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(Nationen Kap Gn U Ag) 3)

Was verstehst du z.b. unter Liberalismus?" – mit diesen Worten wandte er sich nun wieder an U. Ulrich
, u. beantwortete die Frage gleich selbstwartete aber keine Antwort ab, sondern fuhr neuerlich fort: "Ich meine halt so, daß man die Leute sich selbst überläßt. Das hat man seit dem Jahr 48 versucht, aber ... Und es wird dir natürlich auch aufgefallen sein, daß das jetzt aus der Mode kommt. Es ist ein Pallawatsch daraus entstanden, wie man so sagt. Aber ist es nur das? Mir kommt vor, die Leute wollen noch etwas. Sie sind nicht mit sich zufrieden. Ich ja auch; ich war früher ein liebenswürdiger Mensch. Man hat eigentlich nichts getan, aber man war mit sich zufrieden. Der Dienst war nicht schlimm, und außer Dienst hat man Ekarté gespielt oder ist auf die Jagd gefahren, und bei dem allen war eine gewisse Kultur. Eine gewisse Einheitlichkeit. Kommt es dir nicht auch so vor? Und warum ist das heute nicht mehr so? Ich glaube, soweit ich nach mir urteilen darf, man fühlt sich zu gescheit. Will man ein Schnitzel essen, so fällt einem ein, daß es Leute gibt, die keins haben. Steigt einer einem schönen Mäderl nach, so fahrt ihm plötzlich durch den Kopf, daß er eigentlich über die Beilegung irgendeines Konflikts nachzudenken hätte. Das ist eben der unleidliche Intellektualismus, den man heute niemals los wird, und darum geht es nirgends vorwärts. Und ohne es selbst zu wissen, wollen die Leute wieder etwas. Das heißt also, sie wollen nicht mehr einen komplizierten Intellekt, sie wollen nicht tausend Möglichkeiten zu leben: sie wollen mit dem zufrieden sein, was sie ohnehin tun, und dazu braucht es einfach wieder einen Glauben oder eine Überzeugung oder – also, wie soll man das bezeichnen, was sie dazu brauchen,? Zu dieser Frage möchte ich jetzt deine Meinung hören!"

Richtiger wäre es aber so: Solange es einem gut geht, bleibt alles in Ordnung Wenn es einem schlecht geht, gewinnen Ideen Ideen über einen die Macht. Und die das benützen, poussieren dann ihre unzureichenden Ideen usw. entsteht ein Zirkel. (d.i. auch U Ulrich
's. Gedanke, daß man in Zeiten der Zufriedenheit od. Blüte die Welt umbauen muß!)

Aber das war nur Selbstgenuß des lebhaft angeregten Stumm, denn ehe U. Ulrich
auch nur das Gesicht verziehen konnte, kam schon die Antwortseine Überraschung: "Man kann es natürlich ebensogut Glauben wie Überzeugung nennen, aber ich habe viel darüber nachgedacht und nenne es lieber: Eingeistigkeit!"

Stumm machte eine Pause, die der Einnahme des Beifalls dienen sollte, ehe er weiteren Einblick in seine Geisteswerkstatt gab, und dann mischte sich in den gewichtigen Ausdruck seines Gesichts noch ein ebensowohl überlegener als auch genußmüder. "Wir haben ja früher öfter über die Probleme der Ordnung gesprochen" erinnerte er seinen Freund "und brauchen uns infolgedessen heute nicht lang dabei aufzuhalten. Also Ordnung ist gewissermaßen ein paradoxer Begriff,.man braucht sie, undbedarf ihrer, aber man verträgt nicht zuviel von ihr. Eine vollkommene Ordnung

Legende
ABC: Streichung ABC: HinzufügungABC: Textvariante : Abkürzung, BegriffserklärungABC: Autorenkommentar
Beschreibung einer kakanischen Stadt
Stufe
12
Anzahl
12 MS
Inhalt
Text: Nationen (Gn bei U u Ag)
Typ
Entwurfsfragment
Entwurfsfragmente sind für die spätere Produktionsphase des "Mann ohne Eigenschaften" typisch (1933-1942). Es handelt sich um Zeugnisse der Umschreibprozeduren, in der Regel in Form unvollständiger Kapitelentwürfe, die keinen fixen Kapiteltitel und keine fixe Kapitelnummer haben; sie sind stark korrigiert und mit Notizen versehen.
Zeit
13. Juni 1933 - 5. Juli 1933
Datierungsmethode: indirekt, implizit
Referenz
Aus dem Bereich "Schauen"
  • I/8/3
  • I/8/4
  • I/8/5
  • I/8/6
  • I/8/7
  • I/8/8
  • I/8/9
  • I/8/10
  • I/8/11 (aktuelles Dokument)
  • I/8/12
  • I/8/13
  • I/8/14
Aus dem Bereich "Lesen"
  • [01]
  • [02]
  • [03]
  • [04]
  • [05]
  • [06]
  • [07]
  • [08]
  • [09]
  • [10]
  • [11]
  • [12]
Datierung
13. Juni 1933 - 5. Juli 1933
Datierungsmethode: indirekt, implizit
Objektbeschreibung
Angaben zum Blatt: Kanzleidoppelblatt cremefarben
Maße: 211x330mm
Typ des Blatts
Entwurfsfragment
Tinte schwarz
Entwurfsfragmente sind für die spätere Produktionsphase des "Mann ohne Eigenschaften" typisch (1933-1942). Es handelt sich um Zeugnisse der Umschreibprozeduren, in der Regel in Form unvollständiger Kapitelentwürfe, die keinen fixen Kapiteltitel und keine fixe Kapitelnummer haben; sie sind stark korrigiert und mit Notizen versehen.
Bezug
Der Mann ohne Eigenschaften
Fortsetzung 1933-1936 | Parallelaktion | Beschreibung einer kakanischen Stadt | Stufe 12
Siglen
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(Nationen Kap Gn U Ag) 3)

Was verstehst du z.b. unter Liberalismus?" – mit diesen Worten wandte er sich nun wieder an U. Ulrich
, u. beantwortete die Frage gleich selbstwartete aber keine Antwort ab, sondern fuhr neuerlich fort: "Ich meine halt so, daß man die Leute sich selbst überläßt. Das hat man seit dem Jahr 48 versucht, aber ... Und es wird dir natürlich auch aufgefallen sein, daß das jetzt aus der Mode kommt. Es ist ein Pallawatsch daraus entstanden, wie man so sagt. Aber ist es nur das? Mir kommt vor, die Leute wollen noch etwas. Sie sind nicht mit sich zufrieden. Ich ja auch; ich war früher ein liebenswürdiger Mensch. Man hat eigentlich nichts getan, aber man war mit sich zufrieden. Der Dienst war nicht schlimm, und außer Dienst hat man Ekarté gespielt oder ist auf die Jagd gefahren, und bei dem allen war eine gewisse Kultur. Eine gewisse Einheitlichkeit. Kommt es dir nicht auch so vor? Und warum ist das heute nicht mehr so? Ich glaube, soweit ich nach mir urteilen darf, man fühlt sich zu gescheit. Will man ein Schnitzel essen, so fällt einem ein, daß es Leute gibt, die keins haben. Steigt einer einem schönen Mäderl nach, so fahrt ihm plötzlich durch den Kopf, daß er eigentlich über die Beilegung irgendeines Konflikts nachzudenken hätte. Das ist eben der unleidliche Intellektualismus, den man heute niemals los wird, und darum geht es nirgends vorwärts. Und ohne es selbst zu wissen, wollen die Leute wieder etwas. Das heißt also, sie wollen nicht mehr einen komplizierten Intellekt, sie wollen nicht tausend Möglichkeiten zu leben: sie wollen mit dem zufrieden sein, was sie ohnehin tun, und dazu braucht es einfach wieder einen Glauben oder eine Überzeugung oder – also, wie soll man das bezeichnen, was sie dazu brauchen,? Zu dieser Frage möchte ich jetzt deine Meinung hören!"

Richtiger wäre es aber so: Solange es einem gut geht, bleibt alles in Ordnung Wenn es einem schlecht geht, gewinnen Ideen Ideen über einen die Macht. Und die das benützen, poussieren dann ihre unzureichenden Ideen usw. entsteht ein Zirkel. (d.i. auch U Ulrich
's. Gedanke, daß man in Zeiten der Zufriedenheit od. Blüte die Welt umbauen muß!)

Aber das war nur Selbstgenuß des lebhaft angeregten Stumm, denn ehe U. Ulrich
auch nur das Gesicht verziehen konnte, kam schon die Antwortseine Überraschung: "Man kann es natürlich ebensogut Glauben wie Überzeugung nennen, aber ich habe viel darüber nachgedacht und nenne es lieber: Eingeistigkeit!"

Stumm machte eine Pause, die der Einnahme des Beifalls dienen sollte, ehe er weiteren Einblick in seine Geisteswerkstatt gab, und dann mischte sich in den gewichtigen Ausdruck seines Gesichts noch ein ebensowohl überlegener als auch genußmüder. "Wir haben ja früher öfter über die Probleme der Ordnung gesprochen" erinnerte er seinen Freund "und brauchen uns infolgedessen heute nicht lang dabei aufzuhalten. Also Ordnung ist gewissermaßen ein paradoxer Begriff,.man braucht sie, undbedarf ihrer, aber man verträgt nicht zuviel von ihr. Eine vollkommene Ordnung

Legende
ABC: Streichung ABC: HinzufügungABC: Textvariante : Abkürzung, BegriffserklärungABC: Autorenkommentar
Beschreibung einer kakanischen Stadt
Stufe
12
Anzahl
12 MS
Inhalt
Text: Nationen (Gn bei U u Ag)
Typ
Entwurfsfragment
Entwurfsfragmente sind für die spätere Produktionsphase des "Mann ohne Eigenschaften" typisch (1933-1942). Es handelt sich um Zeugnisse der Umschreibprozeduren, in der Regel in Form unvollständiger Kapitelentwürfe, die keinen fixen Kapiteltitel und keine fixe Kapitelnummer haben; sie sind stark korrigiert und mit Notizen versehen.
Zeit
13. Juni 1933 - 5. Juli 1933
Datierungsmethode: indirekt, implizit
Referenz
Aus dem Bereich "Schauen"
  • I/8/3
  • I/8/4
  • I/8/5
  • I/8/6
  • I/8/7
  • I/8/8
  • I/8/9
  • I/8/10
  • I/8/11 (aktuelles Dokument)
  • I/8/12
  • I/8/13
  • I/8/14
Aus dem Bereich "Lesen"
  • [01]
  • [02]
  • [03]
  • [04]
  • [05]
  • [06]
  • [07]
  • [08]
  • [09]
  • [10]
  • [11]
  • [12]
Datierung
13. Juni 1933 - 5. Juli 1933
Datierungsmethode: indirekt, implizit
Objektbeschreibung
Angaben zum Blatt: Kanzleidoppelblatt cremefarben
Maße: 211x330mm
Typ des Blatts
Entwurfsfragment
Tinte schwarz
Entwurfsfragmente sind für die spätere Produktionsphase des "Mann ohne Eigenschaften" typisch (1933-1942). Es handelt sich um Zeugnisse der Umschreibprozeduren, in der Regel in Form unvollständiger Kapitelentwürfe, die keinen fixen Kapiteltitel und keine fixe Kapitelnummer haben; sie sind stark korrigiert und mit Notizen versehen.
Bezug
Der Mann ohne Eigenschaften
Fortsetzung 1933-1936 | Parallelaktion | Beschreibung einer kakanischen Stadt | Stufe 12
Siglen

Signatur: Cod. Ser. n. 15068

29 Blatt, 67 Seiten, 4 Konvolute

Die Mappe enthält Materialien zur Fortsetzung des ›Mann ohne Eigenschaften‹ nach der Teilveröffentlichung des Zweiten Buchs von 1932. Musil konzentrierte diese Fortsetzung in einer Entwurfsfolge mit der ›Sigle H‹ = ›Handschrift‹ (Fortsetzungshandschrift, Zweite Fassung, H 3 = Mappe I/7). Das daraus stammende Konvolut ›H 401-435‹ ist zusammen mit weiteren ersten Entwürfen von 1933 in die Mappe VII/9 gelangt. Eine Neufassung des Manuskripts (H 425-445) von 1934 aber bildet den Schwerpunkt des vorliegenden ›alten blauen Faszikels‹, in den auch das aktuelle Kapitelverzeichnis der Romanfortführung eingelegt wurde. Dazu kommen drei weitere unfertige Kapitelentwürfe von 1933/1934 aus älteren Kapitelprojekten zur Parallelaktions- und Rahmenerzählung, noch in keine endgültige Kapitelsukzession gereiht. Teils liefern die Entwürfe Vorstufen der Druckfahnenkapitel von Ende 1937, teils bleiben sie außerhalb des später angestrebten Erzählkontinuums.

Zitiervorschlag

Robert Musil, Altes blaues Faszikel (a. bl. Fa.) : Mappe I/8, ediert von Walter Fanta, in: Musil Online, hrsg. v. RMI/KLA und ÖNB, Klagenfurt und Wien 2021, Version 0.1, März 2022. URL: https://edition.onb.ac.at/musil/o:mus.sn15068-01-08/methods/sdef:TEI/get?mode=p_12

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