wird!" versicherte er. Töricht wie ein Schuljunge, gab er dem Verlangen nach, es zu Ehren Agathes laut zu sagen, und sah sich sogar um, weil sie es nicht hören sollte. Danach besann er sich aber darauf, daß er seinen
Freund nicht zu trösten, sondern weiter zu verhören habe, und begann es lächelnd mit der lächelnden Bemerkung "Wenn Diotima hilflos ist, muß sich wirklich vieles geändert haben!" Das lächelnd fortzusetzen. "Alles!" seufzte der General. "Du, zum Beispiel!" behauptetewarf Ulrich ehinwieder ein. "Kann auch sein. Ich wehre mich aberzwar dagegen. Ich will nicht ohneweiters fahren lassen, woran ich ein Jahr lang geglaubt habe: alle diese herrlichenschönen Ideen!" Nun haktesetzte Ulrich ein: "Warum denn die Ideen fallen lassen? Du hast allerdings von einem katastrophalen Ernst des Friedenskongresses gesprochen, den ich mir baldigst vergegenwärtigen soll; hast du dabei an etwas Bestimmtes gedacht?" "Ja, natürlich" erwiderte der Rundliche. "Angefangen hat es damit, daß ich eine Mordsnasen bekommen hab – ich glaube sogar, daß ich dir das auch vorausgesagt habe! –, nämlich wegen dieses verdammten letzten Beschlusses in der Sitzung bei Diotimaüber das Tötenlassen, dessen Anerkennung ichaber nur ich zwar noch verhindert habeworden ist,habe, von dem aber doch etwas durchgesickert ist, so daß maneinige Zeitungen den Leinsdorf dafürder Unterdrückung dafür verantwortlich gemacht hat. Bei der Demonstration, in die er bei seiner letzten Reise hineingeraten ist,und wo man ihn, wie ich dir vorhin erzählt habe, beinahe geschlagen worden isthat, haben ihn ist ihm von den TschechenDeutschen immerzu `FeiglingVerräter!' zugerufen worden, weil aus Empörung darüber, daß ein solcher Beschluß überhaupt gefaßt weor- den konnteist, und von den Tschechen das gleiche auf tschechisch, aber deshalb, weil der Beschluß nicht angenommen worden ist! –" Ulrich wandte (staunend) ein, daß doch weder die Deutschen solche Eisenfresser seien noch die Tschechen dermaßen friedlich, daß dasdas verständlich wäre, worauf aber Stumm etwas Bedeutsames erwiderte, denn dieser sagte: "Natürlich nicht! Aber Sie haben ja auch ihre beiden Demonstrationen wegen etwas ganz anderm veranstaltet gehabt. Wegen irgend etwas, einer Sprachenverordnung (oder einem Regierungsbeschluß) oder einer von diesen Sachen, an denen man gewohnheitsmäßig Ärgernis nimmt.über die man sich schon so oft geärgert hat, daß man kaum noch kann. Und sie haben auf einander losgehen wollen Und überhaupt: Hunde, die bellen, beißen nicht! Aber wie sie den Leinsdorf erkannt haben, hat es ihnen neuen Aufschwung gegeben,haben sie haben ihren gegenseitigen Haß zurückgezogen und auf den unschuldigen Grafen vereint, der in seinem Wagen mitten zwischen ihnen durchgefahren ist, und nun beachte bitte: das hat der Demonstration einen ungeheuren Aufschwung gegeben. Undnun beachte bitte:DaEs war eben unvernünftig, aber die Vernunft ist eben nicht das, was die Welt vorwärts bringtaber Unvernunft ist gerade das .. wovon sich die Menschen leiten lassen!" "Also das ist jetzt deine neue Überzeugung?" fragte Ulrich (gedehnt.) Die beiden Herren hatten sich wegen Länge und Gewicht des Gesprächswird!" versicherte er. Töricht wie ein Schuljunge, gab er dem Verlangen nach, es zu Ehren Agathes laut zu sagen, und sah sich sogar um, weil sie es nicht hören sollte. Danach besann er sich aber darauf, daß er seinen
Freund nicht zu trösten, sondern weiter zu verhören habe, und begann es lächelnd mit der lächelnden Bemerkung "Wenn Diotima hilflos ist, muß sich wirklich vieles geändert haben!" Das lächelnd fortzusetzen. "Alles!" seufzte der General. "Du, zum Beispiel!" behauptetewarf Ulrich ehinwieder ein. "Kann auch sein. Ich wehre mich aberzwar dagegen. Ich will nicht ohneweiters fahren lassen, woran ich ein Jahr lang geglaubt habe: alle diese herrlichenschönen Ideen!" Nun haktesetzte Ulrich ein: "Warum denn die Ideen fallen lassen? Du hast allerdings von einem katastrophalen Ernst des Friedenskongresses gesprochen, den ich mir baldigst vergegenwärtigen soll; hast du dabei an etwas Bestimmtes gedacht?" "Ja, natürlich" erwiderte der Rundliche. "Angefangen hat es damit, daß ich eine Mordsnasen bekommen hab – ich glaube sogar, daß ich dir das auch vorausgesagt habe! –, nämlich wegen dieses verdammten letzten Beschlusses in der Sitzung bei Diotimaüber das Tötenlassen, dessen Anerkennung ichaber nur ich zwar noch verhindert habeworden ist,habe, von dem aber doch etwas durchgesickert ist, so daß maneinige Zeitungen den Leinsdorf dafürder Unterdrückung dafür verantwortlich gemacht hat. Bei der Demonstration, in die er bei seiner letzten Reise hineingeraten ist,und wo man ihn, wie ich dir vorhin erzählt habe, beinahe geschlagen worden isthat, haben ihn ist ihm von den TschechenDeutschen immerzu `FeiglingVerräter!' zugerufen worden, weil aus Empörung darüber, daß ein solcher Beschluß überhaupt gefaßt weor- den konnteist, und von den Tschechen das gleiche auf tschechisch, aber deshalb, weil der Beschluß nicht angenommen worden ist! –" Ulrich wandte (staunend) ein, daß doch weder die Deutschen solche Eisenfresser seien noch die Tschechen dermaßen friedlich, daß dasdas verständlich wäre, worauf aber Stumm etwas Bedeutsames erwiderte, denn dieser sagte: "Natürlich nicht! Aber Sie haben ja auch ihre beiden Demonstrationen wegen etwas ganz anderm veranstaltet gehabt. Wegen irgend etwas, einer Sprachenverordnung (oder einem Regierungsbeschluß) oder einer von diesen Sachen, an denen man gewohnheitsmäßig Ärgernis nimmt.über die man sich schon so oft geärgert hat, daß man kaum noch kann. Und sie haben auf einander losgehen wollen Und überhaupt: Hunde, die bellen, beißen nicht! Aber wie sie den Leinsdorf erkannt haben, hat es ihnen neuen Aufschwung gegeben,haben sie haben ihren gegenseitigen Haß zurückgezogen und auf den unschuldigen Grafen vereint, der in seinem Wagen mitten zwischen ihnen durchgefahren ist, und nun beachte bitte: das hat der Demonstration einen ungeheuren Aufschwung gegeben. Undnun beachte bitte:DaEs war eben unvernünftig, aber die Vernunft ist eben nicht das, was die Welt vorwärts bringtaber Unvernunft ist gerade das .. wovon sich die Menschen leiten lassen!" "Also das ist jetzt deine neue Überzeugung?" fragte Ulrich (gedehnt.) Die beiden Herren hatten sich wegen Länge und Gewicht des GesprächsSignatur: Cod. Ser. n. 15068
29 Blatt, 67 Seiten, 4 Konvolute
Die Mappe enthält Materialien zur Fortsetzung des ›Mann ohne Eigenschaften‹ nach der Teilveröffentlichung des Zweiten Buchs von 1932. Musil konzentrierte diese Fortsetzung in einer Entwurfsfolge mit der ›Sigle H‹ = ›Handschrift‹ (Fortsetzungshandschrift, Zweite Fassung, H 3 = Mappe I/7). Das daraus stammende Konvolut ›H 401-435‹ ist zusammen mit weiteren ersten Entwürfen von 1933 in die Mappe VII/9 gelangt. Eine Neufassung des Manuskripts (H 425-445) von 1934 aber bildet den Schwerpunkt des vorliegenden ›alten blauen Faszikels‹, in den auch das aktuelle Kapitelverzeichnis der Romanfortführung eingelegt wurde. Dazu kommen drei weitere unfertige Kapitelentwürfe von 1933/1934 aus älteren Kapitelprojekten zur Parallelaktions- und Rahmenerzählung, noch in keine endgültige Kapitelsukzession gereiht. Teils liefern die Entwürfe Vorstufen der Druckfahnenkapitel von Ende 1937, teils bleiben sie außerhalb des später angestrebten Erzählkontinuums.
Robert Musil, Altes blaues Faszikel (a. bl. Fa.) : Mappe I/8, ediert von Walter Fanta, in: Musil Online, hrsg. v. RMI/KLA und ÖNB, Klagenfurt und Wien 2021, Version 0.1, März 2022. URL: https://edition.onb.ac.at/musil/o:mus.sn15068-01-08/methods/sdef:TEI/get?mode=p_28
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