die der Liebe, die der Großmut. Wer aus Großmut handelt, oder, wie man auch sagt, aus Größe handelt, der fragt nicht nach Täuschung, noch nach Sicherheit. Er darf sogar manches nicht wissen wollen, er wagt den Sprung über die Unwahrheit ..." "Könntest du nicht auch gegen Professor Lindner großmütig sein?" fragte Agathe ziemlich überraschend; denn sie sprach sonst nie von Lindner, wenn nicht ihr Bruder damit anfing. In dem Augenblick, wo sie es getan hatte, fühlte sie Ulrich wußte, daß sie ihm etwas verschweige. Sie verheimlichte nicht gerade, daß sie zu Lindner in irgendeiner Beziehung stehe, aber sie erzählte auch nicht, in welcher. Er nahm an, erriet diese ungefähr und fügte sich mit Mißbehagen in die Notwendigkeit, Agathe ihren eigenen Umweg gehen zu lassen. Diese hatte nun, in dem Augenblick, wo ihr aus Gott weiß welchen Gründen eine solche Frage über die Lippen sprang, sofort wieder festgestellt, wie schlecht doch das Wort Professor Lindner zumit dem Worte Großmut passe zusammenpasse. Sie fühlte sowohl, daß Großmut auf irgendwelche Weise berufslos sei, als auch, daß Lindner in einer unangenehmen WeiseArt gut sei. Ulrich war verstummt. Sie suchte ihm ins Gesicht zu sehenblicken, und als er dieses, wie er nur vermochte, abwandte, zupfte sie ihmn am Ärmel. Sie benutzte so lange den Ärmel als Klingelzug, bis Ulrichs lachendes Gesicht wieder im Torrahmen des Kummers erschien und er ihr warnend eine kleine Rede hielt. Denn wer aus Großmütigkeit den Boden der Tatsachen verlasseverließverläßt, der dürfedarf es nicht vorschnell tun, sonst fällt er ins Lächerliche: dies war ihrder Sinn, derund enthielt nicht weniger Beziehung zu s dem verschleiertenunangenehmen Manne Lindner enthielt wie als zu jener hohen Empfindsamkeit, die keine Täuschung zuläßt, weil das Kennzeichen ihrer Wahrheit die Fruchtbarkeit ist Wahrheit und Irrtum für sie lange nicht die Bedeutung hathaben wie die KraftDauer des Gefühls zu dauern undund seine Kraft, alles sich anzuwandeln. darüber hielt, daß derjenige leicht ins Lächerliche verfalle, welcher in seinem Großmut den Boden ders Wirklichen zu früh verlasse. Es bezog sich das aber nicht nur auf Agathes Großmutbereitschaft gegenüber dem verdächtigen Manne Lindner, sondern richtete einen Zweifel auch auf jene nicht zu betrügende wahre Empfindsamkeit, darin Wahrheit und Irrtum beiweitem weniger Bedeutung haben als das dauernde Strahlen des Gefühls und seine Kraft, alles sich anzuwandeln.
Signatur: Cod. Ser. n. 15068
29 Blatt, 67 Seiten, 4 Konvolute
Die Mappe enthält Materialien zur Fortsetzung des ›Mann ohne Eigenschaften‹ nach der Teilveröffentlichung des Zweiten Buchs von 1932. Musil konzentrierte diese Fortsetzung in einer Entwurfsfolge mit der ›Sigle H‹ = ›Handschrift‹ (Fortsetzungshandschrift, Zweite Fassung, H 3 = Mappe I/7). Das daraus stammende Konvolut ›H 401-435‹ ist zusammen mit weiteren ersten Entwürfen von 1933 in die Mappe VII/9 gelangt. Eine Neufassung des Manuskripts (H 425-445) von 1934 aber bildet den Schwerpunkt des vorliegenden ›alten blauen Faszikels‹, in den auch das aktuelle Kapitelverzeichnis der Romanfortführung eingelegt wurde. Dazu kommen drei weitere unfertige Kapitelentwürfe von 1933/1934 aus älteren Kapitelprojekten zur Parallelaktions- und Rahmenerzählung, noch in keine endgültige Kapitelsukzession gereiht. Teils liefern die Entwürfe Vorstufen der Druckfahnenkapitel von Ende 1937, teils bleiben sie außerhalb des später angestrebten Erzählkontinuums.
Robert Musil, Altes blaues Faszikel (a. bl. Fa.) : Mappe I/8, ediert von Walter Fanta, in: Musil Online, hrsg. v. RMI/KLA und ÖNB, Klagenfurt und Wien 2021, Version 0.1, März 2022. URL: https://edition.onb.ac.at/musil/o:mus.sn15068-01-08/methods/sdef:TEI/get?mode=p_46
LizenzhinweisWeitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
Links