"Also, ich fasse es noch einmal zusammen –" sagte Stumm.
"Unser Freund hat genug von der Philosophie!" unterbrach ihn U Ulrich
.
"Aber das kannst du doch von mir gewiß nicht
sagenbehaupten!" verteidigte sich St. Stumm
empört. "Wir können bloß nicht auf die
Philosophie warten. Und nNatürlich, ich will dir dochauch nichts vorschwindeln,: natürlich habe ich, wenn ich Ldf. Leinsdorf
besuche, den Auftrag, ihn, wenn es geht, in einem
bestimmten Sinn zu beeinflußen, das kannst du dir ja denken. Und wenn er sagt, daß
an einem Glauben das wichtigste ist, daß man immer das gleiche glaubt, so denkt er
vorderhand noch an die Religion; ich aber denke schon an die Eingeistigkeit, denn
das ist das Umfassendere. Ich stehe nicht an zu behaupten, daß eine wirklich
gewaltige Lebensanschauung nicht erst auf den Verstand warten darf;
sondern im Gegenteil, eine wirkliche Lebensanschauung muß geradezu
gegen den Verstand gerichtet sein, der Vern sonst kommt sie nicht in
die Lage, daß sie ihn sich unterwerfen kann. Und eine solche Eingeistigkeit sucht
das Zivil im beständigen Wechsel, das Militär hat aber sozusagen eine dauernde
Eingeistigkeit! Gnädigste, –" unterbrach St. Stumm
seinen Eifer "dürfen nicht glauben, daß ich ein Militarist bin; mir
ist das Militär, ganz im Gegenteil, immer sogar ein bißl zu roh gewesen: Aber die
Logik dieser Gedanken packt einen so, wie wenn man mit einem großen Hund spielt:
erst beißt er im Spaß, und dann kommt er hinein und wird wild. Und ich möchte
Ihrem Bruder sozusagen eine letzte Gelegenheit einräumen –"
"Und wie bringst du die Kundgebung der Kraft u Liebe damit in Zusammenhang?"
fragte U Ulrich
.
"Gott, das habe ich inzwischen vergessen" erwiderte St Stumm
. "Aber natürlich sind diese nationalen Ausbrüche, die wir
jetzt in unserem Vaterland erleben, irgendwie Kraftausbrüche einer unglücklichen
Liebe. Und auch auf diesem Gebiet, in der Synthese von Kraft u Liebe ist das
Miltär gewissermaßen vorbildlich. Irgendeine Vaterlandsliebe muß der Mensch haben,
und wenn er sie nicht zum Vaterland hat, so hat er sie eben zu etwas
anderem. Das braucht man also bloß einzufangen. Als Beispiel dafür fällt mir in
diesem Augenblick das Wort E-F. ein: Wer denkt daran, daß ein Einjähriger, ein
Freiwilliger ist. Er am allerwenigsten. Und doch war ers und ist ers nach dem Sinn
des Gesetzes. In so einem Sinn muß man die Menschen eben alle wieder zu
Freiwilligen machen!"
"Also, ich fasse es noch einmal zusammen –" sagte Stumm.
"Unser Freund hat genug von der Philosophie!" unterbrach ihn U Ulrich
.
"Aber das kannst du doch von mir gewiß nicht
sagenbehaupten!" verteidigte sich St. Stumm
empört. "Wir können bloß nicht auf die
Philosophie warten. Und nNatürlich, ich will dir dochauch nichts vorschwindeln,: natürlich habe ich, wenn ich Ldf. Leinsdorf
besuche, den Auftrag, ihn, wenn es geht, in einem
bestimmten Sinn zu beeinflußen, das kannst du dir ja denken. Und wenn er sagt, daß
an einem Glauben das wichtigste ist, daß man immer das gleiche glaubt, so denkt er
vorderhand noch an die Religion; ich aber denke schon an die Eingeistigkeit, denn
das ist das Umfassendere. Ich stehe nicht an zu behaupten, daß eine wirklich
gewaltige Lebensanschauung nicht erst auf den Verstand warten darf;
sondern im Gegenteil, eine wirkliche Lebensanschauung muß geradezu
gegen den Verstand gerichtet sein, der Vern sonst kommt sie nicht in
die Lage, daß sie ihn sich unterwerfen kann. Und eine solche Eingeistigkeit sucht
das Zivil im beständigen Wechsel, das Militär hat aber sozusagen eine dauernde
Eingeistigkeit! Gnädigste, –" unterbrach St. Stumm
seinen Eifer "dürfen nicht glauben, daß ich ein Militarist bin; mir
ist das Militär, ganz im Gegenteil, immer sogar ein bißl zu roh gewesen: Aber die
Logik dieser Gedanken packt einen so, wie wenn man mit einem großen Hund spielt:
erst beißt er im Spaß, und dann kommt er hinein und wird wild. Und ich möchte
Ihrem Bruder sozusagen eine letzte Gelegenheit einräumen –"
"Und wie bringst du die Kundgebung der Kraft u Liebe damit in Zusammenhang?"
fragte U Ulrich
.
"Gott, das habe ich inzwischen vergessen" erwiderte St Stumm
. "Aber natürlich sind diese nationalen Ausbrüche, die wir
jetzt in unserem Vaterland erleben, irgendwie Kraftausbrüche einer unglücklichen
Liebe. Und auch auf diesem Gebiet, in der Synthese von Kraft u Liebe ist das
Miltär gewissermaßen vorbildlich. Irgendeine Vaterlandsliebe muß der Mensch haben,
und wenn er sie nicht zum Vaterland hat, so hat er sie eben zu etwas
anderem. Das braucht man also bloß einzufangen. Als Beispiel dafür fällt mir in
diesem Augenblick das Wort E-F. ein: Wer denkt daran, daß ein Einjähriger, ein
Freiwilliger ist. Er am allerwenigsten. Und doch war ers und ist ers nach dem Sinn
des Gesetzes. In so einem Sinn muß man die Menschen eben alle wieder zu
Freiwilligen machen!"
Signatur: Cod. Ser. n. 15068
29 Blatt, 67 Seiten, 4 Konvolute
Die Mappe enthält Materialien zur Fortsetzung des ›Mann ohne Eigenschaften‹ nach der Teilveröffentlichung des Zweiten Buchs von 1932. Musil konzentrierte diese Fortsetzung in einer Entwurfsfolge mit der ›Sigle H‹ = ›Handschrift‹ (Fortsetzungshandschrift, Zweite Fassung, H 3 = Mappe I/7). Das daraus stammende Konvolut ›H 401-435‹ ist zusammen mit weiteren ersten Entwürfen von 1933 in die Mappe VII/9 gelangt. Eine Neufassung des Manuskripts (H 425-445) von 1934 aber bildet den Schwerpunkt des vorliegenden ›alten blauen Faszikels‹, in den auch das aktuelle Kapitelverzeichnis der Romanfortführung eingelegt wurde. Dazu kommen drei weitere unfertige Kapitelentwürfe von 1933/1934 aus älteren Kapitelprojekten zur Parallelaktions- und Rahmenerzählung, noch in keine endgültige Kapitelsukzession gereiht. Teils liefern die Entwürfe Vorstufen der Druckfahnenkapitel von Ende 1937, teils bleiben sie außerhalb des später angestrebten Erzählkontinuums.
Robert Musil, Altes blaues Faszikel (a. bl. Fa.) : Mappe I/8, ediert von Walter Fanta, in: Musil Online, hrsg. v. RMI/KLA und ÖNB, Klagenfurt und Wien 2021, Version 0.1, März 2022. URL: https://edition.onb.ac.at/musil/o:mus.sn15068-01-08/methods/sdef:TEI/get?mode=p_15
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