Die Stimme des M. erscheint mir heute
morgen wie ein ununterbrochenes,
leises Rülpsen

Ein Fortschritt: Als ich ein Schimpfen
und einen Streit hörte auf der Straße,
ging ich einfach, ohne Blickverschwen-
dung, vorbei

Unter dem ganz bedeckten, aber doch
schimmernden, strahlenden Himmel
ziehen kleine dunkle Schleier von
Wolken

Manchmal am Tag macht die Zeit
doch unvermutete Sprünge, wie
wenn man eingenickt wäre

Erfahrung, heute, in der Wohnungs-
dämmerung, im öden Zwieli ? cht,
in der Funktionslosigkeit, daß
ich unter der Zeit tatsächlich leide;
lächerlich, ich hielt den Atem an,
und spürte richtig ein Leiden in mir
ziehen, nicht Schmerzen, sondern
eine tiefe, gleichmäßige, scheußliche
innere Krankheit ‒ und ich konnte
zum ersten Mal das Wort "leiden"
auf etwas von mir anwenden,
wobei doch alle, denen ich davon
zu erzählen versuchen würde, ❬nur
fragen würden: Wie bitte?, und
68
Die Stimme des M. erscheint mir heute morgen wie ein ununterbrochenes, leises Rülpsen​
Ein Fortschritt: Als ich ein Schimpfen und einen Streit hörte auf der Straße, ging ich einfach, ohne Blickverschwendung, vorbei​
Unter dem ganz bedeckten, aber doch schimmernden, strahlenden Himmel ziehen kleine dunkle Schleier von Wolken​
Manchmal am Tag macht die Zeit doch unvermutete Sprünge, wie wenn man eingenickt wäre​
Erfahrung, heute, in der Wohnungsdämmerung, im öden Zwielicht, in der Funktionslosigkeit, daß ich unter der Zeit tatsächlich leide; lächerlich, ich hielt den Atem an und spürte richtig ein Leiden in mir ziehen, nicht Schmerzen, sondern eine tiefe, gleichmäßige, scheußliche innere Krankheit ‒ und ich konnte zum ersten Mal das Wort "leiden" auf etwas von mir anwenden, wobei doch alle, denen ich davon zu erzählen versuchen würde, nur fragen würden: Wie bitte?, und

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Die Stimme des M. erscheint mir heute
morgen wie ein ununterbrochenes,
leises Rülpsen

Ein Fortschritt: Als ich ein Schimpfen
und einen Streit hörte auf der Straße,
ging ich einfach, ohne Blickverschwen-
dung, vorbei

Unter dem ganz bedeckten, aber doch
schimmernden, strahlenden Himmel
ziehen kleine dunkle Schleier von
Wolken

Manchmal am Tag macht die Zeit
doch unvermutete Sprünge, wie
wenn man eingenickt wäre

Erfahrung, heute, in der Wohnungs-
dämmerung, im öden Zwieli ? cht,
in der Funktionslosigkeit, daß
ich unter der Zeit tatsächlich leide;
lächerlich, ich hielt den Atem an,
und spürte richtig ein Leiden in mir
ziehen, nicht Schmerzen, sondern
eine tiefe, gleichmäßige, scheußliche
innere Krankheit ‒ und ich konnte
zum ersten Mal das Wort "leiden"
auf etwas von mir anwenden,
wobei doch alle, denen ich davon
zu erzählen versuchen würde, ❬nur
fragen würden: Wie bitte?, und
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Die Stimme des M. erscheint mir heute morgen wie ein ununterbrochenes, leises Rülpsen​
Ein Fortschritt: Als ich ein Schimpfen und einen Streit hörte auf der Straße, ging ich einfach, ohne Blickverschwendung, vorbei​
Unter dem ganz bedeckten, aber doch schimmernden, strahlenden Himmel ziehen kleine dunkle Schleier von Wolken​
Manchmal am Tag macht die Zeit doch unvermutete Sprünge, wie wenn man eingenickt wäre​
Erfahrung, heute, in der Wohnungsdämmerung, im öden Zwielicht, in der Funktionslosigkeit, daß ich unter der Zeit tatsächlich leide; lächerlich, ich hielt den Atem an und spürte richtig ein Leiden in mir ziehen, nicht Schmerzen, sondern eine tiefe, gleichmäßige, scheußliche innere Krankheit ‒ und ich konnte zum ersten Mal das Wort "leiden" auf etwas von mir anwenden, wobei doch alle, denen ich davon zu erzählen versuchen würde, nur fragen würden: Wie bitte?, und

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Zitiervorschlag

Handke, Peter: Notizbuch 16.09.1976-03.11.1976 (NB 008). Hg. von Anna Estermann und Katharina Pektor. In: Ders.: Notizbücher. Digitale Edition. Hg. von Katharina Pektor, Ulrich von Bülow und Bernhard Fetz. Deutsches Literaturarchiv Marbach und Österreichische Nationalbibliothek, Wien: Release 14.06.2024. Seite 70. URL: https://edition.onb.ac.at/fedora/objects/o:hnb.nb.197609-197611/methods/sdef:TEI/get?mode=p_70. Online abgerufen: 21.11.2024.

Transkription und Übersetzung fremdsprachiger oder stenographierter Textstellen

Ioannis Fykias (Altgriechisch), Ana Grigalashvili (Georgisch), Angelika Kolesnikow (Russisch), Anna Montané Forasté (Spanisch), Helmut Moysich (Italienisch, Französisch), Martin Springinklee (Steno), Dominik Srienc (Slowenisch) und Dorothea Weber (Latein).

Lizenzhinweis

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