Andreas Okopenko (1930–2010) spielte schon als junger Autor eine wichtige Rolle im Wiener Literaturbetrieb der 1950er Jahre und erwies sich als herausragender Netzwerker der literarischen Avantgarde Österreichs. In seinen Tagebüchern lässt sich der frühe Schreib- und Schaffensprozess anhand von poetologischen Reflexionen und literarischen Textentwürfen nachvollziehen. Die Tagebuchaufzeichnungen enthalten zudem eine Vielzahl an Kommentaren zum österreichischen Literaturbetrieb und zur Zeitgeschichte. Die vorliegende digitale Edition umfasst 29 Tagebücher (1949–1954) aus dem Nachlass, der 2012 vom Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek erworben wurde. Roland Innerhofer, Bernhard Fetz und ihr Team verantworten die digitale Edition.
Zum Teil schönes Wetter.
In der "Welt am Montag" gekürzt mein Artikel.
Kuff. Ehrenhaft. Ebert.
Nachmittag wieder am Stickstoff gearbeitet. Zuber kam in die Halbmikro-Gemeinschaft. /Die HMG ist das modernste Zimmer am Institut, alles Holz blau durchscheinend lackiert, alles Metall aluminiumgrau. Auch die Lampenschirme über den Analysenwaagen blau aus Glas. Klosterstiller Raum. Kein Fremder hat Zutritt, wir werden einsamgezüchtet./
N abgegeben. Diesmal zu hoch. Doch war ich über die Grenzen recht froh.
Angenehmer Abend.
Ich werde vorläufig nicht fest angestellt, bekomme aber nunmehr ein Gehalt von S 700.--. Viel Arbeit im Büro, in der Mittagspause Artikel reingeschrieben. Warmer Tag.
NW. Artikel wahrscheinlich angenommen noch fürs Maiheft. Nur wenige da: Al, Wie, Pol, Ke ,Eb, Wei.
Pol und Ke pflanzten mich wegen letzten Dienstags mit Altmann. Sie kennen noch nicht meine Stellungnahme.
Lauter dumme Begegnungen früh. Das Wetter hellte sich gegen Vormittag wieder auf.
Morgen fliegt Dr. L. nach Argentinien.
Briggi, die ich nicht getroffen hatte, rief während meiner Abwesenheit an.
Abends über den Ring, wo eine Demonstration der Bauarbeiter stattfand, in die Kärntnerstraße. Fotoaufnahmen im Art Club. Wenig sympathischer Abend mit Artmann, Schmied, Trr (der ungesund fanatisch ist), Williams (in häßlicher Aufmachung); auch Esther war anwesend.
Mit Kein heimgegangen, das war das Anregendste vom Abend. Das Wetter war kühl.
Keine Post daheim.
Ich weiß nicht, warum Brigitte Kahr mir nicht schreibt.
Ich muss doch festhalten, dass das Meinl-Plakat gut ist: Gegen hellblauen Grund der bekannte Mohrenkopf, vereinfacht als Kaffeebohne und Flüssigkeitspiegel, mit dem roten Fez, dem Einschnitt der Kaffeebohne als weiss lachendem Mund, in weisser leichter Tasse; darüber nur die Worte "ich bin's".
Schaute unterwegs Frauen an: mir fiel der Unterschied ein zwischen dem Eindruck, den sie auf Knaben machen mögen, und dem Leben, das sie wirklich führen.
Spaziergang Samstag durch Wels
Lernte dabei wieder das Gefühl der Kinder kennen, wenn der Rummelplatz oder die bunten Straßen der Stadt zu Ende sind.
Ergebnisse unseres Denkens, das von Leidenschaft getrieben wurde, lieben wir, auch wenn sie schlecht formuliert sind.
Das Bunte, das Vielartige reizt so dazu, die Welt zu lieben. Wie herzlich ninmmt uns ein Provinzstädtchen in seine Gassen und seine Hauptstraße auf. Auch alle Eitelkeit der Stadt, die hier wiederkehrt, empfängt man gelindert, wenn man so romantisch an ihr vorbeigeht. Es ist, zugegeben, nur ein Rausch; wir müßten diese Welt mit unseren Beziehungen erfüllen - anstatt mit unserer Einsamkeit und unserer Sehnsucht.
So träume ich schon seit der Kindheit:
Durch Straßen gehen, immer abends, wenn die Geschäfte schon alle geschlossen sind; aber die Auslagen sind noch offen und beleuchtet; oft scheint es, als ob ich auch zu dieser ungewohnten Zeit noch einkaufen könnte, denn ich suche hartnäckig in den Auslagen, und ich zentriere auf dieses Suchen mein ganzes Erlebnis der Stadt.
Einen freien Tag "haben", die Stadt "haben", in Kindheit, Traum und Wirklichkeit von unlöschbarem Reiz für mich. Diese Verlockung durch Möglichkeiten. Wie verwandt jenem Ausblick auf die ganze Erotik, wenn man ein geliebtes Mädchen, Zeit und ein großes Bett "hat".
Gestern Abend kniete ich wieder auf der Marmorplatte, mehrere Stunden lang, bis in die vollkommene Dunkelheit. Geriet sehr bald in hohe Stimmung. Das kann man am trübsten Tag, Regentag, machen.
Zum Schlafen drehte ich mir noch die Fenster so, daß ich die Spiegelungen zweier vis-à-vis-Fenster darin hatte.
Wenn ich an diese Möglichkeiten zurückdenke:
Die Leute, die man auf der Baumgartner Höhe spazieren sah und hörte, die Betrunkenen, die an unseren Fenstern vorbeigröhlten, die Hunde in der Nacht, die Autos, Motorräder (schon von weitem), die Fahrräder, die die Straße nur leise schabten, die ruhige Eisenbahn in Hütteldorf, der leichte Nachtwind mit verschiedenen Gerüchen aus den Bäumen, Parks und Wiesen der Jahreszeiten und gelegentlich von einer lockenden oder nachdenklich stimmenden Frau:
Das wird mir im Sommer und im Herbst sehr abgehen. Um wie viel mehr ist man in einer Hofwohung einsam.
Schaute heute einem Stück Fußballspiel zu, Tennisspielern im Volksgarten (ein zehnjähriges rastloses gelenkiges braunes Mädchen warf den Spielern immer wieder die Bälle zu; ein wenig belustigend wirken wohlbeleibte Damen und Herren, die diesen Sport betreiben, um abzumagern); stellte mich wie ein Kalafatti inmitten der Schießbuden voller Papierblumen, der Schaukeln und Karusselle auf, der harmlosen Welser Schlürferln, Gassenbuben und Jungherrchen, Katzerln, Schulmädchen und jungen Frauen. Der schlechte Grammophon erhöhte die Rummelstimmung, und Glieder und Kleider flogen und schaukelten durch die Luft. Die Mädchen lachten schreiend, und die unsichtbare Sängerin klagte dazu viele Strophen lang aus üppiger Kehle "Johnny is the boy for me - e -!"
Den Tiergarten gesehen: zwei Waschbären, die in der Kälte einander umklammernd schliefen. Sie gähnten sehr menschenähnlich, wenn sie für kurz aufwachten. Eine ganze Menge gelber Frettchen, die einander bissen.
Viele Vögel, Wasservögel und Papageien, Fasane in unwahrscheinlicher Aufmachung.
Lang dort geblieben. Aufdem Rückweg wieder Rummelplatz. Ein Negerbub, wahrscheinlich ein junger Amerikaner, lief in und vor der Schießbude herum. Ein ganz ansehn- licher Schlurf mit glänzendem erfolgversprechendem Gesicht tat sich gütlich an einem Mädchen, die alte Gesichtszüge und eine große schwarze Warze zwischen Nase und Oberlippe trug aber ihr Gesicht ganz rot eingerieben und ihre Augen blau hergerichtet hatte.
Nachdem ich längere Zeit schaukelnden Erwachsenen zugeschaut hatte, ging ich wieder zum Tennisplatz. Danach in die belebteste Stadt. Auf Umwegen heim.
Wilder Tag. Im Büro übermütig. Bekam Adresse, Namen usw. der 15-jährigen Sortiererin mitgeteilt. Abends streifte ich in ihrer Gegend herum (eine Stunde von Pernau entfernt), fragte nach ihr und fiel dabei ihren Eltern in die Hände.
Unruhige Nacht; Mittwoch früh fieberkrank aus Wels geflohen. (Einen Tag vor dem Ende meiner dortigen Dienstzeit.)
Wunderschönes Wetter auf der Reise. Zu Mittag in Wien. Mama war gerade beim Zahnarzt. Freute mich sehr am Zuhausesein.
Vormittags übergab mir Riedling seine Arbeit, die ich im Mai, während er nach Wels fährt, leisten muß. Hatte so starkes Fieber, daß ich zeitweise seine Worte nicht hörte. Durfte mittags heim. Vorher war ich bei Tante in der Öpex, das Gehalt holen, das sie jetzt immer für mich behebt. Die Fahrt in die Stadt und die sehr freundliche Aufnahme in der Öpex erfrischten mich.
Zuhause angenehm gefühlt, trotz immer noch 37,6°. Machten die wichtigsten Geldordnungen.
Bier, schöne Gespräche, Radio.
Mit Fieber zuhause geblieben. Tagebuch, Möcki-Abend zusammengestellt.
Vormittags spaziert. Nachmittags ein paar Reinschriften, Tante kam. Wieder Fieber, gut ausgeruht.
Vm. Kurzgeschichte fertig im Bett.
Nm. Spaziergang Park, Bett (angenehm). 37,5°
Büro.
Abends mit Hanns v. Winter im Restaurant. Höchst anregender Abend und für mich vielversprechend, (Kurt Desch-Verlag.)
Dr. Winter ist eine sehr interessante und angenehme Person.
Schwere Arbeit im Büro.
In der neuen Arbeit mich schon eingewöhnt.
Regen.
Im Regen 19h nach Margareten zum Möckiabend. Traf auch Kein dort, machte mit Möcki und Kein Zusammentreffen ab. Ungünstiger Eindruck von Jeannie Ebners literarischer Erscheinung. Wawra las gut.
Vom Büro trotz der Mehrarbeit zeitig genug heimgekommen.
Stelle jetzt eine Auswahl aus meinen Betrachtungen und Aphorismen für die "Neuen Wege" zusammen.
Gelbe leichte Sommerschuhe um 167.- für mich gekauft.
Nachmittags dann meine Zeitschriften und Korrespondenzen abgelegt. Sonst ausgeruht, mit Mama für die Einrichtung geplant und gut gegessen.
Im Bett die Aphorismen fertig zusammengestellt. Große Lust, meine Philosophie mappen in gültige Form zu bringen.
Arbeiten im Haus, Tagebuch. Die Geschichte "Vom Leben mit Elsie" könnte ich zum Anfang eines frechen Romanes machen.
Abends versäumte ich, ins Kino zur "Verbotenen Frucht" zu gehen, und stellte statt dem ein paar Kleinigkeiten in der frühesten Phil.-Mappe zusammen. Der Film dürfte nicht sehr gut sein, wie Mama erzählte, die ihn gesehen hatte. Der Gas- und Stromkassier war da; wir hatten in den Wintermonaten weniger Strom verbraucht als wir gedacht hatten.
Angenehmer Abend.
Frühjahr.
Herrlicher Frühlingsmorgen. Schon ohne Mantel gegangen.
War gestern Abend bei Möcki. Heute unendlich blauer Himmel, alles was im April und Mai blühen soll blüht endlich, Flieder, Obstbäume; die ersehnte Jahreszeit. Manchmal fühlt man sie tief schmerzend +) um es sachlich zu erklären: wie eine Verpflichtung, der man nicht nachkommen kann,, manchmal lösen sich alle eigenen Verwirrungen in ihr, so daß man (wenn auch weitgehend selbstvergessen) glücklich sein kann.