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Auch die Soziale Frage, die das eins und alles Schmeißers bildete, erschien ihm nicht als Frage, sondern bloß als eine unterlassene Antwort, aber er konnte ein Hundert anderer solcher "Fragen" anführen, über die im Geist die Akten abgeschlossen waren und die, wie man sich sagen ließe, vergeblich auf die manipulative Behandlung im Büro der Expedition warteten. Und wenn er das tat und Schmeißer milde gestimmt war, so sagte dieser: "Lassen Sie bloß erst einmal uns an die Macht kommen!" Dann aber sagte Ulrich: "Sie sind zu gütig gegen mich, denn es stimmt ja gar nicht, was ich behaupte. Fast alle geistigen Menschen haben dieses Vorurteil, daß die praktischen DingeFragen, von denen sie nichts verstehen, einfach sindseienzu lösen wären, aber bei der Durchführung zeigt sich natürlich, daß sie bloß nicht alles bedacht haben. Das kann man nun den Reichtum der Wirklichkeit an Widerständen, man kann es aber auch die Armut des Denkens an VorstellungenWirklichkeit nennen. Bedenkt man anderseits alles, so kommt man bekanntlich nie zum Handeln –"Darum kann man auch das Wesen der Politik wohl ebensogut aus dem ReichtumAnderseits, darin gebe ich Ihnen recht – bedächte der Politiker alles, so käme er nie zum Handeln. Vielleicht hat die Politik darum ebensoviel vom Reichtum der Wirklichkeit wie vomn Armut des Geistes (Mangel an Vorstellungen) –" Das gab Schmeißer Gelegenheit, zu einer frohlockenden UnterbrechungErwiderung Unterbrechung mit den Worten: "Die Menschen wie Sie kommen nicht zum Handeln, weil sie die Wahrheit nicht wollen! Der bürgerliche sogenannte Geist ist in seiner Gänze nur eine feige Verzögerung und Ausrede!" "Warum wollen sieMenschen wie ich aber nicht?" fragte Ulrich. "Sie könnten doch wollen. Reichtum, zum Beispiel, ist ja nichts, was sie wirklich begehren. Ich kenne zwar kaum einen wohlhabenden Mann, der nicht davon eine kleine Schwäche trüge, mich inbegriffen, aber ich kenne auch keinen, der das Geld um seiner selbst willen liebte, außer Geizhälse, und Geiz ist eine Störung des persönlichen Verhaltens, die es auch in der Liebe gibt, in der Macht und in der Ehre: seiner Analyse die krankhafte Natur des Geizes beweist geradezu, daß Geben seliger ist als Nehmen. Glauben Sie übrigens, daß Geben seliger ist alsdenn Nehmen ...?" fragte er. "Diese Frage können Sie in einem schöngeistigen Salon aufwerfen!" gab Schmeißer zur Antwort. "Und ich glaubebefürchte" behauptete Ulrich: "alle Ihre Anstrengungen bleibenwerden zwecklos bleiben, solange Sie nicht wissen, ob Geben oder Nehmen seliger ist oder wie sie sich ergänzen!" Schmeißer höhnte: "Sie beabsichtigen wohl die Menschheit in Güte zu überreden? Übrigens wird das rechte Verhältnis von Geben und Nehmen im Sozialen Staat eine Selbstverständlichkeit sein!" "Dann behaupte ich," ergänzte Ulrich lächelnd seinen Satz "daß alle ihre Anstrengungen auch solangeschon deshalb vergeblich bleiben müssenwerden, alsweil man nebeneinander 'Du Hund! und Mein liebes Hunderl!'

Legende
ABC: Streichung ABC: HinzufügungABC: Textvariante : Abkürzung, BegriffserklärungABC: Autorenkommentar
Datierung
Datierungsabschnitt 7-3: März 1934 - Mitte 1934
Notizen zur Reinschrift: NR 1-15 + dazugehörige Entwürfe H-Zweitfassung [Umfang: 216 Seiten]
Übergeordnete Einheit: Datierungsabschnitt 7: Zwischenfortsetzung Band II, Teil 1
Datierungsmethode: Datierungsabschnitt
Objektbeschreibung
Angaben zum Blatt: Kanzleidoppelblatt cremefarben
Maße: 210x330mm
Typ des Blatts
Entwurfsfragment
Tinte schwarz
Entwurfsfragmente sind für die spätere Produktionsphase des "Mann ohne Eigenschaften" typisch (1933-1942). Es handelt sich um Zeugnisse der Umschreibprozeduren, in der Regel in Form unvollständiger Kapitelentwürfe, die keinen fixen Kapiteltitel und keine fixe Kapitelnummer haben; sie sind stark korrigiert und mit Notizen versehen.
Bezug
Der Mann ohne Eigenschaften
Fortsetzung 1933-1936 | Parallelaktion | Unterhaltungen mit Schmeißer | Stufe 15
Siglen
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Auch die Soziale Frage, die das eins und alles Schmeißers bildete, erschien ihm nicht als Frage, sondern bloß als eine unterlassene Antwort, aber er konnte ein Hundert anderer solcher "Fragen" anführen, über die im Geist die Akten abgeschlossen waren und die, wie man sich sagen ließe, vergeblich auf die manipulative Behandlung im Büro der Expedition warteten. Und wenn er das tat und Schmeißer milde gestimmt war, so sagte dieser: "Lassen Sie bloß erst einmal uns an die Macht kommen!" Dann aber sagte Ulrich: "Sie sind zu gütig gegen mich, denn es stimmt ja gar nicht, was ich behaupte. Fast alle geistigen Menschen haben dieses Vorurteil, daß die praktischen DingeFragen, von denen sie nichts verstehen, einfach sindseienzu lösen wären, aber bei der Durchführung zeigt sich natürlich, daß sie bloß nicht alles bedacht haben. Das kann man nun den Reichtum der Wirklichkeit an Widerständen, man kann es aber auch die Armut des Denkens an VorstellungenWirklichkeit nennen. Bedenkt man anderseits alles, so kommt man bekanntlich nie zum Handeln –"Darum kann man auch das Wesen der Politik wohl ebensogut aus dem ReichtumAnderseits, darin gebe ich Ihnen recht – bedächte der Politiker alles, so käme er nie zum Handeln. Vielleicht hat die Politik darum ebensoviel vom Reichtum der Wirklichkeit wie vomn Armut des Geistes (Mangel an Vorstellungen) –" Das gab Schmeißer Gelegenheit, zu einer frohlockenden UnterbrechungErwiderung Unterbrechung mit den Worten: "Die Menschen wie Sie kommen nicht zum Handeln, weil sie die Wahrheit nicht wollen! Der bürgerliche sogenannte Geist ist in seiner Gänze nur eine feige Verzögerung und Ausrede!" "Warum wollen sieMenschen wie ich aber nicht?" fragte Ulrich. "Sie könnten doch wollen. Reichtum, zum Beispiel, ist ja nichts, was sie wirklich begehren. Ich kenne zwar kaum einen wohlhabenden Mann, der nicht davon eine kleine Schwäche trüge, mich inbegriffen, aber ich kenne auch keinen, der das Geld um seiner selbst willen liebte, außer Geizhälse, und Geiz ist eine Störung des persönlichen Verhaltens, die es auch in der Liebe gibt, in der Macht und in der Ehre: seiner Analyse die krankhafte Natur des Geizes beweist geradezu, daß Geben seliger ist als Nehmen. Glauben Sie übrigens, daß Geben seliger ist alsdenn Nehmen ...?" fragte er. "Diese Frage können Sie in einem schöngeistigen Salon aufwerfen!" gab Schmeißer zur Antwort. "Und ich glaubebefürchte" behauptete Ulrich: "alle Ihre Anstrengungen bleibenwerden zwecklos bleiben, solange Sie nicht wissen, ob Geben oder Nehmen seliger ist oder wie sie sich ergänzen!" Schmeißer höhnte: "Sie beabsichtigen wohl die Menschheit in Güte zu überreden? Übrigens wird das rechte Verhältnis von Geben und Nehmen im Sozialen Staat eine Selbstverständlichkeit sein!" "Dann behaupte ich," ergänzte Ulrich lächelnd seinen Satz "daß alle ihre Anstrengungen auch solangeschon deshalb vergeblich bleiben müssenwerden, alsweil man nebeneinander 'Du Hund! und Mein liebes Hunderl!'

Legende
ABC: Streichung ABC: HinzufügungABC: Textvariante : Abkürzung, BegriffserklärungABC: Autorenkommentar
Datierung
Datierungsabschnitt 7-3: März 1934 - Mitte 1934
Notizen zur Reinschrift: NR 1-15 + dazugehörige Entwürfe H-Zweitfassung [Umfang: 216 Seiten]
Übergeordnete Einheit: Datierungsabschnitt 7: Zwischenfortsetzung Band II, Teil 1
Datierungsmethode: Datierungsabschnitt
Objektbeschreibung
Angaben zum Blatt: Kanzleidoppelblatt cremefarben
Maße: 210x330mm
Typ des Blatts
Entwurfsfragment
Tinte schwarz
Entwurfsfragmente sind für die spätere Produktionsphase des "Mann ohne Eigenschaften" typisch (1933-1942). Es handelt sich um Zeugnisse der Umschreibprozeduren, in der Regel in Form unvollständiger Kapitelentwürfe, die keinen fixen Kapiteltitel und keine fixe Kapitelnummer haben; sie sind stark korrigiert und mit Notizen versehen.
Bezug
Der Mann ohne Eigenschaften
Fortsetzung 1933-1936 | Parallelaktion | Unterhaltungen mit Schmeißer | Stufe 15
Siglen

Signatur: Cod. Ser. n. 15068

29 Blatt, 67 Seiten, 4 Konvolute

Die Mappe enthält Materialien zur Fortsetzung des ›Mann ohne Eigenschaften‹ nach der Teilveröffentlichung des Zweiten Buchs von 1932. Musil konzentrierte diese Fortsetzung in einer Entwurfsfolge mit der ›Sigle H‹ = ›Handschrift‹ (Fortsetzungshandschrift, Zweite Fassung, H 3 = Mappe I/7). Das daraus stammende Konvolut ›H 401-435‹ ist zusammen mit weiteren ersten Entwürfen von 1933 in die Mappe VII/9 gelangt. Eine Neufassung des Manuskripts (H 425-445) von 1934 aber bildet den Schwerpunkt des vorliegenden ›alten blauen Faszikels‹, in den auch das aktuelle Kapitelverzeichnis der Romanfortführung eingelegt wurde. Dazu kommen drei weitere unfertige Kapitelentwürfe von 1933/1934 aus älteren Kapitelprojekten zur Parallelaktions- und Rahmenerzählung, noch in keine endgültige Kapitelsukzession gereiht. Teils liefern die Entwürfe Vorstufen der Druckfahnenkapitel von Ende 1937, teils bleiben sie außerhalb des später angestrebten Erzählkontinuums.

Zitiervorschlag

Robert Musil, Altes blaues Faszikel (a. bl. Fa.) : Mappe I/8, ediert von Walter Fanta, in: Musil Online, hrsg. v. RMI/KLA und ÖNB, Klagenfurt und Wien 2021, Version 0.1, März 2022. URL: https://edition.onb.ac.at/musil/o:mus.sn15068-01-08/methods/sdef:TEI/get?mode=p_52

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