Loading...
Auszug des aktuellen Inhalts in TEI XML
Laden...

nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig; wer aber sagt: Du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig." Und las zum Schluß: "Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar. Und so jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel. Und so dich jemand nötiget eine Meile, so gehe mit ihm zwei!" Und zum Schluß las er: "Ärgert dich deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde." Agathe fügte ihren Lieblingsspruch hinzu:, der nicht aus der Bibel war: "Wirf alles, was du hast, ins Feuer bis zu den Schuhen. Wenn du nichts mehr hast, denk nicht einmal ans Leichentuch und wirf dich nackt ins Feuer!" "WoIn welchem Buch, steht das?" fragte Ulrich, der sich nicht mehr erinnerte, diesen Satz, der auch ihm gefiel, einsteinstens selbst gefundenentdeckt undselbst seiner Schwester in ähnlichem Eifer wie heute selbst vorgelesen zu haben;.aber sieAgathe zuckte, statt einer Antwort,zu geben, bloß die Schultern die Achseln. "Schön ist das alles!" sagte UlricherUlrich unaufmerksam und dachte nach. "Und ich glaube widerspruchsvoll." "Ist es also das, was du gemeint hast?" fragte sie ihn. "Es istIch bin jedenfalls nahe daran. Wie hast du es"Aber woran hast du mich erraten?,Bbloß an meinem falschen Zitat?" fragte er. "Was du gefragt und gesfragt hast , war doch nicht im mindesten so dumm, wie du geglaubt hast oder getan hast."und die Antwort darauf war doch nicht falsch" erwiderte Agathe. Sie errötete und trieb ihre Rede vorwärtsüber das kommende Hindernis wie ein Reiter das scheuende Pferd: "Es waren die richtigenrechten Fragen und Antwortenwar, wenn ich so sagen solldarf, das Richtige innerhalb der Einmeilengrenze. Aber im Sinn lagist dir , vor den Menschen dort, wie man zwei Meilen weit , und noch mehr, innerlich mit ihnen fühlengehen könnte. Darum warst du unzufrieden.die Frage gelegen, wie man zwei Meilen weit mit jedem gehen könnte, und vielleicht noch mehr. Obwohl du nicht einmalwahrscheinlich nicht einen Schritt mit ihnen zu gehen wirklich bereit bist" fügte sie schnell hinzu. "Richtig!" sagte Ulrich. "Und du birest bereit?" "Ich vielleicht auch nicht." "Und das heilige Buch?" fragte Ulrich. "Fällt dir nichtMir fälltFällt dir nicht auf, daß darinaus den Sätzen, die wir gelesen haben, neben dem Ton der Liebe ebenso ungeheuer der des Zorns, ja der Gewalttätigkeit spricht klingt? Darauf erwiderte Ulrich: "Darum könntestkannst du auch sagen, daß ich eine Frage der `Mondnachtmoral' auf der Zunge gehabt und Antworten des Tagdenkens ausgesprochen habe. Aber fällt dir nicht auf, daß auchZwei Meilen geht man nuralsobloß in Mondnächten! Ist dir also nicht auch aufgefallen, daß die heiligen Sätze, die wir soeben gelesen haben, zum Teil einer Mondlichtmoral angehören? Sie sind auch nie am Tage befolgt worden! Bei Tage heißt es doch: So du jemand auf die Backe geschlagen hast, schießetritt ihn auch noch niederin den Leib, damit er niemals den Mut wiederfinde, an dir Rache zu nehmen könne!" "Das ist spannend!" rief Agathe aus, aber sie meinte es ernst. "Sollte denn der Schöpfer etwas befohlen haben, das in einem gewöhnlichen Zustand gar nicht zu befolgen ist?!" "Das wäre immerhin denkbar" meintegab Ulrich zur Antwort, scheinbar mit der persönlichen NichtbeteiligungUnparteilichkeit des Gelehrten. "Vielleicht befiehlt er uns also, jenen Zustand wieder aufzufinden, den wir den andern genannt haben! "sagte Agathe. Aber dann schränkte sie es ein: "DochAber du vergißt " schränkte sie

Legende
ABC: Streichung ABC: HinzufügungABC: Textvariante : Abkürzung, BegriffserklärungABC: Autorenkommentar
Datierung
Datierungsabschnitt 7-3: März 1934 - Mitte 1934
Notizen zur Reinschrift: NR 1-15 + dazugehörige Entwürfe H-Zweitfassung [Umfang: 216 Seiten]
Übergeordnete Einheit: Datierungsabschnitt 7: Zwischenfortsetzung Band II, Teil 1
Datierungsmethode: Datierungsabschnitt
Objektbeschreibung
Angaben zum Blatt: Kanzleidoppelblatt cremefarben kariert
Maße: 211x341mm
Typ des Blatts
Entwurfsfragment
Tinte schwarz
Entwurfsfragmente sind für die spätere Produktionsphase des "Mann ohne Eigenschaften" typisch (1933-1942). Es handelt sich um Zeugnisse der Umschreibprozeduren, in der Regel in Form unvollständiger Kapitelentwürfe, die keinen fixen Kapiteltitel und keine fixe Kapitelnummer haben; sie sind stark korrigiert und mit Notizen versehen.
Bezug
Der Mann ohne Eigenschaften
Fortsetzung 1933-1936 | Neuansätze | 47Wandel unter Menschen | Stufe 1
Siglen
Loading...
Auszug des aktuellen Inhalts in TEI XML
Laden...

nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnet, der ist des Gerichts schuldig; wer aber sagt: Du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig." Und las zum Schluß: "Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar. Und so jemand mit dir rechten will und deinen Rock nehmen, dem laß auch den Mantel. Und so dich jemand nötiget eine Meile, so gehe mit ihm zwei!" Und zum Schluß las er: "Ärgert dich deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde." Agathe fügte ihren Lieblingsspruch hinzu:, der nicht aus der Bibel war: "Wirf alles, was du hast, ins Feuer bis zu den Schuhen. Wenn du nichts mehr hast, denk nicht einmal ans Leichentuch und wirf dich nackt ins Feuer!" "WoIn welchem Buch, steht das?" fragte Ulrich, der sich nicht mehr erinnerte, diesen Satz, der auch ihm gefiel, einsteinstens selbst gefundenentdeckt undselbst seiner Schwester in ähnlichem Eifer wie heute selbst vorgelesen zu haben;.aber sieAgathe zuckte, statt einer Antwort,zu geben, bloß die Schultern die Achseln. "Schön ist das alles!" sagte UlricherUlrich unaufmerksam und dachte nach. "Und ich glaube widerspruchsvoll." "Ist es also das, was du gemeint hast?" fragte sie ihn. "Es istIch bin jedenfalls nahe daran. Wie hast du es"Aber woran hast du mich erraten?,Bbloß an meinem falschen Zitat?" fragte er. "Was du gefragt und gesfragt hast , war doch nicht im mindesten so dumm, wie du geglaubt hast oder getan hast."und die Antwort darauf war doch nicht falsch" erwiderte Agathe. Sie errötete und trieb ihre Rede vorwärtsüber das kommende Hindernis wie ein Reiter das scheuende Pferd: "Es waren die richtigenrechten Fragen und Antwortenwar, wenn ich so sagen solldarf, das Richtige innerhalb der Einmeilengrenze. Aber im Sinn lagist dir , vor den Menschen dort, wie man zwei Meilen weit , und noch mehr, innerlich mit ihnen fühlengehen könnte. Darum warst du unzufrieden.die Frage gelegen, wie man zwei Meilen weit mit jedem gehen könnte, und vielleicht noch mehr. Obwohl du nicht einmalwahrscheinlich nicht einen Schritt mit ihnen zu gehen wirklich bereit bist" fügte sie schnell hinzu. "Richtig!" sagte Ulrich. "Und du birest bereit?" "Ich vielleicht auch nicht." "Und das heilige Buch?" fragte Ulrich. "Fällt dir nichtMir fälltFällt dir nicht auf, daß darinaus den Sätzen, die wir gelesen haben, neben dem Ton der Liebe ebenso ungeheuer der des Zorns, ja der Gewalttätigkeit spricht klingt? Darauf erwiderte Ulrich: "Darum könntestkannst du auch sagen, daß ich eine Frage der `Mondnachtmoral' auf der Zunge gehabt und Antworten des Tagdenkens ausgesprochen habe. Aber fällt dir nicht auf, daß auchZwei Meilen geht man nuralsobloß in Mondnächten! Ist dir also nicht auch aufgefallen, daß die heiligen Sätze, die wir soeben gelesen haben, zum Teil einer Mondlichtmoral angehören? Sie sind auch nie am Tage befolgt worden! Bei Tage heißt es doch: So du jemand auf die Backe geschlagen hast, schießetritt ihn auch noch niederin den Leib, damit er niemals den Mut wiederfinde, an dir Rache zu nehmen könne!" "Das ist spannend!" rief Agathe aus, aber sie meinte es ernst. "Sollte denn der Schöpfer etwas befohlen haben, das in einem gewöhnlichen Zustand gar nicht zu befolgen ist?!" "Das wäre immerhin denkbar" meintegab Ulrich zur Antwort, scheinbar mit der persönlichen NichtbeteiligungUnparteilichkeit des Gelehrten. "Vielleicht befiehlt er uns also, jenen Zustand wieder aufzufinden, den wir den andern genannt haben! "sagte Agathe. Aber dann schränkte sie es ein: "DochAber du vergißt " schränkte sie

Legende
ABC: Streichung ABC: HinzufügungABC: Textvariante : Abkürzung, BegriffserklärungABC: Autorenkommentar
Datierung
Datierungsabschnitt 7-3: März 1934 - Mitte 1934
Notizen zur Reinschrift: NR 1-15 + dazugehörige Entwürfe H-Zweitfassung [Umfang: 216 Seiten]
Übergeordnete Einheit: Datierungsabschnitt 7: Zwischenfortsetzung Band II, Teil 1
Datierungsmethode: Datierungsabschnitt
Objektbeschreibung
Angaben zum Blatt: Kanzleidoppelblatt cremefarben kariert
Maße: 211x341mm
Typ des Blatts
Entwurfsfragment
Tinte schwarz
Entwurfsfragmente sind für die spätere Produktionsphase des "Mann ohne Eigenschaften" typisch (1933-1942). Es handelt sich um Zeugnisse der Umschreibprozeduren, in der Regel in Form unvollständiger Kapitelentwürfe, die keinen fixen Kapiteltitel und keine fixe Kapitelnummer haben; sie sind stark korrigiert und mit Notizen versehen.
Bezug
Der Mann ohne Eigenschaften
Fortsetzung 1933-1936 | Neuansätze | 47Wandel unter Menschen | Stufe 1
Siglen

Signatur: Cod. Ser. n. 15068

29 Blatt, 67 Seiten, 4 Konvolute

Die Mappe enthält Materialien zur Fortsetzung des ›Mann ohne Eigenschaften‹ nach der Teilveröffentlichung des Zweiten Buchs von 1932. Musil konzentrierte diese Fortsetzung in einer Entwurfsfolge mit der ›Sigle H‹ = ›Handschrift‹ (Fortsetzungshandschrift, Zweite Fassung, H 3 = Mappe I/7). Das daraus stammende Konvolut ›H 401-435‹ ist zusammen mit weiteren ersten Entwürfen von 1933 in die Mappe VII/9 gelangt. Eine Neufassung des Manuskripts (H 425-445) von 1934 aber bildet den Schwerpunkt des vorliegenden ›alten blauen Faszikels‹, in den auch das aktuelle Kapitelverzeichnis der Romanfortführung eingelegt wurde. Dazu kommen drei weitere unfertige Kapitelentwürfe von 1933/1934 aus älteren Kapitelprojekten zur Parallelaktions- und Rahmenerzählung, noch in keine endgültige Kapitelsukzession gereiht. Teils liefern die Entwürfe Vorstufen der Druckfahnenkapitel von Ende 1937, teils bleiben sie außerhalb des später angestrebten Erzählkontinuums.

Zitiervorschlag

Robert Musil, Altes blaues Faszikel (a. bl. Fa.) : Mappe I/8, ediert von Walter Fanta, in: Musil Online, hrsg. v. RMI/KLA und ÖNB, Klagenfurt und Wien 2021, Version 0.1, März 2022. URL: https://edition.onb.ac.at/musil/o:mus.sn15068-01-08/methods/sdef:TEI/get?mode=p_23

Lizenzhinweis

Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.

Links