sie innen verschwunden sein, ohne eine Spur davon, ob sie eine Stunde oder eine Minute gedauert ausgesetzt habe.
Einmal trafüberraschte Ulrich seine Schwester bei diesen Versuchen an und erriet wohl etwas von ihnen, denn er sagte leise und lächelnd: "Es gibt eine Weissagung, daß für die Götter ein Jahrtausend nicht mehr als ein Öffnen und Schließen ihres Auges sei!" Dann lehnten sie sich beide wieder zurück und hörten weiter den Traumreden der Stille zu.
Agathe dachte: "Das allesAlles das hat bloß er zustande gebracht!" Aber er hatte Götter, und nicht Gott gesagt, und sie stellte sich darum vor, daß er jetzt zweifelnd lächle. Er leugnete offenbar alle Anzeichen, erklärte sie ihr so genau er nur konnte und wollte keine andere Wahrheit gelten lassen als die, die er kannte.; und doch zweifelt er jedesmal, wenn er lächelt!" Sie versuchte sich in ihn hineinzuversetzen und seine Gedanken zu erraten, was zwischen ihnen eigentlich als unerlaubt galt, weil es von außen kam, und nicht aus der schöpferischen Teilnahme, als eine Abweichung aber umso heimlicher war. Aber die Sonne fiel mit ihrer beständig niederkommenden Wärme zart wie ein Schlafmittel auf seine geöffneten Lippen, und das fühlte Agathe an den ihren und sie verstand nunin diesem Augenblick den in diesem Augenblickspöttischen Einspruch, den er immer wieder erhob, diesmal besser als jeund wußte sich eins mit ihm. Sie versuchte sich in ihn hineinzuversetzen und seine Gedanken zu erraten, was zwischen ihnen eigentlich als unerlaubt galt, weil es von außen kam, und nicht aus der schöpferischen Teilnahme, als eine Abweichung aber umso heimlicher war. "Er will nicht, daß es bloß eine Liebesgeschichte werden soll" dachte sie.;Uund dann fügte sie hinzu: "Das ist auch mein Geschmack." Und gleich danachrauf dachte sie: "Er kannwird keine andere Frau nach mir lieben,als mich,denn das ist keine Liebesgeschichte."mehr;!" Und dann fügte sie noch hinzu: "Ddas ist höchstens die letzte Liebesgeschichte, die es noch giebtüberhaupt geben kann!" Und sie fügte hinzu: " Wir werden sowohl eine Art Letzte Mohikaner der Liebe sein!" Sie begriff besser, als er wußte, das damit verbundene Zweifeln und Unschlüssigsein. Sie war ja, wenn sie wahrhaft sein sollte, auch nicht ganz überzeugt, daß sieihr Gott fühlehelfe oder daß sie, wie sieUlrich das einmal genannt hatten, den Fuß schon ins Tausendjährige Reich setze. Doch sie wollte freilich es fast mit den Füßen fühlendas setzen könnten. Doch sie wollte sich überzeugen, und sie ahnte in diesem Augenblick, daß diesediese unverstellte Handgreiflichkeit, deren sie sich so oft geschämt hatte, im Grunde etwas Ähnliches sei wie das wissenschaftliche Zaudern ihres Bruders. Zu ihrem Erstaunen begann ihr aber dann noch etwas sehr Merkwürdiges allmählich aufzufallen. Sie überlegte gerade, daßwar auch dieses Tons gegen sich selbst fähig im Augenblick fähig, denn wenn
sie vor der Zeit Ulrichs eigentlich leichter imstande gewesen wärewarals jetzt sich einzubilden, dieserder ein wacher Schlaf, dem sie sich überließe, geleite sie , und wußte nicht warum. So besann sie sich auf die Umstände, und da kam ihrwie der, worin ihre Seele jetzt schaukleschaukelte, vermöchte sie hinter das Leben zu geleiten, in ein Wachsein nach dem Tode, in Gottes Nähe, zu Mächten, die sie holen kämen, oder bloß neben das Leben zu einem Aufhören der Begriffe und einem Übergang in Wälder und Wiesen von Vorstellungen: es war ja nie klar geworden, was das sei! So gab sie sich nun Mühe, sich dieser alten Vorstellungen zu erinnern. Aber es kam ihr nur noch eine Hängematte in Erinnerung, zwischen zwei seiner ungeheure Finger gespannt und von einer unendlichen Geduld geschaukelt; dann ein stilles Überragtwerden, wie von hohen Bäumen, zwischen denen man sich emporgehoben und verschwunden fühlt; und schließlich ein Nichts, das einen auf unbegreiflicheneWeise greifbaren Inhalt hatte –: das waren oftwohl alle die Zwischengebilde von Eingebung und Einbildung gewesen, inan denen ihr Verlangen einst Trostbedürfnis die Anwesenheit von etwas Unbestimmbaren fand, das sie Gott nannte, abergefunden hatte. Aber waren es dann wirklich bloß Zwischengebildeund Halbgebilde gewesen? Zu ihrem Erstaunen begann Agathe etwas sehr Merkwürdiges allmählich aufzufallen. "Wahrhaftig," dachte sie "es ist so, wie man sagt: es geht einem ein Licht auf! Und es verbreitet sich, je länger essie innen verschwunden sein, ohne eine Spur davon, ob sie eine Stunde oder eine Minute gedauert ausgesetzt habe.
Einmal trafüberraschte Ulrich seine Schwester bei diesen Versuchen an und erriet wohl etwas von ihnen, denn er sagte leise und lächelnd: "Es gibt eine Weissagung, daß für die Götter ein Jahrtausend nicht mehr als ein Öffnen und Schließen ihres Auges sei!" Dann lehnten sie sich beide wieder zurück und hörten weiter den Traumreden der Stille zu.
Agathe dachte: "Das allesAlles das hat bloß er zustande gebracht!" Aber er hatte Götter, und nicht Gott gesagt, und sie stellte sich darum vor, daß er jetzt zweifelnd lächle. Er leugnete offenbar alle Anzeichen, erklärte sie ihr so genau er nur konnte und wollte keine andere Wahrheit gelten lassen als die, die er kannte.; und doch zweifelt er jedesmal, wenn er lächelt!" Sie versuchte sich in ihn hineinzuversetzen und seine Gedanken zu erraten, was zwischen ihnen eigentlich als unerlaubt galt, weil es von außen kam, und nicht aus der schöpferischen Teilnahme, als eine Abweichung aber umso heimlicher war. Aber die Sonne fiel mit ihrer beständig niederkommenden Wärme zart wie ein Schlafmittel auf seine geöffneten Lippen, und das fühlte Agathe an den ihren und sie verstand nunin diesem Augenblick den in diesem Augenblickspöttischen Einspruch, den er immer wieder erhob, diesmal besser als jeund wußte sich eins mit ihm. Sie versuchte sich in ihn hineinzuversetzen und seine Gedanken zu erraten, was zwischen ihnen eigentlich als unerlaubt galt, weil es von außen kam, und nicht aus der schöpferischen Teilnahme, als eine Abweichung aber umso heimlicher war. "Er will nicht, daß es bloß eine Liebesgeschichte werden soll" dachte sie.;Uund dann fügte sie hinzu: "Das ist auch mein Geschmack." Und gleich danachrauf dachte sie: "Er kannwird keine andere Frau nach mir lieben,als mich,denn das ist keine Liebesgeschichte."mehr;!" Und dann fügte sie noch hinzu: "Ddas ist höchstens die letzte Liebesgeschichte, die es noch giebtüberhaupt geben kann!" Und sie fügte hinzu: " Wir werden sowohl eine Art Letzte Mohikaner der Liebe sein!" Sie begriff besser, als er wußte, das damit verbundene Zweifeln und Unschlüssigsein. Sie war ja, wenn sie wahrhaft sein sollte, auch nicht ganz überzeugt, daß sieihr Gott fühlehelfe oder daß sie, wie sieUlrich das einmal genannt hatten, den Fuß schon ins Tausendjährige Reich setze. Doch sie wollte freilich es fast mit den Füßen fühlendas setzen könnten. Doch sie wollte sich überzeugen, und sie ahnte in diesem Augenblick, daß diesediese unverstellte Handgreiflichkeit, deren sie sich so oft geschämt hatte, im Grunde etwas Ähnliches sei wie das wissenschaftliche Zaudern ihres Bruders. Zu ihrem Erstaunen begann ihr aber dann noch etwas sehr Merkwürdiges allmählich aufzufallen. Sie überlegte gerade, daßwar auch dieses Tons gegen sich selbst fähig im Augenblick fähig, denn wenn
sie vor der Zeit Ulrichs eigentlich leichter imstande gewesen wärewarals jetzt sich einzubilden, dieserder ein wacher Schlaf, dem sie sich überließe, geleite sie , und wußte nicht warum. So besann sie sich auf die Umstände, und da kam ihrwie der, worin ihre Seele jetzt schaukleschaukelte, vermöchte sie hinter das Leben zu geleiten, in ein Wachsein nach dem Tode, in Gottes Nähe, zu Mächten, die sie holen kämen, oder bloß neben das Leben zu einem Aufhören der Begriffe und einem Übergang in Wälder und Wiesen von Vorstellungen: es war ja nie klar geworden, was das sei! So gab sie sich nun Mühe, sich dieser alten Vorstellungen zu erinnern. Aber es kam ihr nur noch eine Hängematte in Erinnerung, zwischen zwei seiner ungeheure Finger gespannt und von einer unendlichen Geduld geschaukelt; dann ein stilles Überragtwerden, wie von hohen Bäumen, zwischen denen man sich emporgehoben und verschwunden fühlt; und schließlich ein Nichts, das einen auf unbegreiflicheneWeise greifbaren Inhalt hatte –: das waren oftwohl alle die Zwischengebilde von Eingebung und Einbildung gewesen, inan denen ihr Verlangen einst Trostbedürfnis die Anwesenheit von etwas Unbestimmbaren fand, das sie Gott nannte, abergefunden hatte. Aber waren es dann wirklich bloß Zwischengebildeund Halbgebilde gewesen? Zu ihrem Erstaunen begann Agathe etwas sehr Merkwürdiges allmählich aufzufallen. "Wahrhaftig," dachte sie "es ist so, wie man sagt: es geht einem ein Licht auf! Und es verbreitet sich, je länger esSignatur: Cod. Ser. n. 15068
29 Blatt, 67 Seiten, 4 Konvolute
Die Mappe enthält Materialien zur Fortsetzung des ›Mann ohne Eigenschaften‹ nach der Teilveröffentlichung des Zweiten Buchs von 1932. Musil konzentrierte diese Fortsetzung in einer Entwurfsfolge mit der ›Sigle H‹ = ›Handschrift‹ (Fortsetzungshandschrift, Zweite Fassung, H 3 = Mappe I/7). Das daraus stammende Konvolut ›H 401-435‹ ist zusammen mit weiteren ersten Entwürfen von 1933 in die Mappe VII/9 gelangt. Eine Neufassung des Manuskripts (H 425-445) von 1934 aber bildet den Schwerpunkt des vorliegenden ›alten blauen Faszikels‹, in den auch das aktuelle Kapitelverzeichnis der Romanfortführung eingelegt wurde. Dazu kommen drei weitere unfertige Kapitelentwürfe von 1933/1934 aus älteren Kapitelprojekten zur Parallelaktions- und Rahmenerzählung, noch in keine endgültige Kapitelsukzession gereiht. Teils liefern die Entwürfe Vorstufen der Druckfahnenkapitel von Ende 1937, teils bleiben sie außerhalb des später angestrebten Erzählkontinuums.
Robert Musil, Altes blaues Faszikel (a. bl. Fa.) : Mappe I/8, ediert von Walter Fanta, in: Musil Online, hrsg. v. RMI/KLA und ÖNB, Klagenfurt und Wien 2021, Version 0.1, März 2022. URL: https://edition.onb.ac.at/musil/o:mus.sn15068-01-08/methods/sdef:TEI/get?mode=p_16
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