Jeden anständigen Menschen verlangt es nach innerer u äußerer Ordnung, aber anderseits verträgt man auch nicht zuviel von ihr, ja eine vollkommene Ordnung wäre sozusagen der Ruin alles Fortschritts und Vergnügens. Das liegt sozusagen (schon) im Begriff der Ordnung. Und darum muß man sich fragen: was ist denn überhaupt Ordnung? Und wie kommt es denn, daß wir uns einbilden, ohne Ordnung nicht existieren zu können? Und was für eine Ordnung suchen wir denn? eine logische, eine praktische, eine persönliche, eine allgemeine, eine Ordnung des Gefühls, eine des Geistes oder eine des Handelns? De facto gibt es ja eine Menge Ordnungen durcheinander; die Steuern und Zölle sind eine, die Religion eine andere, das Dienstregelement eine dritte, und man wird gar nicht fertig mit dem Aufsuchen u. Aufzählen. Damit habe ich mich sehr beschäftigt, wie du weißt, und ich glaube nicht, daß es auf der Welt viele Generale geben wird, die ihren Beruf so ernst nehmen, wie ich es in diesem letzten Jahr getan habehabe tun müssen. Ich habe auf meine Weise nach einer umfassenden Idee suchen helfen, aber du selbst hast schließlich verkündet, daß esman zur Ordnung des Geistes ein ganzes Weltsekretariat brauchen tätesolltemöchte, und auf eine solche Ordnung, das gibstwirst du selbst zugeben, kann man nicht warten!"Aber anderseits darf man auch nicht deshalb jeden gewähren lassen!"
Stumm lehnte sich zurück und schöpfte Luft. Das Schwerste war jetzt gesagt, und er fühlte das Bedürfnis, sich bei Agathe für die finstere Sachlichkeit seines Benehmens zu entschuldigen, was er mit den Worten tat: "Gnädigste verzeihen schon, aber ich habe mit Ihrem Bruder eine alte und schwere Abrechnung gehabt; jetzt aber wird es auch für Damen geeigneter, denn jetzt bin ich wieder dort, wo ich gewesen bin, daß die Leute keinen komplizierten Intellekt brauchen können, sondern daß sie glauben und überzeugt sein möchten. Wenn man das nämlich analysiert, so kommt man darauf, daß es bei der Ordnung, die der Mensch anstrebt, das letzte ist, ob man sie mit der Vernunft billigen kann oder nicht; es gibt auch völlig unbegründete Ordnungen, z.b. gleich, daß beim Militär, was immer behauptet wird, immer der Vorgesetzte recht hat, das heißt natürlich, solange nicht ein noch Höherer dabei ist: wWie habe ich mich, als ich ein junger Offizier war, darüber aufgehalten, daß das eine Schändung der Ideenwelt ist! AberUnd was sehe ich heute? Heute nennt man dases das Prinzip des Führers , das Recht derssStarken Hand und man macht sogar einen Unterschied in der Philosophie für Führer und für Geführte. Überhaupt ist das Militär – wenn wir schon soweit sind, muß ich das doch sagen! – ebensowohl ein Element der Ordnung, als es auch noch einmal zur Verfügung steht, wenn alle andere Ordnung versagt!" –"
"Wo hast du das her?" fragte Ulrich, den Vortrag unterbrechend, denn er hatte einen bestimmten Verdacht, daß diese Gedanken nicht nur aus einem Gespräch mit Leinsdorf geschöpft seien. "Es verlangen doch alle nach starker Führung! Und außerdem aAus dem Nietzsche natürlich u. seinen Auslegern" entgegnete Stumm flink und wohlbeschlagen.
Jeden anständigen Menschen verlangt es nach innerer u äußerer Ordnung, aber anderseits verträgt man auch nicht zuviel von ihr, ja eine vollkommene Ordnung wäre sozusagen der Ruin alles Fortschritts und Vergnügens. Das liegt sozusagen (schon) im Begriff der Ordnung. Und darum muß man sich fragen: was ist denn überhaupt Ordnung? Und wie kommt es denn, daß wir uns einbilden, ohne Ordnung nicht existieren zu können? Und was für eine Ordnung suchen wir denn? eine logische, eine praktische, eine persönliche, eine allgemeine, eine Ordnung des Gefühls, eine des Geistes oder eine des Handelns? De facto gibt es ja eine Menge Ordnungen durcheinander; die Steuern und Zölle sind eine, die Religion eine andere, das Dienstregelement eine dritte, und man wird gar nicht fertig mit dem Aufsuchen u. Aufzählen. Damit habe ich mich sehr beschäftigt, wie du weißt, und ich glaube nicht, daß es auf der Welt viele Generale geben wird, die ihren Beruf so ernst nehmen, wie ich es in diesem letzten Jahr getan habehabe tun müssen. Ich habe auf meine Weise nach einer umfassenden Idee suchen helfen, aber du selbst hast schließlich verkündet, daß esman zur Ordnung des Geistes ein ganzes Weltsekretariat brauchen tätesolltemöchte, und auf eine solche Ordnung, das gibstwirst du selbst zugeben, kann man nicht warten!"Aber anderseits darf man auch nicht deshalb jeden gewähren lassen!"
Stumm lehnte sich zurück und schöpfte Luft. Das Schwerste war jetzt gesagt, und er fühlte das Bedürfnis, sich bei Agathe für die finstere Sachlichkeit seines Benehmens zu entschuldigen, was er mit den Worten tat: "Gnädigste verzeihen schon, aber ich habe mit Ihrem Bruder eine alte und schwere Abrechnung gehabt; jetzt aber wird es auch für Damen geeigneter, denn jetzt bin ich wieder dort, wo ich gewesen bin, daß die Leute keinen komplizierten Intellekt brauchen können, sondern daß sie glauben und überzeugt sein möchten. Wenn man das nämlich analysiert, so kommt man darauf, daß es bei der Ordnung, die der Mensch anstrebt, das letzte ist, ob man sie mit der Vernunft billigen kann oder nicht; es gibt auch völlig unbegründete Ordnungen, z.b. gleich, daß beim Militär, was immer behauptet wird, immer der Vorgesetzte recht hat, das heißt natürlich, solange nicht ein noch Höherer dabei ist: wWie habe ich mich, als ich ein junger Offizier war, darüber aufgehalten, daß das eine Schändung der Ideenwelt ist! AberUnd was sehe ich heute? Heute nennt man dases das Prinzip des Führers , das Recht derssStarken Hand und man macht sogar einen Unterschied in der Philosophie für Führer und für Geführte. Überhaupt ist das Militär – wenn wir schon soweit sind, muß ich das doch sagen! – ebensowohl ein Element der Ordnung, als es auch noch einmal zur Verfügung steht, wenn alle andere Ordnung versagt!" –"
"Wo hast du das her?" fragte Ulrich, den Vortrag unterbrechend, denn er hatte einen bestimmten Verdacht, daß diese Gedanken nicht nur aus einem Gespräch mit Leinsdorf geschöpft seien. "Es verlangen doch alle nach starker Führung! Und außerdem aAus dem Nietzsche natürlich u. seinen Auslegern" entgegnete Stumm flink und wohlbeschlagen.
Signatur: Cod. Ser. n. 15068
29 Blatt, 67 Seiten, 4 Konvolute
Die Mappe enthält Materialien zur Fortsetzung des ›Mann ohne Eigenschaften‹ nach der Teilveröffentlichung des Zweiten Buchs von 1932. Musil konzentrierte diese Fortsetzung in einer Entwurfsfolge mit der ›Sigle H‹ = ›Handschrift‹ (Fortsetzungshandschrift, Zweite Fassung, H 3 = Mappe I/7). Das daraus stammende Konvolut ›H 401-435‹ ist zusammen mit weiteren ersten Entwürfen von 1933 in die Mappe VII/9 gelangt. Eine Neufassung des Manuskripts (H 425-445) von 1934 aber bildet den Schwerpunkt des vorliegenden ›alten blauen Faszikels‹, in den auch das aktuelle Kapitelverzeichnis der Romanfortführung eingelegt wurde. Dazu kommen drei weitere unfertige Kapitelentwürfe von 1933/1934 aus älteren Kapitelprojekten zur Parallelaktions- und Rahmenerzählung, noch in keine endgültige Kapitelsukzession gereiht. Teils liefern die Entwürfe Vorstufen der Druckfahnenkapitel von Ende 1937, teils bleiben sie außerhalb des später angestrebten Erzählkontinuums.
Robert Musil, Altes blaues Faszikel (a. bl. Fa.) : Mappe I/8, ediert von Walter Fanta, in: Musil Online, hrsg. v. RMI/KLA und ÖNB, Klagenfurt und Wien 2021, Version 0.1, März 2022. URL: https://edition.onb.ac.at/musil/o:mus.sn15068-01-08/methods/sdef:TEI/get?mode=p_13
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