Wörter für Tatsachen: Beweise,
daß es die Tatsachen gibt; man
kann die Wörter alle verwenden,
im richtigen Moment (Zeit)

Genuß im Anblick tropfend hän-
gender Wäsche (6.8.)

Es gibt aber keine "Gleichgültigkeit":
eher das Leiden "Leiden" (ohne
besondere Eigenheit mehr, ohne Rich-
tung), und eine Folge davon ist
das Schuld- und Schmerzgefühl, daß
einem alles andre gleichgültig ist❬1❭

"Die allgemeinste und gewöhnlichste
Art, das Denken zu erzählen, ist die,
eine Gestalt hinzustellen, die sich
aus ihrer eigenen Vergangenheit und
Zukunft aufbaut"❬2❭

Jeder wird, um weiterdenken zu
können, alle alten, in anderen
Zeiten wohl beschriebenen, Lebenszu-
stände für sich neu festhalten
müßen

Die Frau auf der Straße abends zum
Kind: "Ich bin froh, wenn wir
wieder z'Haus sind." (Große
Rührung des Passanten)
111
Wörter für Tatsachen: Beweise, daß es die Tatsachen gibt; man kann die Wörter alle verwenden, im richtigen Moment (Zeit)​
Genuß im Anblick tropfend hängender Wäsche (6.8.)​
Es gibt aber keine "Gleichgültigkeit": eher das Leiden "Leiden" (ohne besondere Eigenheit mehr, ohne Richtung), und eine Folge davon ist das Schuld- und Schmerzgefühl, daß einem alles andre gleichgültig ist❬1❭
"Die allgemeinste und gewöhnlichste Art, das Denken zu erzählen, ist die, eine Gestalt hinzustellen, die sich aus ihrer eigenen Vergangenheit und Zukunft aufbaut"❬2❭
Jeder wird, um weiterdenken zu können, alle alten, in anderen Zeiten wohl beschriebenen, Lebenszustände für sich neu festhalten müßen​
Die Frau auf der Straße abends zum Kind: "Ich bin froh, wenn wir wieder z'Haus sind." (Große Rührung des Passanten)​
❬1❭Möglicherweise bezieht sich Handke hier auf folgende Stelle in Paveses Tagebuch Das Handwerk des Lebens: "Je mehr sich ein Mensch in eine Leidenschaft verfängt, umso mehr an sich gleichgültige Zufälle gereichen ihm zum Schmerz; weil sie gerade wegen ihrer Gleichgültigkeit seine nach vorn gestreckte Gier täuschen. Ein Ehrgeiziger wird leiden, wenn ihm ein Berühmter nicht beteuert, daß er ihn anerkenne; der eine wird einen Evangelischen, weil er ihn zum Übertritt bestimmen möchte, zu versucherischen Zweifeln reizen; die wiederum werden einen Individualisten ärgern, wenn sie ihn gegen seinen Willen bestürmen. Der Neid, der umgekehrte Ehrgeiz, liegt auf dem Grunde jeder erlittenen Angst. Man kann nicht dulden, daß etwas in gleichgültiger Art geschieht, rein aus Zufall, außerhalb unserer Einwirkung." (Pavese: Das Handwerk des Lebens. Il mestiere di vivere
1983, S. 55f. LV)


Wörter für Tatsachen: Beweise,
daß es die Tatsachen gibt; man
kann die Wörter alle verwenden,
im richtigen Moment (Zeit)

Genuß im Anblick tropfend hän-
gender Wäsche (6.8.)

Es gibt aber keine "Gleichgültigkeit":
eher das Leiden "Leiden" (ohne
besondere Eigenheit mehr, ohne Rich-
tung), und eine Folge davon ist
das Schuld- und Schmerzgefühl, daß
einem alles andre gleichgültig ist❬1❭

"Die allgemeinste und gewöhnlichste
Art, das Denken zu erzählen, ist die,
eine Gestalt hinzustellen, die sich
aus ihrer eigenen Vergangenheit und
Zukunft aufbaut"❬2❭

Jeder wird, um weiterdenken zu
können, alle alten, in anderen
Zeiten wohl beschriebenen, Lebenszu-
stände für sich neu festhalten
müßen

Die Frau auf der Straße abends zum
Kind: "Ich bin froh, wenn wir
wieder z'Haus sind." (Große
Rührung des Passanten)
111
Wörter für Tatsachen: Beweise, daß es die Tatsachen gibt; man kann die Wörter alle verwenden, im richtigen Moment (Zeit)​
Genuß im Anblick tropfend hängender Wäsche (6.8.)​
Es gibt aber keine "Gleichgültigkeit": eher das Leiden "Leiden" (ohne besondere Eigenheit mehr, ohne Richtung), und eine Folge davon ist das Schuld- und Schmerzgefühl, daß einem alles andre gleichgültig ist❬1❭
"Die allgemeinste und gewöhnlichste Art, das Denken zu erzählen, ist die, eine Gestalt hinzustellen, die sich aus ihrer eigenen Vergangenheit und Zukunft aufbaut"❬2❭
Jeder wird, um weiterdenken zu können, alle alten, in anderen Zeiten wohl beschriebenen, Lebenszustände für sich neu festhalten müßen​
Die Frau auf der Straße abends zum Kind: "Ich bin froh, wenn wir wieder z'Haus sind." (Große Rührung des Passanten)​
❬1❭Möglicherweise bezieht sich Handke hier auf folgende Stelle in Paveses Tagebuch Das Handwerk des Lebens: "Je mehr sich ein Mensch in eine Leidenschaft verfängt, umso mehr an sich gleichgültige Zufälle gereichen ihm zum Schmerz; weil sie gerade wegen ihrer Gleichgültigkeit seine nach vorn gestreckte Gier täuschen. Ein Ehrgeiziger wird leiden, wenn ihm ein Berühmter nicht beteuert, daß er ihn anerkenne; der eine wird einen Evangelischen, weil er ihn zum Übertritt bestimmen möchte, zu versucherischen Zweifeln reizen; die wiederum werden einen Individualisten ärgern, wenn sie ihn gegen seinen Willen bestürmen. Der Neid, der umgekehrte Ehrgeiz, liegt auf dem Grunde jeder erlittenen Angst. Man kann nicht dulden, daß etwas in gleichgültiger Art geschieht, rein aus Zufall, außerhalb unserer Einwirkung." (Pavese: Das Handwerk des Lebens. Il mestiere di vivere
1983, S. 55f. LV)
Zitiervorschlag

Handke, Peter: Notizbuch 23.05.1977-14.10.1977 (NB 012). Hg. von Johanna Eigner und Katharina Pektor. In: Ders.: Notizbücher. Digitale Edition. Hg. von Katharina Pektor, Ulrich von Bülow und Bernhard Fetz. Deutsches Literaturarchiv Marbach und Österreichische Nationalbibliothek, Wien: Release 14.06.2024. Seite 115. URL: https://edition.onb.ac.at/fedora/objects/o:hnb.nb.197705-197710/methods/sdef:TEI/get?mode=p_115. Online abgerufen: 21.09.2024.

Transkription und Übersetzung fremdsprachiger oder stenographierter Textstellen

Ioannis Fykias (Altgriechisch), Ana Grigalashvili (Georgisch), Angelika Kolesnikow (Russisch), Anna Montané Forasté (Spanisch), Helmut Moysich (Italienisch, Französisch), Martin Springinklee (Steno), Dominik Srienc (Slowenisch) und Dorothea Weber (Latein).

Lizenzhinweis

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