Zu Beginn des Aufzeichnungszeitraums von Notizbuch 12.02.1979-24.04.1979 (NB 019) hielt sich Peter Handke in der Steiermark und in Wien auf, von wo er Mitte Februar nach Frankfurt flog, um mit Siegfried Unseld das Manuskript seiner Langsame Heimkehr zu besprechen, die im September desselben Jahres erschien. NB 019 begleitet in den Notizen zwei intensive Überarbeitungsphasen. Dabei wohnte Handke im Februar und Anfang März bei dem befreundeten Ehepaar Greinert in Neuilly bei Paris, am 10. März reiste er mit seiner Tochter Amina über Belgien und die Niederlande nach Berlin, wo sie bis Ende März bei seiner Frau Libgart Schwarz gewohnt haben dürften. Nach kürzeren Aufenthalten in Salzburg und St. Moritz reiste Handke mit Amina erneut nach Frankfurt, um behördliche Angelegenheiten zu regeln, und flog nach einem kurzen Halt in München zurück nach Berlin.
Material
Das Notizbuch (Format 15,3 x 9,7 cm) befindet sich im Original am Deutschen Literaturarchiv Marbach und in Kopie in der Sammlung Peter Handke/Leihgabe Widrich am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek Wien. Auf der Vorderseite des schwarzen, stabilen Kartonumschlags mit geribbelter Oberfläche klebt ein Papierstreifen mit eh. Datierung ("12. Febr. 79 – 24. Apr. 79"). Das Notizbuch mit Fadenheftung hat einen Umfang von 118 linierten und eh. paginierten Seiten; das letzte Blatt wurde herausgetrennt, auf dem Rest der nicht zur Gänze entfernten Seite hat Handke noch etwas notiert (ES. 123). Auf dem vorderen Vorsatz vermerkte er das Anfangsdatum des Entstehungszeitraums, Entwürfe zu Kapiteltiteln von Langsame Heimkehr, ein altgriechisches Zitat und Namen von besuchten Orten; als Kontaktadresse ist die Berliner Adresse von Libgart Schwarz angegeben. Das hintere Vorsatz nutzte Handke für Notizen (ES. 123) und notierte diverse Namen, Adressen und Telefonnummern, darunter eine Pariser Adresse von Franz Innerhofer (ES. 125) sowie eine Reihe von Zeitangaben (wahrscheinlich Abfahrts- bzw. Ankunftszeiten öffentlicher Verkehrsmittel).
Aufenthaltsorte
Zu Beginn des Aufzeichnungszeitraums von NB 019 hielt sich Peter Handke in Wien auf. Er war am 10. Februar dort angekommen, nachdem er das Ehepaar Greinert in Neubruck in NÖ besucht hatte (vgl. NB 018). Handke ging ins Kunsthistorische Museum und das Belvedere; an Hanne und Hermann Lenz schickte er am 13. Februar eine Postkarte aus Wien, die Ferdinand Georg Waldmüllers "Die große Praterlandschaft" (1894) zeigt (Handke / Lenz 2006, S. 132).
Am 15. Februar dürfte er sich in Graz aufgehalten haben (vgl. ES. 17), am 16. Februar war er bei Alfred Kolleritsch und dessen Mutter in Brunnsee (ES. 19ff., vgl. Handke / Kolleritsch 2008, S. 119, wo Handke in einem Brief vom 5. April auf den vergangenen Aufenthalt eingeht: "Wenn ich mir übrigens in Brunnsee was notiert habe, hatte das nie mit dir zu tun; es hat mich immer noch in der Tagträumerei die Geschichte getrieben. – Und leicht gemütskrank war ich (und bin ich) halt auch. Und es war ja mit dir und deiner Mutter sehr schön (und auch mit der Nachbarin und dem schönen Wirt)."). Am 17. Februar reiste er mit dem Zug zurück nach Wien und von dort weiter nach Frankfurt (ES. 23), wo er Siegfried Unseld traf und mit ihm über dessen ersten Lektüreeindruck des Manuskripts "Das Raumverbot" sprach, aus dem später Langsame Heimkehr wurde (vgl. Handke / Unseld 2012, S. 357ff.). Spätestens am 20. Februar dürfte Handke zurück in Paris gewesen sein, wo er in Neuilly bei Hildegard und Walter Greinert wohnte (ES. 24). Wahrscheinlich besuchte Handke am 21. Februar den Louvre (ES. 24); er arbeitete außerdem noch intensiv am Manuskript seiner Erzählung, berücksichtigte auch die in Frankfurt mit Unseld besprochenen Änderungen, wie er am 22. Februar an ihn schrieb; er wolle es ihm gleich schicken, "weil es mich so quält" (Handke / Unseld 2012, S. 356).
Am 24. Februar besuchte er wieder den Louvre, jedenfalls deuten die im Notizbuch unter diesem Datum enthaltenen Bildbeschreibungen darauf hin. Am 2. März kündigte er Nicolas Born aus Neuilly an, er werde wohl ab dem 10. März in Berlin sein (Born / Handke 2005, S. 301) – unter diesem Datum notierte Handke: "Letzter Morgen in Neuilly" (ES. 49), am selben Tag brach er mit Amina nach Berlin auf. Die beiden reisten über Machelen in Belgien nach Rotterdam und Den Haag, wo sie übernachteten; am 11. März fuhren sie weiter nach Amsterdam, wo Handke das Rijksmuseum besuchte (ES. 52f.). Am 12. März hielten sie sich vermutlich noch einmal in Den Haag auf – jedenfalls wird an diesem Tag die Gemäldegalerie Mauritshuis erwähnt. Am selben Tag erreichten sie Köln (ES. 58), wo sie das Walraff-Richartz-Museum besuchten (ES. 60f.). Am 13. März kamen sie in Berlin an (vgl. Handke / Unseld 2012, S. 361, Anm. 2). Handke wohnte gemeinsam mit seiner Tochter Amina bei deren Mutter Libgart Schwarz in der Ansbacherstraße 63 (vgl. Handke / Lenz 2006, S. 341, Anm. 1 zur Postkarte Handkes an Lenz vom 29. März 1979) . Auch in Berlin ging Handke ins Museum (Gemäldegalerie, ES. 63f.) und flanierte oft durch die Stadt, erwähnt werden viele Straßennamen, Plätze und Kirchen. Handke blieb bis zum 30. März in Berlin; an diesem Tag flog er mit Amina nach München (ES. 89), und fuhr von dort noch am selben Tag weiter nach Salzburg, wo die beiden im Hotel Österreichischer Hof wohnten (vgl. Handke/Kolleritsch 2008, S. 118). Handke erkundete wohl mit seiner Tochter die Stadt (vgl. ES. 89-99), in der sie beide bald leben würden (Handke zog im August 1979 in eine Wohnung in Gerheid und Hans Widrichs Haus am Mönchsberg 17A, Amina besuchte in Salzburg das Gymnasium). Am 6. April reisten sie weiter nach München. Spätestens am 9. April dürften Handke und Amina in St. Moritz gewesen sein, wo sie einige Tage verbrachten (ES. 103-112), wahrscheinlich mit Hubert Burda. Siegfried Unseld vermerkte in seiner Chronik, Handke sei am 16. April mit seiner Tochter nach Frankfurt gekommen: "Er war in St. Moritz und flog im Privatflugzeug von Burda-Offenburg." (Handke / Unseld 2012, S. 364). Am Vormittag des 17. April habe eine Besprechung im Verlag stattgefunden, am Nachmittag habe Handke dann "in Kronberg und Bad Homburg seine Aufenthaltsbewilligung für die Bundesrepublik" geregelt (ebd.). Am 18. April fuhr er weiter nach München, wo er Hermann Lenz traf (ES. 114f.). Am 21. April flog Handke schließlich zurück nach Berlin (ES. 119f.).
Themen
In den Aufzeichnungszeitraum von NB 019 fielen zwei Überarbeitungsphasen von Handkes Erzählung Langsame Heimkehr (deren Titel damals noch nicht feststand). Nachdem einer Besprechung mit Siegfried Unseld zwischen 17. und 19. Februar 1979 im Verlag, bei der sie gemeinsam sein Typoskript durchgegangen waren, das er ihm Anfang Februar unter dem Titel "Die Vorzeitformen" geschickt hatte, überarbeitete er den Text zwischen 19. und 22. Februar noch einmal, wie er Unseld am 22. brieflich mitteilte (Handke / Unseld 2012, S. 356): Er habe "sicher hundert kleine Änderungen angebracht", und er glaube, "daß es wirklich Verbesserungen sind" (ebd.). Mitte April erhielt Handke ein erstes Fahnenexemplar; bis Anfang Mai überarbeitete er die Erzählung anhand der Fahnen ein weiteres Mal und schrieb sie in Teilen neu (vgl. Pektor g). Diese intensive Beschäftigung mit dem Text und dessen Überarbeitung spiegelt sich in den Notizen wider. Die überwiegende Mehrzahl der Einträge drehte sich in diesen Wochen um Figuren, Schauplätze und Begebenheiten der Erzählung, für die Handke zum Teil Abkürzungen verwendet (etwa „P.“ für "Paß", „C.S.“ für "Coffee Shop", "K." für "Katatonie" (bezogen auf Sorgers lebensentscheidenden Stunde auf dem Paß); "S." für "Sorger", "E." für Esch“ oder "N." für den bzw. die Nachbarn. Bei vielen Einträgen brachte Handke die Zusätze "streichen" oder "einfügen" an, oftmals mit einem Fragezeichen versehen – vgl.: "'Er wollte nicht nichts sein' streichen?" (ES. 33); "Liftmann: nicht 'blutende Warze' sondern: 'W., aus der Blut sickerte' (?)" (ES. 75); "'Aus dem Helden der Geschichte wurde seiner Mutter Sohn' streichen?" (ES. 82) – und kommentiert die Korrekturentscheidungen teilweise, wie beispielsweise auf ES. 122: "'Zu einer Entscheidung kam es ...': streichen!! (keine Dramatisierungen!)". Abgesehen von solchen Anmerkungen, die explizit seine Erzählung Langsame Heimkehr betreffen, enthält NB 019 viele Bemerkungen allgemeinerer Natur zu Handkes neuer Poetik und Schreibweise, die er mit Langsame Heimkehr etabliert hatte, etwa in der folgenden Notiz gleich am Anfang des Notizbuchs: "Poetisches Schreiben: das Willkürliche und das Unwillkürliche bilden eine Form (deswegen Ideal von Leben)" (ES. 3) oder: "Wildes Denken wird mich auf etwas bringen (brainstorm, soulstorm)" (ES. 64); "[j]a, ich bin etwas wahllos zum Aufschreiben bereit; aber ich warte so auf die Offenbarung" (ES. 116).
Bei seinem Besuch in Frankfurt Mitte April erfährt Handke im Suhrkamp Verlag, dass sein Freund und Schriftstellerkollege Nicolas Born schwer an Lungenkrebs erkrankt ist (vgl. Handke / Unseld 2012, S. 364). Im vorliegenden Notizbuch findet sich darauf noch kein Hinweis, in den folgenden Monaten wird Handke den kranken Freund aber öfter erwähnen (vgl. NB 021).
Lektüren
Handkes Interesse für die Malerei setzt sich in den Aufzeichnungen von NB 019 fort. Mehrmals dürfte er den Louvre in Paris besucht haben; außerdem fährt er am 10. März mit seiner Tochter Amina über Belgien und die Niederlande nach Berlin. In Amsterdam besuchte er das Rijksmuseum, in Den Haag die Gemäldegalerie Mauritshuis und in Köln das Walraff-Richartz-Museum. Schon im Februar während eines Wien-Aufenthaltes hatte Handke das Belvedere besucht, wo eine Reihe von Bildbeschreibungen entstand bzw. einzelne Bilder wenigstens mit Titel erwähnt werden, etwa wenn er notierte: "Amerling, Neugebauer (Bildnis seiner Frau), Danhauser, Franz Eybl; große Selbstgerechtigkeit der österreichischen Gesichter, Ruhe ohne Trauer; die allgemeine Rotwangigkeit (selbst Amerlings 'Mädchen mit Strohhut'); die 'Nachdenklichkeit' wirkt als Passivität, nicht als Sehnsucht; statt Trauer Tristesse ('Theresia Amerling')" (ES. 9). Im Zusammenhang mit seinem Besuch des Kunsthistorischen Museums sei auf Handkes Exemplar von Nancy K. Sandars' The Epic of Gilgamesh verwiesen, das sich heute in der Sammlung Peter Handke/Leihgabe Widrich am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek Wien befindet. Das Buch ist auch im Hinblick auf die Entstehung von Langsame Heimkehr interessant, weil "Handke darin auf der Innenseite des Umschlags bei seinem Besuch des Kunsthistorischen Museums in Wien im Februar 1979 Beobachtungen zu Bildern von Previtali, Bellini, Giorgione, Pordeone, del Piombo, Tizian, Lotto und Memling notierte, die er dabei zum Teil auf Figurendarstellungen in seiner Erzählung übertrug." (Pektor a).
Während seines Österreich-Aufenthaltes las Handke Franz Grillparzers Abhandlung Zur neueren deutschen Literatur und notierte dazu u.a.: "Grillparzer über Goethe gelesen: Gefühl der Erhebung" (ES. 17). Von Goethe zitierte Handke das Märchen und die Novelle sowie die Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter (neben weiteren Werken). Er las Emmanuel Boves Mes Amis und Armand und beschäftigte sich mit dem Koran, aus dem er in seinem Notizbuch einige Suren zitiert; in seiner Chronik berichtete Siegfried Unseld, dass Handke sich nicht für die Revolution in Persien interessiere, er lese aber den Koran (vgl. Handke / Unseld 2012, S. 360). Zitate finden sich in NB 019 außerdem von Ernst Meister und John Keats. Ausführlicher bezieht sich Handke auf Walker Percys Roman The Moviegoer, den er zu dieser Zeit übersetzt (am 22. März schickt er erste Übersetzungsproben an Siegfried Unseld, vgl. Handke / Unseld 2012, S. 363). Die Aufzeichnungen in NB 019 dokumentieren den Beginn einer intensiven Hölderlin-Rezeption: Ab Mitte März liest Handke den Hyperion, wie zahlreiche Notizen belegen (vgl. ES. 63ff.), in weiterer Folge rezipiert er auch dessen Gedichte und Briefe und überträgt viele Stellen in sein Notizbuch.
Schreibprojekte
Auf das vordere Vorsatz von NB 019 notierte Handke mehrere Formulierungen, bei denen es sich möglicherweise um Titel für seine Erzählung Langsame Heimkehr bzw. für eines ihrer Kapitel handelte, wobei er die meisten Varianten wieder durchgestrichen hat ("Der Joker", "'Der Joker' (3. Kapitel von Raumverbot)", "Das Gesetz" oder "Das Zeitalter des Verschweigens" (ES. 2). Zwischen 17. und 19. Februar 1979 hielt er sich in Frankfurt auf, um mit Siegfried Unseld das Manuskript zu besprechen, das er ihm Anfang Februar unter dem Titel "Die Vorzeitformen" geschickt hatte (es handelt sich um Textfassung 2a, vgl. Pektor b). Im Rahmen der Besprechung, "an der wahrscheinlich auch die Lektorin Elisabeth Borchers teilnahm", wurde eine im Verlag angefertigte Kopie des Typoskripts verwendet (Pektor c). In seiner "Chronik" hielt Unseld minutiös Details dieses Treffens fest (vgl. Handke / Unseld, S. 357ff.). Er war mit Handkes Titel "Das Raumverbot" nicht zufrieden und schlug ihm stattdessen "Das Gesetz" vor, die Titelfrage blieb jedoch zunächst ungeklärt. Zurück in Paris, teilte Handke Unseld am 22. Februar brieflich mit, dass er jetzt noch drei Tage lang an dem Typoskript gearbeitet habe (vgl. Handke / Unseld 2012, S. 356). Seine Änderungen und Überarbeitungen trug er in eine neue Fassung des Typoskripts ein (Textfassung 3), bei der es sich vermutlich um eine Kopie der Textfassung 2b handelte, die ihrerseits bereits eine Kopie von 2a gewesen war (vgl. Pektor d), die wiederum die Arbeitsgrundlage für die Besprechung in Frankfurt dargestellt hatte. Im Begleitbrief zur Übersendung des überarbeiteten Typoskripts schrieb Handke am 22. Februar an Unseld: "Von dem Titel 'Das Raumverbot' kann ich mich halt nicht trennen." (Handke / Unseld 2012, S. 357). Am 5. März 1979 kam er abermals auf den Titel zurück: "mir geht seit einigen Tagen ein Titel für die Geschichte im Kopf herum: 'Das Zeitalter des Verschweigens'. Er würde die Zeit nach den Begebnissen bezeichnen, die ich erzähle. [...] Wenn das Buch so hiesse, wäre freilich das Wort 'Erzählung' darunterzusetzen." (Handke / Unseld 2012, S. 362). Wie Pektor ausführt, änderte Elisabeth Borchers vermutlich auf Handkes Anweisung hin den ursprünglichen Titel "Das Raumverbot" am Titelblatt von Textfassung 3 zu "Das Zeitalter des Verschweigens": "Laut Protokoll der Herstellung ging die Satzvorlage am 9. März 1979 an die Setzerei Allgäuer Zeitungs-Verlag (AZV). Es wurde wenige Tage später noch einmal rückgerufen und schließlich am 21. März 1979 erneut der Setzerei der AZV übermittelt. Die Änderung des Titels wurde, da Unseld den Brief Handkes laut Eingangsstempel erst am 12. März 1979 per Post erhalten hatte, demnach erst nach der Rückholung verändert." (Pektor d). Die Titelfrage sollte Handke noch länger beschäftigen.
Auch nachdem er die überarbeitete Fassung seines Manuskripts erneut an Unseld geschickt hatte, hörte Handke nicht auf, sich mit der Erzählung zu beschäftigen. Viele Einträge nach dem 22. Februar beziehen sich auf den Text und stellen Anmerkungen für Ergänzungen, Umstellungen bzw. Änderungen dar. Viele Male bringt Handke nach Notizen den Vermerk "einfügen" an; er kommt immer wieder auf seinen Protagonisten Valentin Sorger (meist mit "S." abgekürzt) zurück, und auch andere Figuren der Erzählung werden erwähnt. Und tatsächlich waren die Arbeiten am Text noch nicht abgeschlossen, obwohl die Druckfahnen am 13. April im Lektorat des Suhrkamp Verlags vorlagen, ein Fahnenexemplar wurde "(evtl. nach einer ersten Verlagskorrektur) an Handke weitergebeben." (Pektor e). Nach dem Korrekturdurchgang durch die Druckfahnen beschloss er, das zweite Kapitel zur Gänze und das dritte Kapitel in Teilen neu zu schreiben: "Das Typoskript der Neuschrift schickte er zusammen mit den korrigierten Fahnen am 9. Mai 1979 an den Verlag. Im Begleitschreiben an Borchers erklärte er: 'Den ersten Teil habe ich kaum mehr angeschaut. Noch einmal intensiv durchgearbeitet habe ich den zweiten Teil, Das Raumverbot. Ich wußte tief, daß da drei schwache Stellen drin waren: der Anfang mit der Ankunft S.s [Sorgers] an der Westküste: vor allem seine Erstarrung; dann der Moment des 'Raumverbots', und schließlich die Rede des Helden an die Nachbarn. Ich habe den gesamten zweiten Teil noch einmal abgeschrieben und die drei Passagen noch einmal tief durchstrahlt. […] Eine vierte Änderung betrifft die vierte Schwachstelle, im 3. Teil, dem Gesetz: jene Passagen, da Sorger sich zum Coffee Shop bewegt und dann das Große Gesetz aufschreibt. Da habe ich zwei Seiten gestrafft – und ich meine, die Geschichte hat jetzt erst als Ganzes das leise Dröhnen. Ich habe also den Text vom 2. Teil bis zum Moment des 'Gesetzes' neu durchgeschrieben, dann wieder in den Fahnen korrigiert.' (Handke / Unseld 2012, S. 365)" (Pektor g).
Wie bereits Notizen in NB 018 deuten auch einige der Einträge in NB 019 auf Handkes poetologischen Essay Die Lehre der Sainte-Victoire (1980) voraus, noch ohne diesen Werkbezug explizit zu machen: Im Kunsthistorischen Museum in Wien sah Handke das Gemälde Der große Wald von Jacob van Ruisdael und notierte dazu: "(als ob man schon aus der ersten Tiefe des Waldes noch einmal zurückschaue) (erinnert an Cézannes Wald bei Fontainebleau)" (ES. 14). Kepplinger-Prinz verweist auf den Konnex zu Die Lehre der Sainte-Victoire: Dort "kehrt dieser Notizbucheintrag wieder in der Formulierung '[...] und der Blick wendet sich, wie es bei einem Wanderer natürlich ist, aus der ersten Waldestiefe noch einmal zurück.' (DLS 120), das entsprechende Kapitel benannte Handke nach dem Gemälde Ruisdaels." (Kepplinger-Prinz). In Paris notierte er bei der Lektüre von Goethes Märchen auf ES. 35 "jene Zeilen, die der Lehre der Sainte-Victoire später als Motto vorangestellt sind: 'Diesen Abend verspreche ich Ihnen ein Märchen, durch das Sie an nichts und an alles erinnert werden.' [...]. Erst wieder anlässlich eines Besuchs in Salzburg (von 30. März bis 6. April 1979) veranlasste ihn der Anblick des Untersbergs am 2. April zu einem Vergleich, der belegt, dass zumindest der Ort seiner späteren Erzählung bereits in Handkes Notizen präsent war: 'Der Untersberg ist ein schöner Berg für immer (Montagne Ste Victoire)' [ES. 93, Anm.]" (Kepplinger-Prinz).
Im Notizbuch selbst finden sich nur einige wenige Erwähnungen von bzw. Zitate aus Walker Percys Roman The Moviegoer. Handke übersetzte den Text jedoch im Entstehungszeitraum bzw. dürfte er eine mehrere Seiten lange 'Probeübersetzung' angefertigt haben, die er am 22. März an Siegfried Unseld schickte (vgl. Handke / Unseld 2012, S. 363, ausführlicher dazu vgl. Pektor g). Es handelt sich um Handkes erste Übersetzung eines anderen Autors und steht somit am Anfang einer intensiven Tätigkeit als Übersetzer. Unter den am Vorsatz genannten Titeln ist außerdem "Die Wiederholung" zu finden (auf ES. 2 und 3) – es ist die erste explizite Nennung dieses Titels, unter dem schließlich 1986 Handkes gleichnamige Erzählung erschien.
Zeichnungen
Das Notizbuch beinhaltet nur wenige Zeichnungen, darunter jene eines Astes sowie einer an einem Ast hängenden Katze (Z02/NB 019 und Z04/NB 019, ES. 92 und 114); die Zeichnungen auf ES. 90 (Z01/NB 019) könnten von Peter Handkes Tochter Amina stammen.
(Anna Estermann und Johanna Eigner)
Literaturverzeichnis
Born / Handke 2005 = Born, Nicolas / Handke, Peter: Die Hand auf dem Brief. Briefwechsel 1974-1979. In: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur. Hg. von Norbert Wehr. Essen: Rigodon, Nr. 65 (2005), S. 3-34.
Handke / Lenz 2006 = Handke, Peter / Lenz, Hermann: Berichterstatter des Tages. Briefwechsel. Hg. und mit einem Nachwort von Helmut Böttiger, Charlotte Brombach und Ulrich Rüdenauer. Mit einem Essay von Peter Hamm. Frankfurt am Main/Leipzig: Insel 2006.
Handke / Unseld 2012 = Handke, Peter / Unseld, Siegfried: Der Briefwechsel. Hg. von Raimund Fellinger und Katharina Pektor. Berlin: Suhrkamp 2012.
Kepplinger-Prinz, Christoph: Das Zeitalter des Verschweigens; Die Wiederholung; Ins tiefe Österreich Notizbuch, 118 Seiten, 12.02.1979 bis 24.04.1979. In: Handkeonline. URL: https://handkeonline.onb.ac.at/node/1697. Online abgerufen 09.05.2024.
Pektor a = Pektor, Katharina: N. K. Sandars (Hg.): The Epic of Gilgamesh. Buch, mit hs. Notizen von Peter Handke, 128 Seiten, ohne Datum [23.02.1979 bis 10.05.1979]. In: Handkeonline. URL: https://handkeonline.onb.ac.at/node/2540. Online abgerufen: 09.05.2024.
Pektor b = Pektor, Katharina: Das Raumverbot (Textfassung 2a). Typoskript 2-zeilig, mit hs. Korrekturen von Peter Handke und hs. Markierungen von Siegfried Unseld, 158 Blatt, ohne Datum [07.01.1979 bis 29.01.1979]. In: Handkeonline. URL: https://handkeonline.onb.ac.at/node/839. Online abgerufen: 09.05.2024.
Pektor c = Pektor, Katharina: Das Raumverbot (Textfassung 2b). Typoskript 2-zeilig, Kopie, mit hs. Korrekturen von Elisabeth Borchers und Siegfried Unseld, 158 Blatt, ohne Datum [02.02.1979 bis 19.02.1979]. In: Handkeonline. URL: https://handkeonline.onb.ac.at/node/842. Online abgerufen: 09.05.2024.
Pektor d = Pektor, Katharina: Das Zeitalter des Verschweigens (Textfassung 3). Typoskript 2-zeilig, Kopie, mit hs. Korrekturen, Überklebungen und originalen Typoskriptblättern, 162 Blatt, ohne Datum [19.02.1979 bis 21.03.1979]. In: Handkeonline. URL: https://handkeonline.onb.ac.at/node/844. Online abgerufen: 09.05.2024.
Pektor e = Pektor, Katharina: Langsame Heimkehr. Erzählung. Druckfahnen, mit hs. Korrekturen von Peter Handke, Elisabeth Borchers und vom Verlagskorrektorat, 132 Blatt, ohne Datum [12.04.1979 bis 14.05.1979]. In: Handkeonline. URL: https://handkeonline.onb.ac.at/node/847. Online abgerufen: 14.03.2024.
Pektor f = Pektor, Katharina: Entstehungskontext [Der Kinogeher]. In: Handkeonline. URL: https://handkeonline.onb.ac.at/node/1340. Online abgerufen: 09.05.2024.
Pektor g = Pektor, Katharina: [Langsame Heimkehr] (Neuschrift des 2. und tw. des 3. Kapitels). Typoskript 1,5-zeilig, 48 Blatt, ohne Datum [14.05.1979]. In: Handkeonline. URL: https://handkeonline.onb.ac.at/node/849. Online abgerufen: 14.05.2024.
Aufbewahrungsort: Deutsches Literaturarchiv Marbach (DLA)
Notizbuch-Signatur: DLA, A:Handke, Peter: [HS00554626 ]
Material: Notizbuch (Marke nicht identifiziert), liniert, Fadenheftung
Format: 15,3 x 9,7 cm
Umschlag: Schwarzer, stabiler Kartonumschlag; Vorderseite: aufgeklebter eh. Datumszettel (Kugelschreiber: blau) (M01/NB 019)
Umfang: 120 Seiten, 130 Faksimiles (Editionsseiten) inklusive Umschlag und Vorsatz
Paginierung: I-III, 1-118, (119-120 unpag.), I*-III*
Verwendete Schreibstoffe: Fineliner (rot, grün, schwarz, blau, pink), Kugelschreiber (blau, schwarz), Bleistift, Füllfeder (blau, schwarz)
Zusätzlich beteiligte Schreiber*innen: /
Anmerkung: Ein Blatt mit den Seiten 119 und 120 (ES. 123 und 124) wurde herausgetrennt, auf dem Rest der nicht ganz entfernten Seite steht noch eine kleine Korrekturnotiz.
Zeichnungen:
Eingeklebtes Material:
Beilagen: keine vorhanden
Handkeonline: https://handkeonline.onb.ac.at/node/334
Anzahl der erfassten Entitäten: 1208
37
denn ich will gerettet werden (Auteuil ,
Abend)
für eine Gegenwart sorgen, in der man
bleiben kann (die einen gegenwärtig
hält)
S. : S.F. ; eines Tages wird er nicht
mehr nach Hause finden
Weggehend von den andern, hüllt S.
sich ein, (um sich zu schützen gegen
die andern)
5.3.
"Aber als Sozialist fühle ich mich
verpflichtet, in Alternativen zu denken"
(K. )
Die Deutschen: ich würde mich ja gern
auf sie einlassen, aber sie sind mit
solch abstoßenden Zeichen umgeben
("Bonn "
mit einem Kußmund hinten auf dem
Auto)
Triumph: Ich!
Aus meiner Geistesabwesenheit könnte mich
nur eine ständige Nicht-Banalität erlösen
Allmählich die Überzeugung, daß ich mit
meinem Leben recht habe
Es gibtAntwort
S.F. : S. behält nichts (nichts bleibt
gegenwärtig)
"Glaubst du, mein Herz hat nicht geklopft
bis zur Kehle hinauf?"
(Sie zu ihm)
"Weg ist sie"
(Bahnbeamter zum Liebenden)
Das Paar: sie sind so schön harmlos,
weil sie einmal, durch einander, besänftigt
worden sind
Ist das Böse in mir nicht erst das Schöpferische?
(Luzifer )
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denn ich will gerettet werden (Auteuil ,
Abend)
für eine Gegenwart sorgen, in der man
bleiben kann (die einen gegenwärtig
hält)
S. : S.F. ; eines Tages wird er nicht
mehr nach Hause finden
Weggehend von den andern, hüllt S.
sich ein, (um sich zu schützen gegen
die andern)
5.3.
"Aber als Sozialist fühle ich mich
verpflichtet, in Alternativen zu denken"
(K. )
Die Deutschen: ich würde mich ja gern
auf sie einlassen, aber sie sind mit
solch abstoßenden Zeichen umgeben
("Bonn "
mit einem Kußmund hinten auf dem
Auto)
Triumph: Ich!
Aus meiner Geistesabwesenheit könnte mich
nur eine ständige Nicht-Banalität erlösen
Allmählich die Überzeugung, daß ich mit
meinem Leben recht habe
Es gibtAntwort
S.F. : S. behält nichts (nichts bleibt
gegenwärtig)
"Glaubst du, mein Herz hat nicht geklopft
bis zur Kehle hinauf?"
(Sie zu ihm)
"Weg ist sie"
(Bahnbeamter zum Liebenden)
Das Paar: sie sind so schön harmlos,
weil sie einmal, durch einander, besänftigt
worden sind
Ist das Böse in mir nicht erst das Schöpferische?
(Luzifer )
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Sehr wahrscheinlich | aus dem unmittelbaren Kontext erschließbar |
Wahrscheinlich | nur durch Kontextwissen und Recherche erschließbar |
Möglicherweise | es gibt mehrere Bedeutungsmöglichkeiten |
Nicht identifiziert | es gibt höchstens Vermutungen |
Handke, Peter: Notizbuch 12.02.1979-24.04.1979 (NB 019). Hg. von
Johanna Eigner und Katharina Pektor. In:
Ders.: Notizbücher. Digitale Edition. Hg. von Katharina Pektor, Ulrich von Bülow und Bernhard Fetz. Deutsches Literaturarchiv Marbach und Österreichische Nationalbibliothek, Wien: Release
14.06.2024.
Seite 41.
URL: https:/
Ioannis Fykias (Altgriechisch), Ana Grigalashvili (Georgisch), Angelika Kolesnikow (Russisch), Anna Montané Forasté (Spanisch), Helmut Moysich (Italienisch, Französisch), Martin Springinklee (Steno), Dominik Srienc (Slowenisch) und Dorothea Weber (Latein).
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