aufzuweisen hatten, beeilten sich auch die Deutschen, Hochverräter zu werden. Damit war der hoffnungsvolle Zustand gegeben, daß sich beide Parteien in der Wichtigkeit Erkenntnis der Wichtigkeit hätten vereinen können, die dem Hochverrat in einem Staatswesen zukommt. Aber statt dessen beeilten sie sich, unter dem Gebilde Staat
Es kann also gar keine Rede davon sein, daß die Deutschen als Nation etwas wollten, ebensowenig wie die vernünftigen Tschechen heute, nach Umkehrung der Verhältnisse, den Deutschen etwas Übles wollen, obgleich sie es ihnen antun. Tatsache war es jedenfalls, daß die Tschechen damals ihre Forderungen aufstellten, u. die Deutschen ihre Belange, u. daß sie einander nicht nur mit allen Mitteln der Kabale, sondern auch mit Steinen u. Knütteln bekämpften. Die Erscheinung, daß man sich über das am meisten aufrege, was einen am wenigsten angeht, ist bekanntDas Bedürfnis, erregt u. eindeutig zu sein, ergreift gleich eine solche gewöhnlich ja versagte Gelegenheit. Eine solche nationale Leidenschaft nennt man Balkanisierung, u sie ist mit der Blutrache verwandt. Was aber Blutrache ist, erkennt man ausgezeichnet, wenn man sich vorstellt, daß man einen Mann, zuan dem man gute Geschäftsverbindungen unterhält geschäftlich verdient, erdolchen müßte, weil ein Tunichtgut, mit dem man verwandt ist, von einem Tunichtgut, mit dem er verwandt ist, beleidigt worden ist. Das wäre ja zum Lachen, u soBlutrache kommt Blutrache nur von dem Mangel an Geschäftsverbindungen, u. nationaler Geist aber ebenfalls. Den Mangel natürlicher Beziehungen vertreten augenblicklich Ideengespenster, von deren vampyrhaftem Herumfliegen in der heutigen Luft ja schon oftmals die Rede war.
Man fasse diese Bemerkungen nicht als gegen das nationale Fühlen gerichtet auf Blge 2. - Ungefähr so. Und welche Grausamkeit in der Unvernunft, zu der wir verurteilt sind. Wenn also etwas geschehen soll, dann ist nicht weniger als Systematik des Zusammenlebens überhaupt.
Der Nations-Diskurs im ›Mann ohne Eigenschaften‹ findet seinen Ausdruck in den Gedanken Graf Leinsdorfs in Kapitel 107 des Ersten Buchs: "Es war dort an Stelle der Geschichte Kakaniens die der Nation getreten, an der man dichtete, und man bearbeitete sie ganz in jenem europäischen Geschmack, der sich an historischen Romanen und Kostümdramen erbaut."
ist ein Apparat)aufzuweisen hatten, beeilten sich auch die Deutschen, Hochverräter zu werden. Damit war der hoffnungsvolle Zustand gegeben, daß sich beide Parteien in der Wichtigkeit Erkenntnis der Wichtigkeit hätten vereinen können, die dem Hochverrat in einem Staatswesen zukommt. Aber statt dessen beeilten sie sich, unter dem Gebilde Staat
Es kann also gar keine Rede davon sein, daß die Deutschen als Nation etwas wollten, ebensowenig wie die vernünftigen Tschechen heute, nach Umkehrung der Verhältnisse, den Deutschen etwas Übles wollen, obgleich sie es ihnen antun. Tatsache war es jedenfalls, daß die Tschechen damals ihre Forderungen aufstellten, u. die Deutschen ihre Belange, u. daß sie einander nicht nur mit allen Mitteln der Kabale, sondern auch mit Steinen u. Knütteln bekämpften. Die Erscheinung, daß man sich über das am meisten aufrege, was einen am wenigsten angeht, ist bekanntDas Bedürfnis, erregt u. eindeutig zu sein, ergreift gleich eine solche gewöhnlich ja versagte Gelegenheit. Eine solche nationale Leidenschaft nennt man Balkanisierung, u sie ist mit der Blutrache verwandt. Was aber Blutrache ist, erkennt man ausgezeichnet, wenn man sich vorstellt, daß man einen Mann, zuan dem man gute Geschäftsverbindungen unterhält geschäftlich verdient, erdolchen müßte, weil ein Tunichtgut, mit dem man verwandt ist, von einem Tunichtgut, mit dem er verwandt ist, beleidigt worden ist. Das wäre ja zum Lachen, u soBlutrache kommt Blutrache nur von dem Mangel an Geschäftsverbindungen, u. nationaler Geist aber ebenfalls. Den Mangel natürlicher Beziehungen vertreten augenblicklich Ideengespenster, von deren vampyrhaftem Herumfliegen in der heutigen Luft ja schon oftmals die Rede war.
Man fasse diese Bemerkungen nicht als gegen das nationale Fühlen gerichtet auf Blge 2. - Ungefähr so. Und welche Grausamkeit in der Unvernunft, zu der wir verurteilt sind. Wenn also etwas geschehen soll, dann ist nicht weniger als Systematik des Zusammenlebens überhaupt.
Der Nations-Diskurs im ›Mann ohne Eigenschaften‹ findet seinen Ausdruck in den Gedanken Graf Leinsdorfs in Kapitel 107 des Ersten Buchs: "Es war dort an Stelle der Geschichte Kakaniens die der Nation getreten, an der man dichtete, und man bearbeitete sie ganz in jenem europäischen Geschmack, der sich an historischen Romanen und Kostümdramen erbaut."
ist ein Apparat)Signatur: Cod. Ser. n. 15097
6 Konvolute; 11 Blätter; 116 beschriebene Seiten
VII/1 vereinigt zwei Mappen. Die ursprünglich erste setzt sich aus den kleineren Konvoluten »Parallelaktion« (Seite 1-23) und »Sektionsschef Tuzzi« (Seite 25-37) sowie dem größeren Konvolut »Graf Leinsdorf« (Seite 38-130) zusammen; sie besteht aus in Summe 130 Manuskripten, die in der zusammengeführten Mappe oben liegen. Darunter befindet sich das »Konvolut General«, die Seiten 131-206 der Mappe. Die Materialien dokumentieren die Entstehung des ersten Bands des Mann ohne Eigenschaften, den Romanteil Seinesgleichen geschieht, mit Konzentration auf das Kapitel 38 der Fassung von 1927 mit dem Thema Rittmeister Horn und Ordnung, der Vorstufe späterer General-Stumm-Kapitel. Geschrieben wurden die Manuskripte überwiegend bis zum Jahr 1927, zurückreichend bis 1921. Sie sind den für diese Arbeitsperioden relevanten Siglenreihen B, L, Af und Ü entnommen. Ergänzungen erfolgten zunächst noch bis 1930, bis in die Zeit der Reinschrift des ersten Bands. Die Sammlung von Zeitungsausschnitten in der Mitte der Mappe (Seite 100-110) vervollständigte und benutzte Musil noch 1931, als er er am ersten Teil des zweiten Bands schrieb. Für die spätere Arbeit an der Bandfortsetzung spielte die Mappe keine Rolle mehr, was auch für einige weitere Mappen aus der Mappengruppe VII gilt.
Robert Musil, Parallelaktion, Leinsdorf, Tuzzi, General : Mappe VII/1, ediert von Walter Fanta, in: Musil Online, hrsg. v. RMI/KLA und ÖNB, Klagenfurt und Wien 2021, Version 0.1, März 2022. URL: https://edition.onb.ac.at/musil/o:mus.sn15097-07-01/methods/sdef:TEI/get?mode=p_58
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