433. es ein, das Ganze seiner Worte. Neben der Liebe ist in ihnen doch auch der Zorn, die Gewalt, das Gericht, die Stimme der Welt: beide Stimmen maßlos ungeheuer!" "Vielleicht hat der Textist der Ursprung dieses Teils ein anderer ; der" erläuterte Ulrich; "Der Text ist alt und läßt gewiß Auslegungen zu. Auch könnte man annehmen, daß die umstürzende Forderung, die hier an die Liebe gestellt ist, zuweilen unwillkürlich ihre gewalttätige Gebärde mitunter auf diese selbst überträgt. Ich spüre doch selbst auch Oder es sind beide Stimmen uranfänglich.,Ich spüre doch selbst das Vertrauen in den Menschen wie das Mißtrauenund Gott selbst hat den Menschen mit Vertrauen und Mißtrauen geschaffen. Aber ich will mich nicht als Ausleger versuchen, wo ich nicht zuständig bin" entschuldigte er sich. "Vielleicht sollte es damals noch nicht ausgesprochen werden?" fragte Agathe zweifelnd. "Man könnte sich einbilden, diese Vorschrift der Liebe sei so schwer und auch nicht ganz geheuer, daß sie verschleiert werden müßte!" "Warum nicht?! erwiderte Ulrich lachend. "Ein Laie kann wohl annehmen, daß uralte Gott in Urzeiten nicht schon das Ende, sondern erst seinen Anfang geoffenbart hat." "Und du vermochtest zu denken, daß irgendwelche zwei Menschen heute imstande wären, eine Fortsetzung zu hören?!" "Weshalb denn nicht?! Unbeeinflußte und mutige Menschen können vieles entdecken!" fuhr Ulrich fort. Aber er hatte doch wohl nicht bedacht, daß dieser Wortwechsel auf Agathe dank ihrer Erziehung weitaus glaubhafter und darum auch unheimlicher wirkte als auf ihn, unddenn plötzlich hielt siefühlte erwie ohne Überlegung ihre Hand auf seinem Mund und batsie flehte ihn heftig an: "Sei still,!"Das haben wir ja alles schon besprochen!"Ulrich hielt still;Er tat es gehorsam; aber während er ihre Finger auf seinen Lippen ihre Finger spürte, die seinenderenseinen Frevel hindern sollten, begann er darin die Gewähr der Wirklichkeit, der wahrhaft schon eingetretenen Veränderung zu fühlen.wirken konnte als auf ihn: plötzlich fühlte er ihre Hand auf seinem Mund, und sie bat ihn heftig: "Sei still!" [ Er tat es gehorsam, aber während der halben Minute, wo er ihre Finger , die seinen Frevel verhindern sollten, auf seinen Lippen spürte, begann er darineinen Frevel zu verhindern, glaubte er die lebendige Gewähr einer eingetretenen Veränderung zu fühlen.,Er dachte: was wir heute gesprochen haben, ist genauso ein Gespinst in Worten wie alles Frühere; wir haben niemals ein entscheidendes Wort gefunden, und es ist auch niemals etwas geschehn; dennoch vermeinte er einen Unterschied zu erfassen, wie er etwa Worten zukommtkäme, die hinter einer geschlossenen Türe gesprochen werden, und nicht mehr davor. Es bestürzte ihn deshalb beinahe, daß auch obgleich es offenbar auch auf die natürlichste Weise nahelag, daß AgatheEs machte ihm darum starken Eindruck, daß Agathe iniIn dem Augenblick, wo siesie ihn Agathe losließ, zu ihmzuDiesen Eindruck machte es ihm, als Agathe ihn losließ und zuihm sagte sie: "Das haben wir ja alles schon besprochen!" und er als er sie ansah,Sie schien sie gerade die Augen zu öffnen, die sie wohl eine Zeitlang geschlossen haben mußtehatte, als wollte sie einen Entschluß fassen. Es war wohl eine völlig natürliche Bemerkung, aber er faßte sie ■Beilage.«63»
433. es ein, das Ganze seiner Worte. Neben der Liebe ist in ihnen doch auch der Zorn, die Gewalt, das Gericht, die Stimme der Welt: beide Stimmen maßlos ungeheuer!" "Vielleicht hat der Textist der Ursprung dieses Teils ein anderer ; der" erläuterte Ulrich; "Der Text ist alt und läßt gewiß Auslegungen zu. Auch könnte man annehmen, daß die umstürzende Forderung, die hier an die Liebe gestellt ist, zuweilen unwillkürlich ihre gewalttätige Gebärde mitunter auf diese selbst überträgt. Ich spüre doch selbst auch Oder es sind beide Stimmen uranfänglich.,Ich spüre doch selbst das Vertrauen in den Menschen wie das Mißtrauenund Gott selbst hat den Menschen mit Vertrauen und Mißtrauen geschaffen. Aber ich will mich nicht als Ausleger versuchen, wo ich nicht zuständig bin" entschuldigte er sich. "Vielleicht sollte es damals noch nicht ausgesprochen werden?" fragte Agathe zweifelnd. "Man könnte sich einbilden, diese Vorschrift der Liebe sei so schwer und auch nicht ganz geheuer, daß sie verschleiert werden müßte!" "Warum nicht?! erwiderte Ulrich lachend. "Ein Laie kann wohl annehmen, daß uralte Gott in Urzeiten nicht schon das Ende, sondern erst seinen Anfang geoffenbart hat." "Und du vermochtest zu denken, daß irgendwelche zwei Menschen heute imstande wären, eine Fortsetzung zu hören?!" "Weshalb denn nicht?! Unbeeinflußte und mutige Menschen können vieles entdecken!" fuhr Ulrich fort. Aber er hatte doch wohl nicht bedacht, daß dieser Wortwechsel auf Agathe dank ihrer Erziehung weitaus glaubhafter und darum auch unheimlicher wirkte als auf ihn, unddenn plötzlich hielt siefühlte erwie ohne Überlegung ihre Hand auf seinem Mund und batsie flehte ihn heftig an: "Sei still,!"Das haben wir ja alles schon besprochen!"Ulrich hielt still;Er tat es gehorsam; aber während er ihre Finger auf seinen Lippen ihre Finger spürte, die seinenderenseinen Frevel hindern sollten, begann er darin die Gewähr der Wirklichkeit, der wahrhaft schon eingetretenen Veränderung zu fühlen.wirken konnte als auf ihn: plötzlich fühlte er ihre Hand auf seinem Mund, und sie bat ihn heftig: "Sei still!" [ Er tat es gehorsam, aber während der halben Minute, wo er ihre Finger , die seinen Frevel verhindern sollten, auf seinen Lippen spürte, begann er darineinen Frevel zu verhindern, glaubte er die lebendige Gewähr einer eingetretenen Veränderung zu fühlen.,Er dachte: was wir heute gesprochen haben, ist genauso ein Gespinst in Worten wie alles Frühere; wir haben niemals ein entscheidendes Wort gefunden, und es ist auch niemals etwas geschehn; dennoch vermeinte er einen Unterschied zu erfassen, wie er etwa Worten zukommtkäme, die hinter einer geschlossenen Türe gesprochen werden, und nicht mehr davor. Es bestürzte ihn deshalb beinahe, daß auch obgleich es offenbar auch auf die natürlichste Weise nahelag, daß AgatheEs machte ihm darum starken Eindruck, daß Agathe iniIn dem Augenblick, wo siesie ihn Agathe losließ, zu ihmzuDiesen Eindruck machte es ihm, als Agathe ihn losließ und zuihm sagte sie: "Das haben wir ja alles schon besprochen!" und er als er sie ansah,Sie schien sie gerade die Augen zu öffnen, die sie wohl eine Zeitlang geschlossen haben mußtehatte, als wollte sie einen Entschluß fassen. Es war wohl eine völlig natürliche Bemerkung, aber er faßte sie ■Beilage.«63»
Signatur: Cod. Ser. n. 15068
29 Blatt, 67 Seiten, 4 Konvolute
Die Mappe enthält Materialien zur Fortsetzung des ›Mann ohne Eigenschaften‹ nach der Teilveröffentlichung des Zweiten Buchs von 1932. Musil konzentrierte diese Fortsetzung in einer Entwurfsfolge mit der ›Sigle H‹ = ›Handschrift‹ (Fortsetzungshandschrift, Zweite Fassung, H 3 = Mappe I/7). Das daraus stammende Konvolut ›H 401-435‹ ist zusammen mit weiteren ersten Entwürfen von 1933 in die Mappe VII/9 gelangt. Eine Neufassung des Manuskripts (H 425-445) von 1934 aber bildet den Schwerpunkt des vorliegenden ›alten blauen Faszikels‹, in den auch das aktuelle Kapitelverzeichnis der Romanfortführung eingelegt wurde. Dazu kommen drei weitere unfertige Kapitelentwürfe von 1933/1934 aus älteren Kapitelprojekten zur Parallelaktions- und Rahmenerzählung, noch in keine endgültige Kapitelsukzession gereiht. Teils liefern die Entwürfe Vorstufen der Druckfahnenkapitel von Ende 1937, teils bleiben sie außerhalb des später angestrebten Erzählkontinuums.
Robert Musil, Altes blaues Faszikel (a. bl. Fa.) : Mappe I/8, ediert von Walter Fanta, in: Musil Online, hrsg. v. RMI/KLA und ÖNB, Klagenfurt und Wien 2021, Version 0.1, März 2022. URL: https://edition.onb.ac.at/musil/o:mus.sn15068-01-08/methods/sdef:TEI/get?mode=p_24
LizenzhinweisWeitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
Links