Biermaul über diese Jahre
hinaus ist, hatsind die Kämpfe zw. Realschule u Gymn. vergessen, die anderen aber
haben sich das zu der Vorstellung verfestigt, daß der Tscheche
Pöbel istetwas Pöbelhaftes an sich hat u. der Deutsche
die Kulturmacht ausüben müsse./.. daß dem D. die Rolle des durch
höh. Kulturmacht Herrschenden ../ Diese Vorstellung hat
vorläufig noch gar nichts mit blonden Haaren oder blauen Edelaugen zu tun, wenn
das weitere später auch hinzukommt; sie ist vorläufig nichts als der Ausdruckdie Feststellung der Tatsache, daß es
viele tschechische Jungen gibt, die bloßfüßig u. zerlumpt sind, roher sind als die
deutschen Jungen gern sein möchten, u. ausgezeichnet mit Steinen werfen. Auch die
Dienstmädchen sind meist Böhminen, wie man das nennt, u. alle kleinen Leute, die
man da u dann zu kleinen Diensten braucht, sind Böhmen. Das sind so die
Familieneindrücke B's. Biermaul
, mit
denen er in die Politik eintritt. Seine Jugendfreunde heißen Navratil und
Prschihoda, aber da ihre Väter deutsche Beamte sind u. sie selbst kein Wort
des Tschechischen verstehn, hält er sie mit Recht für ebenso deutsch
wie sich.
2. Die Erklärung dafür ist sehr einfach. Geschichte, Kern, Reichtum, Mehrheit dieser Stadt u. der ganze ihr eingelagerte BeamtenStaatsapparat sindwaren seit Geschlechtern deutsch. Jeden Morgen holten jedochaber die Sirenen der Fabriken aus den Dörfern der Umgebung Scharen von tschechischen Arbeitern herein, u. verstreunten sie zwar abends wieder über das Land, aber mit den Jahrzehnten blieben davon (doch) immer mehr in der Stadt zurück u. machten von unten her das schon vorhandene slawische Kleinbürgertum kräftig nach oben wachsen. Wenn man sagen dürfte, zwei Sprachen nicht zu sprechen, sei schon ein gewisses Maß von Kultur, so entwickelte sich je nun eine gewisse österr. Kultur, denn die kleinen Leute dieser Stadt sprachen weder tschechisch, noch deutsch, sondern ein selbsterfundenes bescheiden selbsterfundenesanheimelndes Gemisch aus deren Teilen.
Man stand in KknienAbkürzung im Nachlass: Kknien | Kknier | kk; Bezeichnung für die österreichisch-ungarische Monarchie im ›Mann ohne Eigenschaften‹ [siehe Kapitel I/8]
damals immer noch auf dem Standpunkt, daß es nicht gut sei, wenn die einfachen Leute zuviel lernen. Man legte ja auch nicht zuviel Wert darauf, daß es ihnen wirtschaftlich gut gehe. Steckt etwas Tüchtiges in einem Menschen, so ringt es sich schon durch, u. Widerstände verstärken die K sind geeignet, einen Mann zu stärken erziehen. Es war ein Stück altösterreichischeralter Überlieferung, den Menschen nur mit Bedacht das Vorwärtskommen zu erleichtern, wenn sie nicht schon aus Kreisen stammten, zu deren Rechten es gehörte. Es gab mehrere wohlhabende Männer in KknienAbkürzung im Nachlass: Kknien | Kknier | kk; Bezeichnung für die österreichisch-ungarische Monarchie im ›Mann ohne Eigenschaften‹ [siehe Kapitel I/8]
u. einige hohe Staatsbeamte, welche die Richtigkeit dieses Grundsatzes bewiesen; außerdem hatten es mehrere Söhne von Feldwebeln zu ObstltBiermaul über diese Jahre
hinaus ist, hatsind die Kämpfe zw. Realschule u Gymn. vergessen, die anderen aber
haben sich das zu der Vorstellung verfestigt, daß der Tscheche
Pöbel istetwas Pöbelhaftes an sich hat u. der Deutsche
die Kulturmacht ausüben müsse./.. daß dem D. die Rolle des durch
höh. Kulturmacht Herrschenden ../ Diese Vorstellung hat
vorläufig noch gar nichts mit blonden Haaren oder blauen Edelaugen zu tun, wenn
das weitere später auch hinzukommt; sie ist vorläufig nichts als der Ausdruckdie Feststellung der Tatsache, daß es
viele tschechische Jungen gibt, die bloßfüßig u. zerlumpt sind, roher sind als die
deutschen Jungen gern sein möchten, u. ausgezeichnet mit Steinen werfen. Auch die
Dienstmädchen sind meist Böhminen, wie man das nennt, u. alle kleinen Leute, die
man da u dann zu kleinen Diensten braucht, sind Böhmen. Das sind so die
Familieneindrücke B's. Biermaul
, mit
denen er in die Politik eintritt. Seine Jugendfreunde heißen Navratil und
Prschihoda, aber da ihre Väter deutsche Beamte sind u. sie selbst kein Wort
des Tschechischen verstehn, hält er sie mit Recht für ebenso deutsch
wie sich.
2. Die Erklärung dafür ist sehr einfach. Geschichte, Kern, Reichtum, Mehrheit dieser Stadt u. der ganze ihr eingelagerte BeamtenStaatsapparat sindwaren seit Geschlechtern deutsch. Jeden Morgen holten jedochaber die Sirenen der Fabriken aus den Dörfern der Umgebung Scharen von tschechischen Arbeitern herein, u. verstreunten sie zwar abends wieder über das Land, aber mit den Jahrzehnten blieben davon (doch) immer mehr in der Stadt zurück u. machten von unten her das schon vorhandene slawische Kleinbürgertum kräftig nach oben wachsen. Wenn man sagen dürfte, zwei Sprachen nicht zu sprechen, sei schon ein gewisses Maß von Kultur, so entwickelte sich je nun eine gewisse österr. Kultur, denn die kleinen Leute dieser Stadt sprachen weder tschechisch, noch deutsch, sondern ein selbsterfundenes bescheiden selbsterfundenesanheimelndes Gemisch aus deren Teilen.
Man stand in KknienAbkürzung im Nachlass: Kknien | Kknier | kk; Bezeichnung für die österreichisch-ungarische Monarchie im ›Mann ohne Eigenschaften‹ [siehe Kapitel I/8]
damals immer noch auf dem Standpunkt, daß es nicht gut sei, wenn die einfachen Leute zuviel lernen. Man legte ja auch nicht zuviel Wert darauf, daß es ihnen wirtschaftlich gut gehe. Steckt etwas Tüchtiges in einem Menschen, so ringt es sich schon durch, u. Widerstände verstärken die K sind geeignet, einen Mann zu stärken erziehen. Es war ein Stück altösterreichischeralter Überlieferung, den Menschen nur mit Bedacht das Vorwärtskommen zu erleichtern, wenn sie nicht schon aus Kreisen stammten, zu deren Rechten es gehörte. Es gab mehrere wohlhabende Männer in KknienAbkürzung im Nachlass: Kknien | Kknier | kk; Bezeichnung für die österreichisch-ungarische Monarchie im ›Mann ohne Eigenschaften‹ [siehe Kapitel I/8]
u. einige hohe Staatsbeamte, welche die Richtigkeit dieses Grundsatzes bewiesen; außerdem hatten es mehrere Söhne von Feldwebeln zu ObstltSignatur: Cod. Ser. n. 15097
6 Konvolute; 11 Blätter; 116 beschriebene Seiten
VII/1 vereinigt zwei Mappen. Die ursprünglich erste setzt sich aus den kleineren Konvoluten »Parallelaktion« (Seite 1-23) und »Sektionsschef Tuzzi« (Seite 25-37) sowie dem größeren Konvolut »Graf Leinsdorf« (Seite 38-130) zusammen; sie besteht aus in Summe 130 Manuskripten, die in der zusammengeführten Mappe oben liegen. Darunter befindet sich das »Konvolut General«, die Seiten 131-206 der Mappe. Die Materialien dokumentieren die Entstehung des ersten Bands des Mann ohne Eigenschaften, den Romanteil Seinesgleichen geschieht, mit Konzentration auf das Kapitel 38 der Fassung von 1927 mit dem Thema Rittmeister Horn und Ordnung, der Vorstufe späterer General-Stumm-Kapitel. Geschrieben wurden die Manuskripte überwiegend bis zum Jahr 1927, zurückreichend bis 1921. Sie sind den für diese Arbeitsperioden relevanten Siglenreihen B, L, Af und Ü entnommen. Ergänzungen erfolgten zunächst noch bis 1930, bis in die Zeit der Reinschrift des ersten Bands. Die Sammlung von Zeitungsausschnitten in der Mitte der Mappe (Seite 100-110) vervollständigte und benutzte Musil noch 1931, als er er am ersten Teil des zweiten Bands schrieb. Für die spätere Arbeit an der Bandfortsetzung spielte die Mappe keine Rolle mehr, was auch für einige weitere Mappen aus der Mappengruppe VII gilt.
Robert Musil, Parallelaktion, Leinsdorf, Tuzzi, General : Mappe VII/1, ediert von Walter Fanta, in: Musil Online, hrsg. v. RMI/KLA und ÖNB, Klagenfurt und Wien 2021, Version 0.1, März 2022. URL: https://edition.onb.ac.at/musil/o:mus.sn15097-07-01/methods/sdef:TEI/get?mode=p_60
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